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Elisa Eberle: Psychospiele im Klassenraum

  • Hörmedien

Zur Person

Oppermann, Lea-Lina (2017). Was wir dachten, was wir taten. Hörbuch, Hörcompany. 259 Min., 14,95 €.

Was tust du, wenn deine Matheklausur plötzlich von einem Amoklauf unterbrochen  wird und eine maskierte fremde Person deine Mitschüler zwingt, Stück für Stück ihre dunkelsten Geheimnisse der Klasse zu  offenbaren? Für Fiona Nikolaus, ihren Mitschüler Mark Winter und ihren Lehrer Anton Filler wird Gedankenexperiment in Was wir dachten, was wir taten zur Realität. Gelesen von Birte Schnöink, Julian Greis und Sebastian Rudolph – allesamt Mimen des Hamburger Thalia Theater – schildern die drei Hauptfiguren des Hörbuchs von Lea-Lina Oppermann aus verschiedenen Perspektiven, „was WIRKLICH passiert ist“, während Radio und  Presse ihrer Meinung nach eine andere Wahrheit erzählen. Die Handlung beginnt inmitten einer Situation, die eigentlich jede Hörerin und jeder Hörer aus der Schulzeit  kennt: Vierzehn Jugendliche brüten über  einer schweren Matheklausur. Dabei sind alle typischen Charaktere einer durchschnittlichen Schulklasse vorzufinden: Die coolen Jungs, die den Anschein erwecken, gerade aus die Muckibude zu kommen, das püppchenhafte Modelmädchen,  das nur an sich denkt, und die Desinteressierten aus der letzten Reihe. Alles ist wie immer,  bis auf einmal eine Lautsprecherdurchsage die Stille durchbricht und vor einem Sicherheitsproblem warnt.  Zunächst reagieren alle wie sie es gelernt haben: Tür verriegeln, ruhig verhalten, abwarten. Doch als ein kleines Mädchen weinend von außen an die Klassenzimmertüre klopft ist es vorbei mit der Gelassenheit. Was sollen sie jetzt tun? Sollen sie das Mädchen hereinlassen – oder etwa nicht? Nach einer langen Diskussion lassen sie das Mädchen, gefolgt von einer bewaffneten Gestalt, herein. Was jetzt passiert, hat niemand erwartet: Aus der jeweils eigenen Perspektive erzählen die drei Hauptfiguren, wie maskierte Person mit erhobener Pistole zehn nummerierte Umschläge zum Vorschein holt und den Mathelehrer dazu zwingt, die darin enthaltenen letzten Wünsche vorzulesen. Es sind Wünsche, die Rache üben, demütigen, Träume zerstören und die dunkelsten Seiten der einzelnen  Schüler zum Vorschein bringen. Sie alle werden systematisch zu den im Verlauf immer drastischeren Straftaten gezwungen, die von Nötigung über Sachbeschädigung bis hin zu Körperverletzung reichen. All das dauert  so lange, bis selbst der Lehrer seine regelkonforme Fassade verliert und blind gehorcht. Bis schließlich der letzte Zettel vorgelesen wird…

Was wir dachten, was wir taten ist ein psychologisches Kammerspiel, welches ausschließlich in einem geschlossenen  Klassenzimmer spielt und die Gedanken,  Sorgen und Ängste der Schüler aufgreift und mit einem  spannenden Zugang bearbeitet. Selbst wenn manche Aufgaben der maskierten Person für Außenstehende lächerlich wirken – die Betroffene  und damit auch Hörenden sind gezwungen, sich  mit ihren Taten und Wünschen auseinanderzusetzen. Wie zum Beispiel Fiona, die gezwungen wird,  ihren heimlichen Schwarm zu küssen und dabei feststellen muss, dass sie nichts an ihm wirklich anspricht. Durch diese tiefen psychologischen Bezüge wirken die Figuren glaubwürdig und real. Jungen Hörern kann mithilfe dieses Hörbuchs vermittelt werden, dass jeder Mensch eine dunkle Seite hat und es sich lohnt, gegen unfaires Verhalten gegenüber Mitmenschen zu kämpfen. Eifersucht, jugendliche Schwärmerei für die Lehrerin oder  den Lehrer, Diebstahl, Magersucht – viele der im Hörspiel behandelten Themen kennen die meisten Hörer selbst aus ihrem Alltag. Das Hörspiel spielt außerdem mit einigen typischen Schüler-Lehrer-Klischees, die eigentlich jede und jeder aus seiner Schulzeit kennt, auch wenn sie nicht immer widerspruchslos von der Gesellschaft akzeptiert werden. In Kombination mit der Vermittlung von Schülerweisheiten, wie zum Beispiel, dass der beste Sitzplatz bei einer Klausur in der Ecke sei, und einem regelkonformen, überforderten Lehrer  generieren eine besonders faszinierende Spannung, die durch die direkte Ansprache des Hörenden als eine Art ‚Eingeweihte‘ verstärkt wird. Durch diese emotional-psychologische Komponente lernen Jugendliche einige wichtige Lektionen: Wie verhalte ich mich bei Amoklauf? Was kann passieren? Und wozu können Mut und Zivilcourage führen? Durch die Tatsache, dass einige Rettungsversuche der Figuren scheitern, erhält die Erzählung einerseits einen realistischen Charakter. Andererseits können die misslungenen Versuche unter Umständen besonders sensible, kleine Heldinnen und Helden auch desillusionieren. Neben den psychologischen Lerneffekten auf die Rezipierenden sticht jedoch auch die metatextuelle Gestaltungsebene der Geschichte ins Auge: Auffallend häufig spielt der Text mit Alliterationen und Wortspielen wie ‚Schweiß auf weiß‘. Aussagen wie „kein Ring, kein Tarnumhang, um mich unsichtbar zu machen“ hingegen verweisen auf andere Medien und Geschichten, wie in diesem Fall Der Herr der Ringe oder Harry Potter. Genauso werden Geschehnisse von den Schülerfiguren mit Szenen aus Horror- oder Westernfilmen verglichen sowie literarische Figuren wie Winnetou oder die Todesser in die Erzählung integriert. Diese popkulturellen und intermedialen Verweise machen den Text besonders lebhaft und ansprechend für junge Hörer. Selbst wenn Hörer einige Zitate nicht durchdringen und zuordnen können, bleibt das gesamte Hörbuch trotzdem nachvollziehbar und regt im Idealfall zur Auseinandersetzung mit unbekannten Geschichten an.

Zusammenfassend gelingt Lea-Lina Oppermann in ihrem Hörspiel Was wir dachten, was wir taten eine interessante und kurzweilige Geschichte, die die jugendlichen Rezipienten zum Nachdenken über ihr eigenes Sozialverhalten anregt. Dazu trägen insbesondere die thematische Schwerpunktverschiebung auf einer psychologischen Ebene – weg von einem klassischen Amoklauf – bei.

Elisa Eberle war Praktikantin bei merz | medien + erziehung. Sie studiert derzeit den Masterstudiengang Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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