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Andreas Breiter: Medienpädagogische Forschung und die Datifizierung

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Interdisziplinärer Diskurs

Medien vor 60 Jahren – Medien heute. Da ist vieles gleich geblieben und doch irgendwie alles ganz anders. Wir sind vernetzt, online und mobil, Medien sind immer und überall – und aus keinem Lebensbereich und keiner (humanwissenschaftlichen) Disziplin wegzudenken. merz, seit 60 Jahren Forum der Medienpädagogik, nimmt ihren Geburtstag zum Anlass, um dies im interdisziplinären Horizont zu erörtern. Wir fragten Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Disziplinen: Was macht den Mehrwert medienpädagogischer Forschung und Praxis in der zunehmend mediatisierten Gesellschaft aus?

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Auch wenn der Begriff Big Data unscharf ist und von Befürwortenden wie Gegnerinnen und Gegnern gleichermaßen zur Panikmache oder als Revolutionsankündigung genutzt wird, lässt sich parallel zu einer fortschreitenden Digitalisierung von Medien, der dadurch möglichen permanenten Konnektivität und ubiquitären Erreichbarkeit auch die Auswertung großer Datenmengen als gesellschaftlicher Trend identifizieren. Dabei geht es nicht nur um strukturierte und gezielt gesammelte Daten, sondern zunehmend um Datenspuren (digital traces), die Menschen bewusst oder unbewusst hinterlassen und aus denen neue Verhaltens- und Bewertungsmuster mit Hilfe komplexer Algorithmen rekonstruierbar werden. Die Datifizierung (datafication) umfasst dabei nicht nur die Algorithmen und Datenstrukturen und deren zugrundeliegenden Infrastrukturen, sondern beschreibt ein gesellschaftliches Phänomen der Entscheidungsfindung über die Auswertung großer Datenmengen und damit einen Prozess der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit. Die Beispiele sind vielfältig: von den Empfehlungssystemen in Online-Shops über die Bewertung der Kreditwürdigkeit und der Geldanlage in Aktienfonds bis zur Schulwahl auf Basis komplexer Rankingsysteme und der automatischen Berechnung adaptiver Lernumgebungen (learning analytics).

 

Warum ist dies für die Medienpädagogik relevant?

Zum ersten, weil die Datifizierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche – vom quantified self bis zu learning analytics – auch die Medienpädagogik vor große Herausforderungen stellt. Dies betrifft die Datafizierung als Forschungsgegenstand im Kontext sozial- und technikwissenschaftlicher Theorien, als auch die Potenziale der Analyse großer Datenmengen als methodischem Zugang im Sinne von smart data. Darüber hinaus wird der verantwortungsvolle Umgang mit Daten sich nicht mehr nur auf Datenschutzbestimmungen zurückführen lassen, sondern Datifizierung und pausenlose Bewertung und Auditierung mit Hilfe digitaler Medien wird Inhalt medienpädagogischer Praxis werden.Zum zweiten gilt: Was nicht messbar ist, ist nicht steuerbar und nicht zu managen – und wird damit als weniger relevant erachtet. Hier kann die medienpädagogische Forschung im Austausch mit der Bildungspraxis entscheidende Aspekte behandeln, um Fragen nach dem ‚Mehrwert‘ nicht ausschließlich den Messverfahren aus der Psychologie zu überlassen. Jegliche Formen von Technologien in Bildungskontexten müssen als Teil einer ökonomischen Eigenlogik gesehen werden, hinter der global agierende IT-Unternehmen ebenso stecken wie Content Provider, deren neues ‚Öl‘ die Daten der Nutzenden sind.Für die medienpädagogische Forschung eröffnen sich neue, spannende Themen, die aber nur gemeinsam mit anderen Disziplinen zu leisten sein werden. Die kritische Informatikforschung liefert zahlreiche Anknüpfungspunkte und hilft beim Verstehen der Algorithmen. Der medienpädagogische Data Scientist könnte zur Schnittstelle mit der Informatik werden und dabei eine Brücke zwischen Medienkompetenz und computational literacy aufbauen.

Dr. Andreas Breiter ist Professor für Angewandte Informatik an der Universität Bremen sowie wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Informationsmanagement Bremen GmbH. Seine Schwerpunkte sind unter anderem Medienkompetenz, Medienintegration, E-Learning, IT Governance sowie Wissensmanagementsysteme


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