Anja Hartung-Griemberg: Medienpädagogik und Altersforschung
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Interdisziplinärer Diskurs
Medien vor 60 Jahren – Medien heute. Da ist vieles gleich geblieben und doch irgendwie alles ganz anders. Wir sind vernetzt, online und mobil, Medien sind immer und überall – und aus keinem Lebensbereich und keiner (humanwissenschaftlichen) Disziplin wegzudenken. merz, seit 60 Jahren Forum der Medienpädagogik, nimmt ihren Geburtstag zum Anlass, um dies im interdisziplinären Horizont zu erörtern. Wir fragten Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Disziplinen: Was macht den Mehrwert medienpädagogischer Forschung und Praxis in der zunehmend mediatisierten Gesellschaft aus?
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Im Selbstideal der wachstumsorientierten Gegenwartsgesellschaft ist die Idee einer potenten Mediengesellschaft fest verankert. Medien, insbesondere Informations- und Kommunikationstechnologien haben einen großen Anteil an Wertschöpfung, Wirtschaftswachstum und internationaler Wettbewerbsfähigkeit und versinnbildlichen damit zugleich das Ideal des Fortschritts durch permanente Innovation. Anschaulich wird dies an den umfangreichen Bestrebungen, die Bevölkerung an die jeweils neuen medialen Entwicklungen anzupassen. Das Alter wird dabei überwiegend als besorgniserregender Zustand zum Thema, der geprägt ist von einem Verlust an Medienkompetenz. Ausgehend von der Behauptung eines kohortenspezifischen Nutzungsdefizits werden Produkte und Dienstleistungen offeriert, die Ältere im Umgang mit Computer und Internet qualifizieren sollen. Getragen wird diese Sicht häufig von einem normativen Anspruch, ohne dass dieser in seiner Bedeutung reflektiert in Bezug zur Lebenswelt und den höchst unterschiedlichen Bedürfnislagen Älterer gesetzt wird. Im Vordergrund steht die Frage: Was leistet das Alter für eine Gesellschaft, die eine hochdynamische Mediengesellschaft ist. Selten wird danach gefragt, was Medien für das Alter(n) und das Alter für eine humane Entwicklung unserer Medienkultur bedeuten können. In der medienpädagogischen Forschung und Praxis wurde der Konnex ‚Medien und Alter(n)’ bislang noch ausgesprochen temporär, disparat und undifferenziert in den Blick genommen. Während sich im Umfeld der Kinder- und Jugendmedienforschung eine vielschichtige Forschungslandschaft entwickeln konnte, die eine elaborierte Grundlagen- und Spezialliteratur hervorgebracht hat, findet sich kaum Vergleichbares für das höhere Lebensalter.
Eine solche pädagogisch grundierte Forschung aber ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil unsere mediatisierte Lebenswirklichkeit nicht nur als Problem für das Alter zu denken ist, sondern diese gleichsam Potenziale für neue Lebensformen, neue (medienvermittelte) Partizipationsformen, aber auch für Lern- und Bildungsprozesse birgt. Wenn wir davon ausgehen, dass Alter(n)swirklichkeiten von Medien beeinflusst und durch Altersbilder konstituiert sind, so ist es von großer Bedeutung, inwieweit ältere Menschen von ihrem Standpunkt aus medial präsent sind und damit ein medienvermitteltes Gespräch und ein Verständnis ihrer Situation in öffentlicher Auseinandersetzung um Alter(n) ermöglicht werden. In der Medienpädagogik hat dieser Gedanke im Ansatz der ‚aktiven Medienarbeit‘ eine lange Tradition. Medienpraxisprojekte können Möglichkeitsräume für die Auseinandersetzung mit dem Alter, mit antizipierten gesellschaftlichen Erwartungen, aber auch mit altersbezogenen Ängsten und Herausforderungen eröffnen. Das ist vor allem deshalb relevant, weil das Alter zunehmend auch eine Lebensphase der Erkundung neuer Möglichkeiten und Lebensweisen als auch der Entstehung von Alter(n)ssubkulturen darstellt. Dazu bedarf es aber einer Forschung und Praxis, die nicht auf Anschluss defizitärer Medienakteurinnen und -akteure fokussiert, sondern Ältere als erfahrene und wertvolle Subjekte ernst nimmt und deren kritisches Bewusstsein hinsichtlich verschiedener Medien in Projekten konstruktiv aufgegriffen werden kann. Beides vermag medienpädagogisches Handeln zu leisten.
Prof. Dr. Anja Hartung-Griemberg leitet die Abteilung Kultur-und Medienbildung der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg sowie das Institut für Medien und gesellschaftlicher Wandel Leipzig. Ihre Schwerpunkte sind Medienhandeln älterer Menschen und mediatisierte Rahmenbedingungen des Alter(n)s in zeitgenössischen Gesellschaften.
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