Bernd Schorb: Zerreguliert
In regelmäßigen Abständen wird der Rundfunkstaatsvertragneu geregelt – zum vierzehnten Mal diesen Sommer – und damit meist auch der Jugendmedienschutz. Inzwischen ist dieses Werk so komplex und unverständlich wie die meisten deutschen Gesetze. Gut, die Medien nehmen zu, kommenin neuen Gewändern daher und sind immer schwerer zu durchschauen – dafür sorgen Microsoft und Google – und zusätzlich erzwingen Partei- undWirtschaftsinteressen Kompromisse und Verwässerungen.Vor allem die Eltern, die den Schutz mit gewährleisten sollen, verstehen allenfalls Bruchstücke von dem, was hier geregelt werden soll. Die Teil-Evaluation des letzen Jugendmedienschutzstaatsvertrages, die das JFF aus der Perspektive von Eltern und Heranwachsenden durchgeführt hat, konstatierte denn auch: „Mangelnde Transparenz und Inkonsistenz ... sind Ankerpunkte für Missverständnisse und Fehlinterpretationen“ und forderte „Transparenz – Voraussetzung eines alltagspraktisch effektiven Jugendmedienschutzes“. (Theunert & Gebel in merz 1/2009, S. 1-25)
Löblich ist sicher die Absicht, eine bessere Kontrolle des Internets zu schaffen. Doch ob das auf dem Weg immer stärkerer Selbstregulierung gelingt? Die Einführung der ‚regulierten Selbstregulierung‘hat vor allem Selbstkontrollorgane hervorgebracht, getragen von der Medienindustrie, die die selbst kontrollierten Inhalte produziert. Darüber thront die KJM (Kommission Jugendmedienschutz), die aber – in der Regel – nicht selbst konkrete jugendgefährdende Angebote prüft, sondern lediglichdie Selbstkontrolleure zulässt und beaufsichtigt. Mit der jetzigen ‚Verfeinerung‘ des Systems wird dieses Kontrollorgan noch etwas machtloser. Denn nach § 19 gelten nun „Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle ... als anerkannt, soweit es die freiwillige Alterskennzeichnung von ... Spielprogrammen und für das Kino produzierten Filmen betrifft, wenn diese ... zum Herunterladen im Internet angeboten werden.“ Soll heißen, jetzt können sich die Selbstkontrolleure auch selbst zulassen. Wer keine eigene Regulierungsstelle hat, darf seine Angebote von einem bestehenden Organ prüfen lassen – was richtig teuer werden kann. Oder er übernimmt die Regeln eines zugelassenen Selbstregulierers und macht sich so zu einer ‚Quasi-Selbstregulierungsstelle‘. So verzinkt wie die Selbstregulierung ist auch die Alterskennzeichnung. Mit der Etablierung des kommerziellen Fernsehens entstand in den achtziger Jahren die Idee, die Altersklassifikation dererfolgreichen FSK (Freiwillige Selbstkontrolle Kino)auf das Fernsehen zu übertragen. Dazu wurde die Ideologie der bundeseinheitlichen Zubettgehzeiten erfunden und bestimmt, dass Filme, die erst ab 16 bzw. 18 Jahren zugelassen sind, erst nach 22 bzw. 23 Uhr ausgestrahlt werden dürfen. Das wird jetzt aufs Internet übertragen, indem Filme mit entsprechender Einstufung erst ab diesen Zeiten abrufbar sind – Ausnahmen impliziert,versteht sich. Wenn der Anbieter nämlich „durch technische oder sonstige Mittel die Wahrnehmung des Angebots durch Kinder oder Jugendliche ... unmöglich macht oder wesentlich erschwert“ (§ 5), können Altersverifikationen odertechnische Filter die Zeiten-Regel ersetzen.
Diese Idee hatten Anfang des Jahrtausends schon die Anbieter des Pay TV – der Versuch hielt der Realität nicht stand. Die Eltern konnten oder wollten die Filtertechnik nicht installieren. Also wurdensenderseitige Sperren verpflichtend gemacht, die von den Eltern nicht ein-, sondern ausgeschaltet werden müssen (Schorb & Theunert: Jugendmedienschutz – Praxis und Akzeptanz. Berlin 2001). So werden Kinder und Jugendliche im Pay TV wieder unabhängig von Vermögen und Willender Eltern geschützt, wie es auch im Grundgesetz bestimmt ist. So viel Selbstregulierung aber wollte man der Internetindustrie wohl nicht zumuten.
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