Beteiligung ist nicht selbstverständlich
Online-Interview mit Christoph Bieber, Oliver Märker und Kirsten Wohlfahrt
Partizipation ist das Schlagwort des Demokratie-Updates einer digital geprägten Gesellschaft. Für viele ein Werkzeug, für andere ein Programmpunkt der Verwaltungserneuerung, für weitere ein Muss im Politikbetrieb. So leicht wir uns Beteiligung vorstellen möchten, so schwierig wird es, sie zu implementieren. Neben kommunikativen Kompetenzen und leichten medialen Zugängen fehlt es meist an einer gewachsenen Kultur des Mitmachens. Auf einem Etherpad versammelten sich netzwerkende, politisch dekonstruierende und praxiserfahrene Akteure und eine Akteurin der heutigen Bürgerbeteiligung.
merz Sind wir eigentlich reif für Partizipation? Wo und wie sollten wir es gelernt haben? Müssen wir uns alle beteiligen?
Wohlfahrt Wenn Politiker gewählt werden und ihr Mandat annehmen und ausüben, werden sie ja auch nicht nach ihrem Reifegrad bewertet und ob sie fit sind, die Interessen der Bürger in der repräsentativen Demokratie wahrzunehmen. Ansonsten ist Partizipation sicher ein steter Lernprozess. Für alle Beteiligten. Das heißt, auch für Politik und Verwaltung. Sie müssen lernen, damit umzugehen – mal mehr, mal weniger –, dass Sachverstand, Meinung und Forderungen von außen in ihr System eingespeist werden. Und natürlich müssen wir uns nicht alle beteiligen. Das ist erstens aus Zeitgründen utopisch, zweitens beteiligen wir uns am ehesten da, wo wir in irgendeiner Weise ‚betroffen‘ sind und drittens möchte wohl niemand zwanghafte Wahl- oder Beteiligungszustände, wie wir es aus Diktaturen kennen.
Bieber Politische Beteiligung in der Demokratie ist nichts, was ausschließlich exzellent informierten und perfekt vorbereiteten Eliten überlassen werden soll. Ich halte hier noch immer die Einschätzung des Soziologen Alfred Schütz für relevant, der dem ‚gut informierten Bürger‘ (leider nur in der männlichen Form) eine ausreichende Qualifikation zur politischen Teilhabe bescheinigt hatte. Durch die Digitalisierung steigt nun die Wahrscheinlichkeit, dass auch der (geschlechtsneutral aktualisierte) ‚Mensch auf der Straße‘ in sozialen Medien wie Facebook oder Twitter über eine breite Form der Alltagskommunikation mit Themen und Meinungen aus dem Bereich der Politik konfrontiert werden. Natürlich bestehen dabei auch die Gefahren, etwa das Abgleiten in Räume abgeschotteter und einseitiger Kommunikation, den sogenannten Echokammern. Im Großen und Ganzen überwiegen für mich hier allerdings die Effekte der Vernetzung: Es wird immer schwieriger, kontroversen Themen auszuweichen oder sie zu ignorieren. Aus der manchmal vielleicht unfreiwilligen Konfrontation mit politischen Fragen entsteht so eine Art ‚Sog‘ in Richtung politische Auseinandersetzung – wenn man so will, bereiten die sozialen Netzwerke durch die ‚Personalisierung von Öffentlichkeit‘ immer auch auf politische Beteiligung vor. Und sei es, durch so unerfreuliche wie neuartige Beteiligungsformen wie die des Abgehörtwerdens im Rahmen der NSA-Affäre oder beim Hinterlassen von Datenspuren, die von politischen Akteuren gesammelt und ausgewertet werden.
Märker Nein, wir müssen weder alle reif sein für Beteiligung noch uns immer beteiligen (müssen). Planungs- und Entscheidungsvorbereitungsprozesse (= viele komplexe von vielen Menschen getragene, formale und informelle Prozesse und Strukturen im politisch-administrativen System) sollten aber ‚per default‘ ermöglichen, sich beteiligen zu können. Es sind also vielleicht viel weniger die Bürgerinnen und Bürger (besser: interessierte Einwohnerinnen und Einwohner), die reif sein sollten, sich zu beteiligen, sondern vielmehr die Institutionen, die einsehbarer, responsiver, partizipativer und (insbesondere) inklusiver werden müssen. Das ist ein ‚Reifeprozess‘, der nicht von heute auf morgen umgesetzt, sondern vielmehr einige Jahre in Anspruch nehmen wird, da er immer mit einem tiefgreifenden Kulturwandel verbunden ist, mit einem Paradigmenwechsel, der mit Begriffen wie Electronic Government, Open Government, Open Participation oder Open Governance beschrieben wird.
merz Oft gibt es uneindeutige Begriffslagen, besonders die Worte Engagement, Partizipation, Teilhabe, Empowerment werden oft in einem Zug genannt: Was ist wie und warum zu unterscheiden oder gar deutlich voneinander zu trennen?
Wohlfahrt Ich komme ja eher aus der praktischen Ecke ... Was ich wichtig finde: bei Beteiligungsverfahren ganz klar kommunizieren, um was es eigentlich geht. Ganz ohne Begriffsverwirrungen und Amtsdeutsch, sondern in klarer, allgemeinverständlicher Sprache. Das bedeutet, den Bürgern zu erklären, über was sie entscheiden können, wie das Procedere auf dem Weg zur Entscheidung gestaltet ist, was mit ihren Vorschlägen und Voten geschieht – und wie Politik und Verwaltung mit diesem externen Input umgehen werden.
Bieber Ein klarer Fall für die Theorie-Abteilung, schon die vorgeschlagene Liste bietet Stoff für mehrere Sitzungen in einem sozialwissenschaftlichen Grundseminar. Die Begriffsvielfalt kann in der Tat verwirren, eine (möglichst) saubere hilft allerdings auch bei der Klärung bzw. Zuspitzung unterschiedlicher Teilaspekte und kann dazu beitragen, dass die Beteiligten überhaupt wissen, wovon sie reden – und, ja, welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten. Die vier genannten würde ich erstmal sortieren, um die unterschiedliche Nähe bzw. Zugänge zur etablierten Politik herauszustellen. Engagement und Teilhabe sind dabei sicher die am wenigsten klar umrissenen Formen einer Beteiligung am politischen Prozess, während Empowerment aus der US-amerikanischen Debatte um die sogenannten Grassroot-Bewegungen stammt und deren ‚selbstermächtigte‘ Interventionen in oft bereits laufende Entscheidungsverfahren meint. Bei Partizipation könnte man schließlich die am stärksten an die institutionelle Politik angebundenen Formen einer Bürgerbeteiligung denken, für die es klare ‚Anschlussregeln‘ gibt – also Petitionen, Urwahlen, Bürgerhaushalte oder Volksentscheide. Wichtig ist für mich dabei immer das Verhältnis zwischen Bürgern und verfassten politischen Akteuren.
Märker Die Beratung oder Unterstützung etwa von Kommunen oder Ministerien bei der Planung und Umsetzung von Bürgerbeteiligung startet bei mir immer mit Fragen wie ‚Woran soll wozu wer beteiligt werden?‘. Es Bedarf also immer einer Zielerklärung und einer Einhegung dessen, worum es überhaupt gehen soll mit Blick auf die möglichen Beteiligungsinhalte (wie Fragestellungen etc.) und mit Blick auf die ansonsten laufenden Prozesse, zu denen die Beteiligung ins Verhältnis gesetzt und zu diesen anschlussfähig gemacht werden muss, soll sie nicht ins Leere laufen. Daher ist auch immer eine Begriffsklärung sinnvoll, und es ist sinnvoll, auch klare Abgrenzungen vorzunehmen. Partizipation sind dann in der Regel die von Verwaltung und/oder Politik initiierten Angebote, sich zu einem Problem, Projekt oder Plan zu äußern, also Verfahren, in denen Bürgerinnen und Bürger als Ideen-, Hinweis-, Vorschlags- oder Feedbackgeber aufzutreten. Ergebnisse fließen dann als zusätzlicher Beratungsinput in die entsprechenden Gremien ein, die sich dann – wenn es gut läuft – mit diesen ernsthaft, umfassend und sich erklärend und darüber kommunizierend auseinandersetzen. So gesehen sind Beteiligungsverfahren Konsultationen. Es geht hier also nicht zuvorderst um Engagement – auch wenn Verfahren Engagement voraussetzen und in Engagement münden können – und auch nicht um Teilhabe oder Empowerment.
merz Der Begriff Bürgerbeteiligung gibt zwar einen Hinweis darauf, wer sich beteiligen soll, aber welche Bürger sind konkret gemeint? Kinder, Jugendliche, Seniorinnen und Senioren, Politikerinnen und Politiker, kommunale Verwaltungsangestellte? Und, wer soll sich mit wem in Beteiligung begeben?
Wohlfahrt Ganz klar: zielgruppengerecht denken, planen und handeln! Und natürlich übergreifend: Warum sollten Kinder und Jugendliche nicht in Beteiligungsverfahren einbezogen werden, bei denen es zum Beispiel um Gestaltung in ihrem Stadtteil geht? Sie werden dort schließlich noch eine Weile leben. Die Erwachsenenperspektive deckt sicher nicht alle Ideen ab, die sie in den Prozess einbringen könnten. Pauschal kann man sicher nicht sagen, wer sich jetzt mit wem auseinandersetzen soll. Auch Verwaltungsvertreter sind übrigens Bürger ... Was ich wichtig finde: darauf zu achten, dass es nicht zu Ungleichgewichten kommt – Stichwort Lobbyismus oder Überhang von ganz bestimmten kraftvollen Interessensgruppen. Das gilt übrigens für Online- wie herkömmliche Offline-Beteiligung.
Bieber Inklusion scheint mir hier in der Tat ein wichtiges Stichwort zu sein. Grundsätzlich ist es natürlich sinnvoll, im Umfeld einer politischen Entscheidung möglichst viele ‚Stakeholder‘ in das Verfahren einzubeziehen. Dieser Begriff geht über die unmittelbar ‚Betroffenen‘ wie etwa Anrainer von Umgehungsstraßen oder Stromtrassen hinaus – aus der erweiterten Perspektive ergibt sich dann oft ein differenziertes Bild, der durchaus auch Unternehmen und Interessengruppen einschließt. Das ist insofern relevant, da gerade diese Gruppen sich ohnehin bemerkbar machen werden und damit das notwendige Ausbalancieren ungleicher Ressourcen vorausahnt. Grundsätzlich sollten politische Akteure bei der Gestaltung von Beteiligungsverfahren aber natürlich darauf achten, dass insbesondere jene Menschen erreicht werden, die als eher ‚politikfern‘ gelten. Genau das ist allerdings in vielen Fällen die schwierigste Aufgabe, denn noch immer gilt, dass selbst bei einem frühzeitigen und vorbildlichen Bekanntmachen die politikmüden oder -verdrossenen Bürgerinnen und Bürger kaum Notiz nehmen.
Märker Das hängt von den Zielsetzungen ab, bzw. dem Konsultationsgegenstand. Je nach Thema können unterschiedliche Teilöffentlichkeiten bzw. Zielgruppen interessiert bzw. betroffen sein. Dennoch sollten alle Beteiligungsangebote offen sein (#openparticipation), sodass diejenigen, die sich betroffen fühlen oder interessiert an einem zur Diskussion (Konsultation) stehenden Thema, einer Fragestellung oder einem Plan sind, sich prinzipiell beteiligen können – oder mit Blick auf die Legitimation und Aktzeptanz des Verfahrens: könnten. Verfahren sollten also inklusiv gestaltet werden, oder einfacher ausgedrückt: möglichst viele und möglichst viele unterschiedliche Gruppierungen ansprechen, so gestaltet sein, dass sie die Zielgruppen auch in die Lage versetzen, sich beteiligen zu können, was zum Beispiel manchmal durch crossmediale Angebote (verschiedene Beteiligungskanäle) eher gelingen kann, also nur durch einen einzigen Kanal. Bürgerbeteiligungsangebote können aber nicht nur ‚aus sich heraus‘ politikferne Akteure zu aktiven Beteiligten machen. Hier sind weitere Maßnahmen notwendig, die wahrscheinlich schon viel früher in den Schulen ansetzen müssen.
merz Partizipationsverfahren werden von Kritikerinnen und Kritikern manchmal als eine Mitmachfalle getitelt. Wann ist Vorsicht geboten? Wann können wir von ‚echter‘ Beteiligung sprechen?
Wohlfahrt Beteiligung ist immer dann echt, wenn es wirklich etwas zu entscheiden gibt. Oder Ideen und Vorschläge wirksam in Gestaltungsprozesse und Entscheidungen einbezogen werden, und das nach dem Gebot der Transparenz. Es muss nachvollziehbar sein, was mit den Beiträgen und Voten der Bürger in Beteiligungsverfahren passiert. Vorsichtig wäre ich immer dann, wenn die Politik plötzlich kurz vor anstehenden Wahlkämpfen das Beteiligungsthema als das ihre entdeckt. Beteiligung sollte nicht nur sporadisch hier und da angeboten werden, sondern ernsthaft ins System integriert werden. Das Beteiligungsthema darf kein Wahlkampfgeschenk oder ablenkender Balsam sein, um an den entscheidenden Reglern im System letztlich doch verändern zu müssen.
Bieber Zentral ist die Transparenz des Verfahrens und die Sicherung der Anschlusskommunikation. Wenn die Reichweite des eigenen Mitmachens, der Nutzen des Investierens wertvoller Zeit unklar bleibt, werden sich Bürger von den Beteiligungsangeboten wieder abwenden. Häufig bleibt unklar, was mit einem Bürgervotum geschieht und wie institutionelle Akteure die Resultate von Bürgerbefragungen in den weiteren politischen Prozess integrieren. Dies muss frühzeitig geklärt werden, zudem müssen die einzelnen Arbeitsschritte gut und einfach zugänglich dokumentiert werden. Bei der ePartizipation sind im Übrigen auch die neuen ‚Träger des Verfahrens‘ gefordert, die durch die praktische Gestaltung und Umsetzung der online-basierten Beteiligungsprozesse in der Verantwortung stehen. Diese Dienstleister können nicht nur den konkreten Zugang der Zielgruppen erleichtern (oder erschweren), sie können auch die Bekanntmachung und die Nachvollziehbarkeit verbessern (oder verschlechtern). Insofern entsteht hier eine neue Gruppe von Akteuren, die in diesen ‚Public-Private-Partnerships‘ eine zunehmend wichtige Rolle spielen.
Märker Klaus Selle hat hier ja einen wichtigen Begriff geprägt: "Particitainment" (Selle, Klaus (2011). "Particitainment" oder: Beteiligen wir uns zu Tode? PNDonline, 2011. www.planung-neu-denken.de [Zugriff: 10.08.2015]), in der Beteiligung, weil alle sie fordern und irgendwie gut finden, zum Selbstzweck wird und daher lediglich als ‚Partizipative Fassade‘ dient, wesentliche Fragen der Einbindung und nachhaltigen Verwertung der Bürgerbeteiligungsergebnisse (nachdem die externen Moderatoren wieder weg sind) nicht stattfinden. Ich stimme insofern voll den Aussagen von Wohlfahrt und Bieber zu: Sicherung der Einbettung und der Anschlusskommunikation sind von zentraler Bedeutung in Verbindung mit Transparenz und Kommunikation der Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung. Nur dann kann Beteiligung Relevanz entfalten und können Mitmachfallen vermieden werden.
merz Internet und Demokratie – mehr Chancen oder mehr Schein als Sein? Was kann man erwarten und wo ist der Wunsch eher Vater des Gedankens? Sind die wiederholt hohen Erwartungen an Partizipationsverfahren überhaupt zu bedienen?
Wohlfahrt Partizipation macht natürlich nicht einfach auf Knopfdruck unsere Demokratie besser. Schaut man sich Studien und Umfragen zu Partizipation an, so wünschen sich viele Bürger, mehr in Entscheidungsprozesse einbezogen zu werden. Und: Sie würden sich auch beteiligen. Andererseits sind wir seit Jahren mit deutlich sinkender Wahlbeteiligung konfrontiert. Da läuft irgendetwas schief. Beteiligung ist natürlich auch anstrengend – für alle Akteure, Bürger, Politik und Verwaltung. Sie braucht Zeit, zum Beispiel, um sich zu informieren oder um Argumente zu formulieren, zu prüfen, aufzubereiten. Das erfordert einen laufenden Lernprozess für alle Seiten. Dabei sollten die Verfahren im Nachgang unbedingt auch kritisch evaluiert werden. Nur so kann Beteiligung noch besser gestaltet werden – zum Nutzen aller: Gesellschaft, Verwaltung und Politik.
Bieber Sicher darf man nicht alle Hoffnungen auf die ‚Verbesserung‘ der Demokratie, auf die digitale Mediennutzung projizieren. Das Internet bzw. die Kommunikation in digitalen Medienumgebungen ist (und bleibt) aber in jedem Fall ein Hoffnungsträger für Akzeptanz und Umsetzung politischer Prozesse. Den Grund dafür sehe ich aber nur bedingt in der technologischen Entwicklung oder der Ansprache neuer, insbesondere jüngerer Zielgruppen. Ganz entscheidend ist für mich die Umstellung auf ein aktiveres Medienverhalten im Vergleich zu den traditionellen Massenmedien wie Presse, Rundfunk und Fernsehen. Mediennutzung ist heutzutage in ihrer digitalen Form immer auch schon Medienproduktion – die ‚Aktivierung des Publikums‘ ist dabei das Stichwort in der sozialwissenschaftlichen Medien- und Kommunikationsforschung: Durch das Internet wird aus einem verteilten, auf Rezeption ausgerichteten Publikum ganz allmählich eine stärker auf Teilhabe orientierte Öffentlichkeit.
Märker Wichtig ist, dass Erwartungen an Partizipation verfahrensadäquat formuliert werden. So sind Erwartungen wie ‚hohe Teilnehmerzahlen‘ (was auch immer darunter verstanden wird) oder gar ‚repräsentative Ergebnisse‘ sicherlich fehl am Platz, weil es gar nicht zuvorderst die Funktion bzw. Zielsetzung von Bürgerbeteiligungsverfahren ist, dies zu erreichen. Es geht halt nicht um ‚One man, one vote‘. Man darf aber ruhig anspruchsvolle Zielsetzungen formulieren mit Blick auf ‚Inklusivität‘, ‚Qualität der Ergebnisse‘ oder ‚Umfang bzw. Qualität der politisch-administrativen Auseinandersetzung mit Bürgerbeteiligungsergebnissen‘. Hier gibt es noch viel zu tun. Aber die Öffnung politischadministrativer Planungs- und Entscheidungsvorbereitungsverfahren ist ein Prozess, der – wie Wohlfahrt richtig anmerkt – nicht auf ‚Knopfdruck‘ gelingen wird. Wichtig ist ganz sicher auch die von Bieber angesprochene Umstellung auf ein ‚aktiveres Medienverhalten‘, das zu einer ‚auf Teilhabe orientierten Öffentlichkeit‘ führt – und damit zu einem Umfeld, das auf die guten alten Institutionen in den Verwaltungen ordentlich Druck ausübt und ausüben wird, sich mehr als bisher zu öffnen.
merz Kann es heute noch Beteiligungsverfahren ohne Internet und digitale Medien geben? Ist ePartizipation Pflicht?
Wohlfahrt Beteiligungsverfahren ohne das ‚Digitale‘ kann es wohl heute nicht mehr geben. Schon alleine deswegen nicht, weil natürlich auch Politik und Verwaltung im Netz über Beteiligungsprojekte informieren und hier schon heute Projektseiten oder Plattformen anbieten, über die Bürgerinnen und Bürger sich einbringen können. Umgekehrt kann es aber auch kein Beteiligungsverfahren ohne die ‚Offline-Komponente‘ geben, also Bürgerversammlungen oder Briefkastenverfahren, damit man Ideen und Stimme einbringen kann. Es wird auch auf Strecke immer Bürgerinnen und Bürger geben, die über das Internet nicht erreicht werden können. Oder wollen. Beteiligungsverfahren müssen deshalb immer noch in mehreren Kanälen gedacht und geplant werden, analog wie digital. Das sichert dann auch, dass die Gruppen, die sich einbringen, möglichst bunt und vielfältig sind.
Bieber Die digitale Erweiterung von Beteiligungsverfahren ist heute zum Standard geworden – dabei spiegelt ePartizipation nur den allgemeinen ‚Digitalisierungstrend‘ der Politik. Da sich auch in anderen Phasen und Bereichen von Politik das Internet als immer wichtigere Plattform für das Aushandeln strittiger Fragen, das Führen öffentlicher Debatten und die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner etabliert, kann der Bereich der Bürgerbeteiligung davon nicht ausgenommen und gewissermaßen ‚zwangsanalogisiert‘ werden. Darüber hinaus ist ja auch bekannt, dass bei der reinen ‚Offline- Gestaltung‘ von Beteiligungsverfahren das Interesse der Bürgerschaft auch nicht sonderlich hoch ist. Insofern führt an der digitalen Beteiligung aus meiner Sicht kein Weg mehr vorbei.
Märker Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben ;-). Will sagen: Wohlfahrt und Bieber haben hierzu fast alles gesagt, was es zu sagen gibt. Ergänzend nur: Am Anfang sollte immer die Frage stehen: Wozu soll Beteiligung angeboten werden? Wenn das geklärt ist, erst dann kann man sich über sinnvolle Wege und mögliche Instrumente unterhalten. Daher ist die ‚Mit-oder-ohne-E-Frage‘ an sich genauso solange sinnlos wie die Frage, ob man mit dem Auto oder mit dem Fuß an ein Ziel kommen will, solange das Ziel nicht bekannt ist.
Was ich unbedingt noch sagen möchte …
Wohlfahrt Mehr Mut zur Öffnung! Beteiligung in politische und Verwaltungssysteme zu integrieren, bedeutet, dass sich diese Systeme öffnen müssen. Offene Verwaltung und ‚Open Government‘ erfordert einen Kulturwandel. Open Government steht für das offene Handeln von Regierungen und Verwaltungen. Öffnung bedeutet aber auch: Wer sich einbringen möchte oder soll, muss zunächst einmal wissen, worum es überhaupt geht. Das erfordert Informationen, die gegebenenfalls auch über Vermittler wie Journalisten oder organisierte Bürgervereine recherchiert werden. Diese Informationen müssen freigegeben werden – ganz im Sinne der Nachvollziehbarkeit von Verwaltungshandeln. Dazu gehört auch, das Prinzip Open Data umzusetzen. Open Data – noch so ein sperriger Begriff – bedeutet: Datensätze der Verwaltung für die Allgemeinheit freizugeben, zum Beispiel über Open Data-Portale oder im Hamburger Transparenzportal. Auch Daten sind Recherche- und Informationsquellen.
Bieber Mehr Mut zur Normalität! Auch in 2015 werden die digitalen Politikprozesse häufig noch als ‚Experiment‘ oder ‚Wagnis‘ bezeichnet – ich denke, dass für viele Menschen der Umgang mit den Effekten der Digitalisierung längst in vielen Lebensbereichen eine dauerhafte Präsenz erreicht hat und nichts ‚Exotisches‘ mehr ist. Zumindest im Bereich der privaten Kommunikation werden digitale Medien von einem breiten Querschnitt der Bevölkerung ziemlich selbständig genutzt: Wenn Freundes- und Kollegenkreise, Schulklassen oder auch Familien ihre interne Kommunikation heutzutage wie selbstverständlich über WhatsApp regeln, warum sollten sie dann nicht auch in der Lage sein, diese Kompetenzen in politische Beteiligungsverfahren einzubringen? Hier würde ich für weniger Aufgeregtheit im Umgang mit den Möglichkeiten digitaler Information, Kommunikation und Partizipation plädieren – dieses ‚Neuland‘, von dem immer wieder die Rede ist, hat für viele Menschen seinen Schrecken längst verloren.
Märker E-Partizipation ist Partizipation.
Das Interview wurde geführt von Jürgen Ertelt.
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