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Birgit Irrgang: Medienethik im Diskurs

Prinzig, Marlis/Rath, Matthias/Schicha, Christian/Stapf, In¬grid (Hrsg.). (2015). Neuvermessung der Medienethik. Bilanz, Themen und Herausforderungen seit 2000. Wein-heim/Basel: Beltz Juventa. 392 S., 39,95€.

Häufig werden Werte mit Traditionen und Vermächtnissen aus vergangenen Tagen gleichge-setzt – und erhalten dadurch ein etwas verstaubtes Image. Allerdings ist gerade in der Wertediskussion ein stetiges Anpassen und Neuausrichten an sich verändernde Gegebenheiten notwendig. Besonders in Bereichen, in denen ständig neue Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten entstehen, wird der Ruf nach Normen – die regeln, was moralisch ge-boten, verboten oder erlaubt ist – laut. Globale Medienmärkte und -praktiken, eine umfassende Medienkonvergenz sowie veränderte Nutzungsbedingungen stellen die Medienethik vor neue Herausforderungen. Die Neuvermessung der Medienethik war daher im Jahr 2013 Thema der Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik und des Netzwerk Medienethik. Um die Ergebnisse und Beiträge der Tagung zu sichern, haben Marlis Prinzig, MatthiasRath, Christian Schicha und Ingrid Stapf das Sammelwerk Neuvermessung der Medienethik. Bilanz, Themen und Herausforderungen seit 2000 herausgegeben. Überlegungen, Forschungsergebnisse und Forderungen gliedern sich darin in sechs Teilgebiete.

Von der Fachgeschichte und Fachzunft über die Klärung von Begrifflichkeiten bis hin zu medialen Spannungs- und Anwendungsfeldern sowie einem Theorie-Praxis-Transfer – der Sammelband nimmt das Thema mit insgesamt 22 Aufsätzen ganzheitlich unter die Lupe. Die Entwicklung der deutschen Kommunikations- und Medienethik bildet den Einstieg. Im Kapitel Fachgeschichte und Fachzunft wird unter anderem ein „konsequente[r] Übergang zur Interdisziplinarität sowie die Wiedergewinnung transdisziplinärer Perspektiven durch den Einbezug von Praktikern“ (S. 11) gefordert. Begriffe, Theorien und die Systematisierung der Medienethik bilden den zweiten Teilbereich. Dessen Schwerpunkte liegen auf der Definition der Medienethik als angewandte Ethik sowie auf Überlegungen über eine ‚Ethik des medialen Zeitalters‘.

Nicht nur der Journalismus wird als mediales Spannungs- und Anwendungsfeld identifiziert. Neue Medien sowie Medienakteurinnen und -akteure müssen auch in den Diskurs um medienethische Fragestellungen einbezogen werden. Auch Computerspiele als Alltagshand-lung fordern moralische Entscheidungen. Daher werden aus der Perspektive der Rezipiente-nethik die Verantwortungshorizonte der unterschiedlichen Akteurinnen, Akteure und Institu-tionen betrachtet. Als Spannungsfeld wird auch das Internet identifiziert. Dabei wird der Fokus vor allem auf den Zusammenhang von Internetnutzung und sozialer Ungleichheit gelegt. Netzneutralität sowie der technische Zugang zu Online-Angeboten werden von Alexander Filipović genauer beleuchtet. Die Neuvermessung der Medienregulierung wird in einem eigenen Kapitel behandelt. Die Frage nach journalistischen Standards spielt hier eine wesentliche Rolle. Kostenlose Veröffentlichungen und Fluten von Informationen im Internet stellen Journalistinnen und Journalisten immer wieder vor die Frage, wie Qualität gesichert werden kann. Das Kapitel ‚Theorie-Praxis-Transfer und Methoden‘ greift erneut das komplizierte Verhältnis von Medienethik und Journalismus auf. In der Praxis wird deutlich, dass gerade der Umgang mit Online-Kommentaren geregelt sowie über ein ‚Recht auf Vergessen‘ im Netz nachgedacht werden müsste. Abschließend beschreibt Marlis Prinzig die Situation der Medienethik in der Ausbildung. An Hochschulen, Universitäten sowie an Journalistenschulen spielt die Medienethik – trotz großen Interesses vonseiten der Auszubildenden und Studierenden – keine große Rolle. Prinzig fordert die Medienethik stärker in der Ausbildung von Medienberufen zu verankern.

Der Sammelband Neuvermessung der Medienethik schafft es, auch unerfahrene Leserinnen und Leser mitzunehmen, obwohl es sich nicht um ein in die Medienethik einführendes Werk handelt. Durch die Beschreibung der Entwicklung der deutschsprachigen Kommunikations-und Medienethik sowie das anfängliche Klären von Begrifflichkeiten werden Leserinnen und Leser an die Thematik herangeführt und können nachvollziehbar der anschließenden Diskussion folgen. Die Perspektivenvielfalt, aus der die Neuvermessung der Medienethik beleuchtet wird, ist einmalig. Es gelingt hier, sich von alten Begrifflichkeiten und Modellen loszureißen und neue Perspektiven einzunehmen. Es wird deutlich, dass Medienethik mehr als nur der Pressekodex im Bereich des Journalismus ist und weitere mediale Handlungsfelder in die Diskussion mit einbezogen werden müssen. Allerdings liegt auch in Neuvermessung der Medienethik der Schwerpunkt auf journalistischen Fragestellungen.

Die Frage nach Qualitätssicherung und journalistischen Standards – auch im digitalen Zeitalter – wird umfassend beleuchtet. Obwohl Marlis Prinzig das Fazit zieht, „dass in einer Mediengesellschaft, bei der sich das Publikum zur Community entwickelt, in der jeder publizieren kann, auch jedem die ethischen Grundlagen des Publizierens bekannt sein müssen“ (S. 18), kommen Ansätze zu kurz, die sich auf die Alltagswelt von Kindern und Jugendlichen beziehen, welche sich selbstverständlich in der Onlinewelt bewegen und Beiträge, Meinungen und Informationen veröffentlichen. Gleichwohl wird deutlich, dass Handlungsempfehlungen für die Medienbildung längst überfällig sind. Medienethik wird nicht nur als Professionsethik gesehen, vielmehr steht der zivilgesellschaftliche Charakter im Vordergrund. Empfehlenswert ist der Sammelband für eine breite Öffentlichkeit. Nicht nur in (medien-)ethischen Fachkreisen sind die Thematik und deren Umsetzung lesenswert.

Die fachliche Expertise von 24 Autorinnen und Autoren gesammelt in einem Werk spricht zusätzlich für sich. Vor allem auch für die Medienpädagogik liefert das Herausgeberwerk einen wichtigen Beitrag, medienethische Fragestellungen sowie die aktuellen medienethischen Diskussionen in die praktische Arbeit zu integrieren und auch mit Kindern und Jugendlichen zu diskutieren.


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