Christa Gebel: Familienbilder in der aktuellen Kinder- und Jugendliteratur
Tagung der Internationalen Jugendbibliothek München
Was die Kinder-und Jugendliteratur an Familienbildern bietet, angefangen bei Märchen und Bilderbüchern bis hin zum Adoleszenzroman, beleuchtete die gut besuchte Tagung derInternationalen Jugendbibliothek München am 08. Juni 2011, die gleichzeitig der Auftakt zur Bilderbuch- Ausstellung „Alles Familie!“ war, die ab September 2011 zur Wanderausstellung wird (Anfragen an die Internationale Jugendbibliothek). Tragische und grausam ausgetragene Familienkonflikte liefern seit jeher einen existenziellen Erzählstoff, wie Dr. Kristin Wardetzky, Professorin für Theaterpädagogik an der UdK Berlin, in ihrem lebendigen Vortrag zu Familienbanden in Mythen und Märchen darlegte. Während in der Mythenwelt Hass, Mord und andere Verbrechen ohne positive Wendung bleiben, zeichnen sich die Familienkonflikte im volkstümlichen Märchen dadurch aus, dass ein von älteren Geschwistern oder Stiefeltern grausam vernachlässigtes oder misshandeltes Kind sich von dieser Drangsal erfolgreich befreit.
Die Erzählperspektive fordert Parteinahme für das unterdrückte Kind und rechtfertigt damit dessen häufig skrupellose Vergeltung. Dadurch ist Wardetzky zufolge der kindliche Entwicklungskonflikt der Individuation angesprochen. Auch wenn Kinder der Handlung schaudernd folgen, wollen sie in Angstlust die Märchen durchaus immer wieder hören. Denn die poetische Sprache des Märchens, die der Alltagswelt entrückte Ansiedlung der Handlung sowie ein glückliches Ende, das häufig mit der Läuterung eines geliebten Elternteils verbunden ist, ermöglichen es den Kindern, die nötige Distanz aufzubauen. Das Familienbild in Bilderbüchern entspricht noch weitgehend der klassischen Kernfamilie. Eineltern-, Patchwork-, Regenbogen-, Adoptions- und multilokale Familien – all das kommt im Kinderbuch noch zu kurz und knüpft damit nicht an die Lebenswirklichkeit vieler Kinder an, so Hilde Elisabeth Menzel, die die Ausstellung „Alles Familie!“ vorbereitetet hatte. Auf gelungene Ausnahmebeispiele verweist die Ausstellung, nahezu erfolglos bleibt jedoch die Suche nach Migrationsfamilien. Bilderbücher,die Familienkonflikte thematisieren, verschwinden trotz hoher Qualität allzu häufig wieder vom Markt, denn Eltern meiden wohl die Auseinandersetzung mit schuldbehafteten Themen. Auch als Geschenk mögen diese Bücher zu symbolträchtig erscheinen. Umso mehr Gewicht haben hier Kitas und Bibliotheken, die nicht mehr Lieferbares vorhalten, um Kindern die Auseinandersetzung mit diesen Themen zu erleichtern.
Den gegenteiligen Trend gibt es in der aktuellen Kinder- und Jugendliteratur zu verzeichnen, wie Tilmann Spreckelsen (FAZ) für das Kinderbuch und Christine Knödler (LMU München) für den Adoleszenzroman aufzeigen. Im Kinderbuch stehen nicht selten Kinder mit Problemfamilien im Mittelpunkt, denen mehr abverlangt wird, als sie tragen können, etwa den Verlust eines Elternteils zu verkraften und dazu noch die lähmende Trauer des anderen. Vielfach erkennbar ist der Wunsch nach anwesenden und ganz normalen, nicht notwendigerweise heldenhaften Vätern.Im Adoleszenzroman spielen Eltern kaum eine Rolle, sie sind als personifizierte Abenteuerverhinderer häufig ins Abseits verbannt. Werden Familienbande jedoch thematisiert, kann es offenbar kaum dramatisch und beklemmend genug zugehen und kein Tabu bleibt ungebrochen, so Christine Knödler. Väter als Täter, Familie als Alptraum, das sind Leitmotive sowohl hochwertiger Werke als auch weniger erwähnenswerter Bücher. Die Vermutung, dass hier Überbietungsmechanismen am Werke sind, liegt nahe. Ob dies den Bedürfnissen der jugendlichen Leserschaft entspricht, bleibt offen, denn Rezeptionsforschung fehlt. Dies gilt ebenso für Bilderbücher und Kinderliteratur.
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