Dagmar Hoffmann/Susanne Eggert: Gender Media – Praktiken und Forschungsbedarf
Editorial
Die Auseinandersetzung mit dem Konnex ‚Medien und Geschlecht‘ scheint gerade in medienpädagogischen Kontexten eine Selbstverständlichkeit zu sein, gleichwohl hält man sie in postfeministischen Zeiten nicht selten für überholt und überflüssig. So berichtet die britische Kommunikationswissenschaftlerin Karen Ross in der Einleitung zu ihrem Buch Gendered Media (2010), dass sie sich immer wieder für ihr Projekt hat rechtfertigen müssen und einige in ihrem Umfeld meinten: „Another one?“ Dabei ist es bei genauerer Betrachtung auch international ein Trugschluss, dass es sich hier um einen überforschten Themenzusammenhang handelt. Genderfragen sind in Zeiten der Digitalisierung, des Social und Political Web, der kulturellen Partizipation und vielfältigen Darstellungs- und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten insbesondere im Netz äußerst bedeutsam.
Studien finden sich aber kaum. Konfrontiert ist man mit medialen Genderstereotypen und geschlechtsspezifischen Medienpraktiken, die viele Fragen aufwerfen. Ruft man das Thema auf, wird zumeist eine differenztheoretische Perspektive assoziiert, die auf Geschlechterverhältnisse und normierende Geschlechterentwürfe und/oder verschiedene Mediennutzungsweisen von Mädchen und Jungen, Frauen und Männer fokussiert. Allerdings haben sich durch vielfältige gesellschaftliche Veränderungen Geschlechterordnungen und Arrangements in den letzten Jahrzehnten durchaus verändert. Sie haben sich mitunter flexibilisiert und liberalisiert, sind zugleich aber auch unübersichtlicher geworden. Im Alltag müssen Menschen nicht mehr immer als Geschlechtswesen auftreten. Ob bestimmte Dienstleistungen von Frauen oder Männern ausgeübt werden, spielt für die Kundin oder den Kunden zumeist keine Rolle mehr.
Aber nicht alle Arbeits- und Berufsbereiche zeichnen sich durch eine Gleichstellung der Geschlechter aus, wie man etwa an der Debatte um den Einsatz der Sportkommentatorin Claudia Neumann bei der Fußball- Europameisterschaft im letzten Jahr gesehen hat. Diversität ist demzufolge – vor allem im Medienbereich (vgl. Klaus/Lünenborg 2013) – noch keine Selbstverständlichkeit. Westliche Gegenwartsgesellschaften sind zwar insgesamt gegenüber Ungleichheiten sensibler geworden, dennoch bleiben ihre Mitglieder dem Denken in sozialen Kategorien oftmals verhaftet und Merkmale wie Geschlecht und Sexualität, Alter und ethnische Herkunft verlieren nicht an Bedeutung. Noch immer finden sich Stereotype und Vorbehalte, werden Frauen – wie der aktuelle Bericht über Frauen in Kultur und Medien zeigt (vgl. Schulz/Ries/Zimmermann 2016) – in bestimmten Medienberufen und künstlerischen Sparten ausgegrenzt. Aber auch Männer sind in Arbeitsfeldern wie beispielsweise in der Pädagogik und in etlichen Dienstleistungsbereichen nicht ohne weiteres anzutreffen.
Aktuelle Fragestellungen und Herausforderungen
Es lässt sich beobachten, dass bestimmte Themen und Kommunikationsräume durchaus geschlechtsspezifisch besetzt, genutzt und angeeignet werden. So sind Autorinnen bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia immer noch in der Minderheit. Der Anteil der von Frauen verfassten Artikel beträgt weniger als ein Viertel (vgl. Falke 2013). Mädchen und Frauen sind hingegen dominant vertreten, wenn es um das Betreiben von Fashion-, Beauty- und Food- Blogs oder aber das Einstellen von Haul-Videos bei YouTube geht. Bekannte hegemoniale und patriarchale Strukturen reproduzieren sich trotz aller Emanzipations- und Gleichstellungsbemühungen im Netz und auch in anderen Medienformaten sowie in kulturellen Bereichen (für einen Überblick siehe z. B. Prommer/Schuegraf/ Wegener 2015; Maier/Thiele/Linke 2012; Ross 2012). Hatte man in den 1990er-Jahren die Hoffnung, dass sich Geschlechterrollen durch neue Ausdrucksformen und Möglichkeiten der Selbstkonstruktion im Netz aufweichen könnten (vgl. Turkle 1995; Musfeld 1999), so lässt sich eine Überwindung normierter Zweigeschlechtlichkeit bislang kaum erkennen. Mediale Aushandlungen von Homosexualität, Transgender und Intersexualität sind zwar deutlich präsenter als in Pre-Internet-Zeiten, bilden aber dennoch – quantitativ betrachtet – eher Ausnahmen. Ausgehend von den vielfach reklamierten gendersensiblen (Forschungs-)Perspektiven in den Medien- und Kommunikationswissenschaften (vgl. z. B. Maier/Thiele/Linke 2012; Lünenborg/ Maier 2013) gilt es deutlich zu machen, inwieweit diese in der Praxis zur Selbstverständlichkeit, ja zum Mainstream, werden können. Die kritische Auseinandersetzung mit Medienformaten, die soziale Gruppen diffamieren, ist besonders in Zeiten dringlich, in denen rückwärtsgewandte Rollenbilder in Parteiprogrammen zu finden sind, es kollektiv organisierte sexistische Übergriffe gibt, ‚schwul‘ ein gängiges Schimpfwort ist, das Spott und Ausgrenzung demonstriert, und in denen LGBT1-Jugendliche mehrheitlich von Diskriminierungserfahrungen in ihrem sozialen Umfeld berichten (vgl. Krell/ Oldemeier 2016).
Zu diesem Heft
Den Auftakt macht Sigrid Kannengießer, die in ihrem Beitrag das breite Forschungsfeld der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Geschlechterforschung umreißt, dabei die Veränderungen der Forschungsschwerpunkte von den Anfängen bis heute aufzeigt und letztlich über aktuelle Tendenzen in der Forschung informiert. Am Beispiel des Cyberfeminismus macht sie deutlich, wie Frauen Internetmedien zur Vernetzung und politischen Mobilisierung nutzen. Im Anschluss diskutiert Angela Tillmann kritisch die vielfach diskutierten feministischen Hoffnungen, die damit verknüpft sind, das Internet als ein demokratisches Medium zu begreifen und es zu nutzen, um ungleiche Geschlechterverhältnisse zu verhindern und Geschlechterdualismen aufzubrechen. Anhand einschlägiger Studien und zahlreicher Beispiele kann sie veranschaulichen, inwieweit dies bisweilen auch durchaus gelingt. Die Autorin hebt jedoch kritisch hervor, dass sich im Netz aber auch Ungleichheiten fortsetzen und reproduzieren sowie bei bedeutsamen Partizipationsformen und Selbstinszenierungspraktiken ein starker Genderbias besteht. In ihrem Fazit hält sie fest, dass von einem „Geschlechterbeben im Internet“ nicht die Rede sei, sondern althergebrachte Dichotomien weiterhin spezifische Interaktionsformen und Machtrelationen, Ein- und Ausschließungsprozesse als auch Partizipationsprozesse begründen. Florian Krauß widmet sich einem neuen Ansatz im Bereich der Gender Media Studies, der sich mit der Analyse transspezifischer Medienpraktiken beschäftigt. Es wird in den Transgender Media Studies dafür plädiert, dass nicht nur Repräsentationspraktiken als Teil des Doing Gender erforscht werden sollen, sondern verstärkt auch die realen Bedingungen, unter denen Trans-Menschen leben, und Diskriminierungen, die sie erleben, berücksichtigt werden. Medien spielen dabei eine bedeutsame Rolle, da sie sexuelle Diversität präsentieren können oder eben nur einschränkt sowie bestimmte sexuelle Orientierungen als besondere vermitteln. Repräsentationspraktiken und konkrete, materielle Bedingungen sind immer miteinander verzahnt und sollten auch in dieser Interdependenz untersucht werden. So fungieren mediale Repräsentationen häufig als Teil von Diskriminierungen, indem sie diese verstärken oder eine Tradition der Pathologisierung, Fremdbestimmung und Stereotypisierung fortführen. Bisweilen hat aber auch eine eindimensionale Forschungsperspektive ihren Anteil daran. Im Interview erklärt Stevie Meriel Schmiedel von der Protestinitiative Pinkstinks, welche konkrete Aufklärungsarbeit zu leisten ist, wenn es darum geht, Eltern und Lehrende sowie Jugendliche für medial verbreitete unzeitgemäße Rollenbilder und für Diversitätsdenken zu sensibilisieren. Mit ihren Kampagnen kritisiert die Protestorganisation vor allem das zunehmende Gender-Marketing und Sexismus in der Werbung. Nicht unproblematisch sind auch Präsentationen der YouTube-Stars, die für Heranwachsende orientierende Funktionen übernehmen. Annekatrin Bock und Merja Mahrt haben an einigen Videos der bei Zehn- bis 15-Jährigen beliebten YouTube-Kanäle BibisBeautyPalace und ApeCrime exemplarisch die Präsentation von Geschlechterrollen untersucht. Sie stellen dabei fest, dass „die dargestellten Rollenbilder klassische genderstereotype Darstellungen reproduzieren“ (S. 46). Aus medienpädagogischer Perspektive gilt es diese Entwicklung im Auge zu behalten, da es den YouTuberinnen und YouTubern – anders als vielen Protagonistinnen und Protagonisten beispielsweise in Fernsehangeboten – oftmals gelingt, einen persönlichen Kontakt zu den Nutzenden herzustellen. Durch die geringe soziale Distanz genießen die YouTube-Stars eine große Glaubwürdigkeit bei den Heranwachsenden. Abschließend stellen die beiden Medienpädagoginnen Gabi Uhlenbrock, die sich vor allem für Games begeistern kann, und Sonja Breitwieser, von Anfang an von (Computer-)Technik fasziniert, im Interview mit Klaus Lutz ihre Erfahrungen mit und ihre Einstellung zur Bedeutung von Geschlecht in der medienpädagogischen Arbeit mit dem Computer dar. Beide sind der Meinung, dass geschlechtsspezifische Arbeit auch in einem Feld bzw. mit einem Medium, dem Computer, das stärker mit Jungen bzw. männlichen Jugendlichen verbunden wird, nicht unbedingt notwendig ist, manchmal aber hilfreich sein kann. Zwar bietet der Markt oft geschlechtsspezifisch konnotierte Angebote, aber auch hier lohnt es sich, sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Dennoch kritisiert Uhlenbrock die oftmals sexistische Darstellung von Frauenfiguren in Games. Der Schwerpunkt dieser Ausgabe von merz ist so gestaltet, dass möglichst verschiedene Sichtweisen auf das Thema Geschlecht bzw. Gender und Medien zur Sprache kommen und ein Einblick in die aktuelle Forschung gewährt wird. Wir hoffen, damit einen Anstoß zu geben, den Blick auf ein immer wieder aktuelles gesellschaftspolitisches Thema zu lenken und wünschen eine aufschlussreiche und anregende Lektüre. Anmerkung1 LGBT ist die Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender.
Literatur
Falke (2013). Wikipedia Gender Gap Revisited. www.blog.wiki-watch.de/?p=2324 [Zugriff: 20.01.2017].
Klaus, Elisabeth/Lünenborg, Margreth (2013). Zwischen(Post-)Feminismus und Antifeminismus. Reflexionen zu gegenwärtigen Geschlechterdiskursen in den Medien. In: GENDER Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 5 (2), S. 78–93.
Krell, Claudia/Oldemeier, Kerstin (2016). I am what I am? Erfahrungen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und queeren Jugendlichen in Deutschland. In: GENDER Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 8 (2), S. 46–64.
Lünenborg, Margreth/Maier, Tanja (2013). Gender Media Studies. Eine Einführung. Konstanz: UVK.
Maier, Tanja/Thiele, Martina/Linke, Christine (Hrsg.) (2012). Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht in Bewegung. Forschungsperspektiven der Kommunikations- und medienwissenschaftlichen Geschlechterforschung. Bielefeld: transcript.
Musfeld, Tamara (1999). „Gender swapping in Cyberspace“.Postmoderne Auflösung von Raum und Identität oder Inszenierung des Geschlechterverhältnisses mit anderen Mitteln? In: Psychologie und Gesellschaftskritik, 23 (1/2), S. 9–27.
Prommer, Elizabeth/Schuegraf, Martina/Wegener, Claudia (Hrsg.) (2015). Gender – Medien – Screens. (De) Konstruktionen aus wissenschaftlicher und künstlerischer Perspektive. Konstanz: UVK.
Ross, Karen (Ed.) (2012). The Handbook of Gender, Sex and Media. Boston: Wiley-Blackwell.
Ross, Karen (2010). Gendered Media. Women, Men, and Identity Politics. Lanham/Pymouth: Rowman & Littlefield.
Schulz, Gabriele/Ries, Carlin/Zimmermann, Olaf (2016). Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvorschläge Berlin: ASTOV.
Turkle, Sherry (1995). Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet. New York: Simon & Schuster.
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