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Dagmar Hoffmann und Susanne Heidenreich: Zur Bedeutung und Funktion von Empowerment im Kontext inklusiver Medienpraxis

Editorial

Über die vielfältigen Vernetzungs-, Kollaborations-und Mobilisierungsmöglichkeiten durch neue mediale Öffentlichkeiten und damit verknüpft neue mediale Infrastrukturen, insbesondere Dienste, ist in den vergangenen Jahren viel diskutiert worden. Die Kommunikations- und Partizipationsangebote mittels vielfältiger Medien, Formate und Anwendungen haben sich enorm erweitert. Die neuen medialen Gegebenheiten haben Teilhabemöglichkeiten verändert und auch dazu geführt, dass sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen und/oder Menschen mit Behinderungen in den Medien stärker präsent sind. Anfang des Jahrhunderts attestierten Gerard Goggin und Christopher Newell (2003) dem Internet und den mobilen Telekommunikationstechnologien das Potenzial, das Leben von behinderten Menschen künftig zu revolutionieren. Insbesondere text-basierte Informationen können für Sehbehinderte in auditive Informationen transformiert werden, auch haben sich einige technische Assistenten etabliert, die Beeinträchtigungen kompensieren können. Doch der technologische Fortschritt und die besseren Zugangsbedingungen zu gesellschaftlichen Teilbereichen, die im Netz (re-)präsentiert werden, mindern und eliminieren – so Katie Ellis und Mike Kent (2011) – nicht ohne Weiteres vorhandene Stigmatisierungen von Be-hinderungen und den sozialen Ausschluss benachteiligter Gruppen. Es werden allenfalls die Lebenswelten und Bedürfnisse marginalisierter Menschen offensichtlicher, was nicht zugleich deren Akzeptanz bedeutet. Weiterhin sind vor allem die Betroffenen selbst aufgefordert, auf ihre Belange hinzuweisen und sich zu ermächtigen, auf Probleme aufmerksam zu machen, Hilfen einzufordern sowie Missstände aufzudecken.

Dem Internet wird ein besonderes demokratisches Potenzial zugeschrieben, es gilt bisweilen als Befreiungsinstrument, doch findet sich dort faktisch jeder mit seinen persönlichen und/oder kollektiven Interessen wieder? Ist es nunmehr wirklich für alle sozialen Gruppen einfacher geworden, sich zielorientiert öffentlich zu machen und sich mit persönlichen Problemen und Nöten ausreichend Gehör zu verschaffen? Zu fragen ist, welche vielfältigen Bemühungen es derzeit gibt, mittels digitaler Medien und Anwendungen die Integration marginalisierter Akteure zu fördern und sie zu ermutigen, am sozialen und kulturellen Leben gleichberechtigt teilzunehmen sowie offensiv ihre Rechte verstärkt einzufordern. In diesem Kontext ist Empowerment zu einem Schlagwort avanciert, dass auf die (Wieder-) Herstellung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Lebensalltags abzielt und Menschen befähigen soll, eigenverantwortlich für die eigenen Bedürfnisse, Interessen und Wünsche aktiv einzutreten und sich gegen Bevormundung zu wehren. Es geht darum, sich der eigenen Ressourcen und des eigenen Gestaltungsvermögens bewusst zu werden sowie positive Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und sozialer Anerkennung zu machen. Es sollen Wege aufgezeigt werden, wie man sich Zugang zu relevanten Informationen, Dienstleistungen und Unterstützungsressourcen verschaffen kann, die einem nützlich sind und die helfen, sich mit seinen Problemen nicht allein zu fühlen. Empowerment-Konzepte sind in den letzten Jahrzehnten in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen erprobt und bisweilen kritisch diskutiert worden. Sie haben eine längere Tradition in der Sozialen Arbeit, der Behinderten- und Heilpädagogik, sie sind aber auch in der Bewegungsforschungund Entwicklungspolitik vertreten und in Arbeiten der Cultural Studies zu finden. Fokussiert wird auf Aspekte von gesellschaftlichem Machtgewinn und der Stärkung der Autonomie marginalisierter Gruppen. Ferner gilt es, Menschen zu befähigen, Strategien zu entwickeln und anzuwenden, die ihnen bei der Bewältigung der alltäglichen Lebensbelastungen behilflich sind (vgl. u. a. Bröckling 2003; Herriger 2014).

 

Kernfragestellungen und Problemfelder

Im Mittelpunkt aktueller Betrachtungen stehen Prozesse von Selbstbemächtigung und Selbstkompetenz, die einerseits über die Thematisierung anlassbezogener, temporärer sowie auch dauerhaft relevanter Ereignisse und Probleme, andererseits über selektive Kooperationen und die Nutzung medialer Infrastrukturen möglich werden. Das Laut- und Sichtbarwerden marginalisierter Individuen und Gruppen soll eine verstärkte Sensibilisierung gewähren und ein neues Problembewusstsein seitens der breiten Bevölkerung gegenüber benachteiligten Menschen schaffen. Daraus könnten sich dann – so die damit verbundenen Hoffnungenund Intentionen – Unterstützungsmomente für Inklusionsbestrebungen in unterschiedlichen Bereichen ergeben. Zugleich werden aber auch die Herausforderungen und pädagogischen Handlungsbedarf ein verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen evident, werden die Grenzen des Möglichen und Machbaren proaktiver Selbstintegration marginalisierter Gruppen verdeutlicht. Im Kontext der Debatte um Empowerment-Strategien und inklusive Medienpraxis gilt es herauszufinden, inwieweit strukturelle Ermutigungsbedingungen konkret dazu beitragen können, soziale Benachteiligung, Diskreditierung und Diskriminierung transparent zu machen, ihnen entgegen zu wirken und sie gegebenenfalls überwinden zu helfen. Kaum systematisch untersucht sind bislang die Formen öffentlicher Artikulation – wie etwa Blogging – marginalisierter Gruppen, die effektiv der Empörung, der Kritik und Destigmatisierung dienen. Empowerment-Strategien fokussieren primär auf die benachteiligten Individuen, ihren Befähigungen und Defiziten, eher selten werden die Affordanzen digitaler Medien, Infrastrukturen und Dienste in den Blick genommen, wenn es um die potenzielle und faktische Förderung von Emanzipation, Integration und Inklusion geht. Zu fragen und zu ermitteln ist, ob Bedürftigkeiten sowie Ressourcen und Bereitschaften der Betroffenen mit den vorhandenen Medienangeboten eigentlich zusammenpassen und inwieweit sie gewinnbringend mit gewisser Nachhaltigkeit genutzt werden (können). Welche Kompetenzen sind basale Voraussetzung, um sich eigenständig für soziale und kulturelle Teilhabe stark zu machen und gegebenenfalls andere als Unterstützende und Mitmachende zu gewinnen? Empowerment-Konzepte dienen dazu, sich der eigenen Stärken und Macht bewusst zu werden, sie erlauben es, Schritt für Schritt mutiger zu werden, um sich einzumischen. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass bestimmten pädagogischen und psychologischen Empowerment-Maßnahmen auch Grenzen gesetzt sind.

 

Zu diesem Heft

Die Frage von Ulrich Bröckling, was Medien mit Empowerment zu tun haben, scheint fast beantwortet: Sie bemächtigen (auch marginalisierte) Individuen, Kommunikation vernetzter, leichter und effizienter zu gestalten, durch einen erleichterten, globalen Zugang zu Wissen und Waren. Zugleich etablieren sie neue Ansprüche an Kommunikation (ständige Erreichbarkeit) und Effizienz (Multitasking, Informationsselektion). „Die Kommunikationsmöglichkeit ist zur Kommunikationspflicht geworden“, so Bröckling. Er hinterfragt, welche Rolle das Konzept des Empowerment spielt, mit welchen Widersprüchen der Begriff ausgestattet ist und in welcher Paradoxie Macht und Ohnmacht im Empowerment-Begriff vereint sind. Im Anschluss begibt sich Alexander Röhm auf die Suche nach Prozessen, die zu stigmatisierenden und destigmatisierenden Medieneffekten führen (können). Vor allem die Potenziale von Medien zur Destigmatisierung von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderungen stehen im Fokus und die Frage, wie sie als Empowerment-Instrument nutzbar gemacht werden können. Die Debatte um Inklusion greift Jan-René Schluchterauf, indem er die Frage nach Chancen-gleichheit in und Zugangsgerechtigkeit zur mediati¬sierten Gesellschaft – unabhängig von sozialer und/ oder kultureller Herkunft, Geschlecht, Alter oder Behinderung – zum Anlass nimmt, den Zusammenhang von Medien und sozialer Ungleichheit zu beleuchten. Dabei stellt Schluchter Medien als Instrumente des Empowerment vor und erarbeitet den Zusammenhang zur aktiven Medienarbeit.

Einen weiteren Schritt gehen Alexander Schmoelz und Oliver Koenig auf ihrer Spurensuche nach einer inklusiven Medienpädagogik. Sie sprechen von einer „Not“ für jene Menschen, „die in ihrer Biografie keine Möglichkeiten für Erfahrungen des Medienzugangs, der Medienkompetenz und der Medienbildung hatten.“ Daraus entsteht die Notwendigkeit einer Medienpädagogik, die in der Lage ist, „befähigende Räume zu schaffen“. Die Journalistin Mareice Kaiser berichtet im Interview mit Dagmar Hoffmann über ihre Intentionen, ein inklusives Familienblog zu führen. Sie erläutert, welches Vorwissen und welche Kompetenzen von Vorteil sind, um solch ein Blog kreativ und erfolgreich zu betreiben. Eindrücklich schildert sie ihre Erfahrungen des digitalen Austausches mit Eltern, die ebenfalls ein Kind mit Behinderung pflegen und betreuen, sowie von behinderten-feindlichen Reaktionen. Abschließend werden zwei Beispiele vorgestellt, in denen Medien Instrumente für Empowerment sind. Die Artikel widmen sich aus zwei Sinnes-Perspektiven dem Medium Film: Kira van Bebber- Beeg analysiert anhand einer US-amerikanischen Fernsehserie die Partizipationsformen gehörloser Rezipierender, während Lena Hoffmann neue Möglichkeiten für blinde und sehbehinderte Menschen im Kino erläutert. Zwei Zugänge, die hörende und sehende Leserinnen und Leser dafür sensibilisieren, dass ein Kinobesuch oder Fernsehabend viel mehr sind als nur Freizeit und Unterhaltung, nämlich Selbstbemächtigung und Teilhabe!

Literatur:

Bröckling, Ulrich (2003). You are not responsible for being down, but you are responsible for getting up. Über Empowerment. In: Leviathan, 31 (3), S. 323–344.

Ellis, Katie/Kent, Mike (2011). Disability and New Media. New York/London: Routledge.

Goggin, Gerard/Newell, Christopher (2003). Digital Disa¬bility: The Social Construction of Disability in New Media. Lanham u. a.: Roman & Littlefield.

Herriger, Norbert (2014). Empowerment-Landkarte: Diskurse, normative Rahmung, Kritik. In: APuZ, 13–14, S. 39–46.


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