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Elisabeth Jäcklein-Kreis: Ich bin online, also bin ich

Demletzt, im ÖPNV meines Vertrauens, wurde ich unfreiwillig Zeugin eines Gespräches zweier Mädchen, mittleres Teenie-Alter, angetan mit Chucks, Eastpaks, Haarreifen und iPods. Thema – natürlich – Liebesglück und Liebesleid. Objekt der Begierde – in diesem Fall – „der süße Typ aus dem Schulbus“.

Problem – naheliegend – die Kontaktaufnahme. Während das leidgeplagte Opfer von Amors neuestem Pfeil nur scheue Blicke aus der Ferne wagte, erwies sich die zu Rate gezogene Freundin als patenter und musste nicht lange um gute Ratschläge gebeten werden: „Ganz klar, du gehst hin und fragst nach seiner Handynummer!“

Ganz klar war dabei allerdings leider nur: „Das trau ich mich nicht.“

Eine einfachere Version musste also her und ward schnell gefunden: „Du fragst nach der E-Mail-Adresse.“ Doch leider, bei allen großen Gefühlen, auch der Plan wurde mangels Courage verworfen. Blieb also in den Augen der Ratgeberin nur eine Lösung: „Jemand anders geht hin. Ich könnte zum Beispiel hingehen, dann frag ich ihn, ob er bei facebook ist und dann könnt ihr euch befreunden.“

Noch etwas skeptisch, doch schon weitaus hoffnungsfroher bedachte die unglücklich Verliebte den Vorschlag und kam zum Ergebnis: „Super. Dann kann ich erst mal kucken, wie der so drauf ist und wir schauen uns alle Fotos an und so.“

Nur ein Unsicherheitsfaktor blieb, der schnell identifiziert wurde: Was, wenn der Angebetete nicht bei facebook ist? Plan B und C wurden also gefasst: „Ich frag, ob er bei facebook ist. Wenn er ‚Nein‘ sagt, frag ich, ob er bei SchülerVZ ist. Wenn er wieder ‚Nein‘ sagt, frag ich nach Lokalisten. Und wenn er dann noch ‚Nein‘ sagt … dann ist er eh komisch und du vergisst ihn.“

Darauf schließlich konnten sich die Verkupplungs- Expertinnen einigen und sich an der nächsten Haltestelle zufrieden mit einem „Bis später, im ICQ“ verabschieden. Was aus der gedanklich angebahnten Romanze geworden ist, entzieht sich leider meiner Kenntnis, doch die Moral von der Geschichte ist klar: Erstens: Soziale Netzwerke machen unkommunikativ, einsam und sozial isoliert – zumindest den, der nicht drin ist. Denn wer sich weigert, im digitalen Poesiealbum des 21. Jahrhunderts sein schönstes Foto nebst Hobby, Lieblingsfach und Beziehungsstatus (ganz wichtig!) zu hinterlassen und seine Pinnwand virtuos mit Musikvideos, witzigen Links und Buchstaben-Bildern zu gestalten, der kann nicht alle Gurken im Glas haben und ist entweder Eremit, Sektenanhänger, dem Mittelalter entflohen oder hat was zu verbergen – auf alle Fälle ist er aber, da mag er im Bus so süß aussehen wie er will, ganz schnell weg vom Dating-Fenster.

Zweitens: Datenschutz hin oder her – die online auffindbare Visitenkarte muss stimmen. Musste man früher seine Interessen noch umständlich, analog und nach und nach bekannt geben, gilt jetzt: Ich bin online, also bin ich. Das birgt so manche Herausforderung bei der Interessen- und Fotoalbum-Gestaltung. Schließlich braucht man ein paar seriöse Bilder für Lehrer und eventuelle Arbeitgeber, ein paar coole Bilder für die Freunde, ein paar nette Bilder für neugierige Mädchen aus dem Bus – und natürlich muss man das mühevoll gestaltete Alter Ego mindestens stündlich mobil checken und pflegen, denn der Super GAU wäre natürlich, wenn zwischen der Freundschaftsanfrage der mutigen Bus-Mitfahrerin und dem nächsten eigenen Status-Update etwa Tante Klara auf die grandiose Idee kommt, das Blockflötenkonzert vom letzten Weihnachtsfest mit all ihren Freundinnen und Freunden zu teilen und alle fleißigen Akteure zu verlinken.

Drittens, letztens und der ganzen, schönen neuen Welt zum Trotz: Ob in Zeiten der Cholera oder in Zeiten der weltweiten Vernetzung, die wirklich wichtigen Fragen des Lebens bleiben dann eben doch immer gleich: Irgendjemand muss erstmal selbst ‚hingehen‘…


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