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Elisabeth Jäcklein-Kreis: Mehr Drill-Instructor als Mentor

<I>webcoach</I> will neue Medien in Schulen zum Thema machen

Turnschuhe binden, Kaugummi raus und ran an die Maus. Jetzt wird das Internet von der Pieke auf gelernt, denn jetzt übernimmt der Coach die Führung: Der webcoach. Ob der Klett-Verlag bei der Namensgebung für seine Unterrichtsmaterialien zu neuen Medien auch kleine, stämmige Männer mit ungekämmten Haaren und orangenen T-Shirts vor Augen hatte, die 2 Meter große Rugbyspieler mit Schulterpolstern und Mundschutz anschreien und zu Ordnung und Disziplin ermahnen, wissen natürlich nur die beteiligten Redakteure – dass der doch recht gewollt jugendliche, denglische Neologismus allerdings bei Lehrerinnen und Lehrern und deren Zöglingen von elf bis 16 Jahren gleichermaßen gut ankommt, darf bezweifelt werden. Nichtsdestoweniger – der webcoach nimmt sich einem Thema an, an das sich bisher leider nur wenige Schulbuchverlage so recht trauen und kommt zudem in einer ansprechenden Aufmachung daher, nämlich in Form von Lehrermaterialien und Arbeitsheften für die Schülerinnen und Schüler und nicht nur als Handreichung mit einem großen, verstaubten Zeigefinger auf dem Cover. Die Hefte werden vom 5. bis zum 10. Schuljahr angeboten, differenziert nach Bundesländern und Schularten. Scheinbar zumindest, denn de facto sind die meisten Einzelhefte dann doch für „5.-10. Schuljahr“ angelegt – die Auswahl sieht also größer aus, als sie wohl ist. Inhaltlich gibt es bisher die Themen „Cyber-Mobbing“, „Recherche im Internet“ und „Soziale Netzwerke“, weitere sollen folgen. Soweit, so erfreulich, endlich mal ein Material, mit dem neue Medien tatsächlich im Unterricht besprochen werden können, denkt man und schlägt frohgemut das Heft auf, in dem Fall die Ausgabe zu sozialen Netzwerken.

Innen wird die Freude auch zunächst nicht getrübt, eine kurze, übersichtliche Gliederung präsentiert sich in optisch ansprechendem Gewand, es gibt ein Grundlagenkapitel zu sozialen Netzwerken (Was ist das und warum nutzen wir es?), einen Abschnitt „Regeln und Tipps“ (in dem Themen wie sichere Passwörter, Profilgestaltung, Urheberrecht und Persönlichkeitsrechte zur Sprache kommen) und ein letztes Kapitel mit dem Titel „Soziale Netze wahrnehmen“ (dahinter verstecken sich Werbung, Cybermobbing und Online-Sucht). Dazu eine Zeichenerklärung, denn im Innenteil ist jedes Thema bestückt mit Querverweisen, Links und zusätzlichen Inhalten wie Checklisten, gekennzeichnet durch kleine Buttons. Überhaupt scheinen die Grafiker des Arbeitsheftes ihren Spaß gehabt zu haben, alles erstrahlt in bunten Farben, jede Tabelle ist zumindest bunt unterlegt und zu fast jeder Aufgabe gibt es bunte Fotos, die manchmal inhaltliche Relevanz haben, manchmal aber einfach nur illustrieren. Optisch also durchaus opulent, das 30 Seiten starke Arbeitsheft. Inhaltlich werden die drei großen Themen der Gliederung in 13 einzelnen „Modulen“ präsentiert, die sowohl für den Schulalltag als auch für Projekttage geeignet sein sollen. Leider waren die Autorinnen und Autoren aber etwas sparsamer als ihre grafischen Kolleginnen und Kollegen: Es gibt keinerlei einleitende Worte oder Grundlagen, die Information zu den Aufgaben muss wohl komplett von der jeweiligen Lehrkraft kommen. Auch bei den Aufgaben selbst sind die Erklärungen und Informationen meist recht kurz gehalten, der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den Aufgabenstellungen. Das ist für ein Arbeitsheft zwar im Grunde nicht verwerflich, aber dennoch etwas schade: Mehr zusätzliche Informationen oder zumindest Hinweise auf interessante Links, Broschüren, Filme oder Literatur hätten dem Thema gut getan, zum einen inhaltlich, zum anderen um die besprochenen neuen Medien auch gleich einzusetzen, was sich ja angeboten hätte. Zumal viele Aufgaben recht offen gestellt sind und die Schülerinnen und Schüler zu Diskussionen oder Begründungen auffordern – das ist zwar durchaus gut gedacht und soll wohl eigenes Denken anregen, diesem Denken würde es aber sicher nicht schaden, wenn es sich nicht nur auf den drei Sätzen aus dem Arbeitsheft, sondern auf vielfältigen Quellen begründen könnte.

Die wenigen Verweise, etwa auf Internet-Seiten, sind zudem recht kompliziert als Buchstaben-Zahlen-Codes verpackt, die man erst auf der webcoach-Seite eingeben muss, um dann weitergeleitet zu werden – ein eher umständliches Prozedere, das die Schwelle, tatsächlich dorthin zu klicken, deutlich hebt. Hier vergibt sich das Heft also leider die Chance, Jugendliche wirklich zum Mitdenken und kritisch Reflektieren anzuregen und einen bewussten Umgang mit neuen Medien zu schaffen und bleibt stattdessen lieber zwischen seinen eigenen Buchdeckeln kleben – wahrscheinlich die einfachere Lösung. Mehr als das stößt aber auf, dass viele der Fragen nicht nur dritte Meinungen ausschließen, sondern auch inhaltlich plakativ sind und wenig Raum für ehrliche Diskussion lassen. So sind einige Fragen so suggestiv gestellt, dass man sie genauso gut gleich als Antworten hätte formulieren können. Beispiel gefällig? In einer Aufgabe sollen sich die Schülerinnen und Schüler in einen Personalchef versetzen, der die Profile seiner Bewerber auf einem Sozialen Netzwerk betrachtet und unter anderem Folgendes findet: Ein Bewerber hält auf einem Bild stolz eine Pump Gun (Waffe) in den Händen. Darunter steht: „Mein neuestes Spielzeug, und ich weiß, wie man günstig an die Dinger kommt…“Dass vermutlich kaum jemand unter einem Foto über seine Connections zu kriminellen Szenen prahlen würde und der, der es tun würde, möglicherweise selten Bewerbungen für Jobs versenden würde, bei denen ein Personalchef die ordentlich zusammengestellten Mappen vorsortiert, ist nur die eine Ungereimtheit an der Sache. Dass das Arbeitsheft ein so plakativ überzeichnetes Bild anbietet und die Schülerinnen und Schüler damit vermutlich bestenfalls zu einem müden „Jaja, würde ich nicht nehmen“ anregt, nicht aber zu einem differenzierten Nachdenken darüber, welche Themen bei einer Selbstdarstellung wirklich nachdenkenswert und gegebenenfalls problematisch sind, ist der größere Haken.

Denn wer würde sich mit einer solchen, schwarz-weißen Darstellung der Profile-Welt schon genügend identifizieren, um darüber ins Nachdenken über eigene Inhalte zu kommen? Ausgenommen den einen Schüler in jeder siebten Klasse, der gerade Freundschaft mit einem Waffen-Hehler geschlossen hat, der hat aber sicher auch andere Probleme. Weiteres Beispiel, das ins Auge sticht, ist das letzte Kapitel im Heft, das sich dem Thema Online-Sucht widmet. Ungeachtet der Tatsache, dass Online-Sucht nach wie vor kein anerkanntes Krankheitsbild ist und nirgendwo verlässliche Forschung dazu existiert, fragt das Heft die Leserinnen und Leser ganz unverschämt: „Bist du schon süchtig?“ Von 560.000 „Internetsüchtigen“ spricht es, bildet eine an eine Tastatur gekettete Hand ab und lässt auch sonst kein Klischee aus. Eine Differenzierung oder Begriffsklärung (etwa nach Online-Spielen, bestimmten anderen Inhalten oder dem Internet allgemein) wird ebenso wenig für nötig gehalten wie ein differenzierter und kritischer Umgang mit einem unerforschten und heftig umstrittenen Phänomen. Stattdessen fragt das Heft lieber im „Fragebogen zur Selbsteinschätzung“ „Wie oft freust du dich darauf, bald wieder ‚on‘ zu sein?“ und schickt alle, die das Internet gerne nutzen, pauschal zum Psychologen: „Lass dir helfen und schäme dich nicht dafür“.

Der Paukenschlag zum Schluss: Eine Abbildung mit zwei Wegweisern nach „Realität“ und „Cyberspace“, die in entgegengesetzte Richtungen zeigen. Schade, dass der gute Vorstoß, neue Medien in Schulen zu behandeln, letztlich in so viel Bewahrpädagogik und klischeebehafteten Angstszenarien enden musst – solcherlei Verteufelungen der Angebote führen sicher nicht dazu, dass Lehrerinnen und Lehrer in einen echten, kritischen Dialog mit ihren Schülerinnen und Schülern eintreten, sondern lassen vielmehr befürchten, dass der Großteil einmal mit den Schultern zuckt, die richtige Antwort ins Arbeitsheft kritzelt und unter der Bank seine facebook-Updates abruft. Denn wer will sich schon von einem wie auch immer gearteten Coach in solcher Drill-and-Practise-Manier einreden lassen, wie er das Internet zu bedienen hat? Dazu bräuchte es ehrliche Auseinandersetzung und Diskussion statt Trillerpfeifen.Mayer, Thomas/Dippl, Franz/Höhbauer, Christian (2012). Webcoach. Soziale Netzwerke. Arbeitsheft. Stuttgart, Leipzig: Ernst Klett Verlag. 32 Seiten, 19,95 €.


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