Elisabeth Jäcklein-Kreis: Nazibraut, Skingirl, Mädchen
Kriegerin wirft einen Blick auf rechte Szenen, ehrlich und schonungslos
„Sowas bedien’ ich nicht“ sagt Marisa und schlägt trotzig eine Zeitschrift auf. Unsicherheit macht sich breit, Erstaunen, Ärger. Eine Kundin fordert eine zweite Kasse, ein Kind stellt sich auf die Zehenspitzen, die beiden afghanischen Jungen mit ihren Cola-Flaschen schauen angestrengt auf das Band, kneten ihre Finger. In den Gesichtern spiegelt sich Unsicherheit, Trauer, Ärger, Beschämung. Endlose Sekunden verstreichen, während alle Anwesenden betreten in verschiedene Richtungen sehen und die Kasse leise summt. Marisa blättert eine Seite um, schaut stur auf die Zeitschrift. Um ihren Mundwinkel zuckt es. Dann, endlich, der erlösende Satz: „Mach mal Pause, geh eine rauchen!“ Marisas Mutter ist es, die den Platz an der Kasse des kleinen Supermarktes übernimmt und ihre verunsicherte Kundschaft bedient. Als die beiden Jungen das Geschäft verlassen, wirft Marisa ihnen durch ihren Zigarettenqualm hasserfüllte Blicke zu. Auf ihrem Brustbein gibt das T-Shirt den Blick frei auf ein tiefschwarzes Tattoo: ein Hakenkreuz.
Ausländer bedient sie nicht, denn Ausländer kann sie nicht leiden. Die schnorren sich durch, die nehmen Arbeitsplätze weg, die sind kriminell. Daran hat Marisa keine Zweifel. Genau wie ihr Freund Sandro und der Rest ihrer Clique ist sie sicher, dass ein irgendwie gearteter Krieg nicht mehr lange auf sich warten lässt – ein Krieg, in dem sie gegen alles kämpfen, was sie in Deutschland stört. Ausländer, Arbeitslose, Politiker, Linke, die Polizei. Marisa lebt nicht 1940 – sie lebt 2011. In irgendeinem Dorf in den neuen Bundesländern, wo die Arbeitslosigkeit und die Verzweiflung groß sind, wo rechtsradikale Ideen allzu viel Gehör finden. Dort jobbt sie im Supermarkt, läuft nach Feierabend durch den Zug, um vor laufenden Handykameras Leute zu provozieren oder zu verprügeln, trinkt abends mit ihrer Clique Bier und hört alte Hitler-Reden. Doch an diesem Tag läuft alles irgendwie anders als geplant. Als Marisa die afghanischen Jungen am See wiedertrifft, eskaliert die Situation und die junge Rechtsradikale ist nicht zu bremsen. Ein Wort gibt das andere, Anfeindungen und Drohgebärden enden schließlich in einer Verfolgungsjagd Roller gegen Auto auf der Landstraße, dann die Kollision, Blut, Sirenen. Der Unfall verändert Marisa. Er nagt an ihr, lässt ihr keine Ruhe, stellt alles in Frage, wofür sie lebt, woran sie glaubt. Und während das Leben äußerlich zunächst gleich weitergeht, wird Marisa anders, zieht sich zurück, sucht Kontakt zu Rasul, einem der afghanischen Jungen, ändert schleichend aber unaufhaltsam ihre Perspektive. Nationalsozialismus heute – der Weg hinein in den Extremismus und die (ungleich schwierigere) Läuterung – es ist beileibe kein einfaches Thema, das sich Regisseur David Wnendt da ausgesucht hat. Und er hat es sich nicht leicht gemacht. 1998 wurde er bei einer Reise durch die neuen Bundesländer mit der Nase darauf gestoßen, wie sehr und wie selbstverständlich Rechtsradikalismus dort teilweise an der Tagesordnung ist.
Erschrocken über seine Beobachtungen begann er zu recherchieren, beobachtete das öffentliche Leben, traf sich mit Jugendlichen, führte Gespräche, versuchte, die Szene zu verstehen. Mehr als zehn Jahre später kommt sein Film in die Kinos und der zeichnet ein erschreckendes und bedrückendes Bild. Er zeigt keine Parolen-brüllenden Dummköpfe. Er zeigt auch keine straff organisierte rechte Gruppe, keine ‚schlechten‘ Menschen und keine ‚guten‘. Stattdessen zeichnet er die Lebenswege und Entwicklungen ganz ‚normaler‘ Menschen nach, die durch Umfeld, Sozialisation, Zufall, Pech auf einen Weg geraten, den sie nur schwer wieder verlassen können. Dabei entschuldigt der Film in keinem Moment das Tun der rechten Clique. Doch er zeigt, wie schnell eine solche Ideologie vereinnahmen kann und wie schwer es ist, sich wieder von ihr zu distanzieren. Kriegerin ist dabei kein Film, der viele Effekte und große Show braucht – im Gegenteil, für sein ‚brutales‘ Thema ist er überraschend ruhig und leise (was ihn von dem beinahe einzigen Film unterscheidet, der dieses Thema auf ähnliche Weise anging, American History X). Während Marisa und ihre Freunde im Zug ein asiatisches Pärchen verprügeln, sieht das Publikum die verwackelten Bilder einer Handykamera und die hassverzerrten Gesichter der Peiniger. Als Marisa Rasul und seinen Bruder überfährt, bleibt die Kamera auf ihr Gesicht gerichtet und zeigt, wie sie mit Wut, Aggression und schleichend aufkommender Reue und Panik ringt. Kein Tropfen Blut ist in diesem Moment zu sehen, selbst die Musik im Auto stellt Marisa vor Schreck ab – doch die Beklemmung, die einen überfällt, während man erschrocken tiefer in den Kinosessel rutscht, ist wahrscheinlich größer und nachhaltiger, als ein paar Liter Filmblut sie gemacht hätten. Überhaupt versucht der Film, ehrlich und authentisch zu bleiben und den Zuschauerinnen und Zuschauern keine Stereotype und Hollywood-tauglichen, sekundenschnellen Gesinnungswechsel zu verkaufen. Ebenso wie Marisa sich jahrelang in ihrer rechtsextremen Überzeugung eingerichtet und darauf ihre Identität aufgebaut hat, vollzieht sich der Wandel davon weg langsam und schleichend. Es ist ein kleiner Zweifel, der erst nach und nach neue Ideen, neue Ansichten und irgendwann neue Handlungen nach sich zieht. Aber bis dahin ist es ein langer Weg, auf dem Marisa mitnichten immer überzeugt geht. Stattdessen ficht sie einen harten Kampf mit sich selbst aus, in dem sie darum ringt, zu entscheiden, was sie eigentlich glaubt und was nicht. Und diese Entwicklung gipfelt – und auch das macht die Qualität des Filmes aus – auch nicht in einer einfachen Lösung, in keinem Happy End, sondern in einem drastischen, aber wahrscheinlich dem ehrlichsten Finale, das ernüchtert und doch Platz lässt für mindestens einen Funken Hoffnung. Alina Leyshin, die Marisa verkörpert, trägt den Film dabei in weiten Teilen durch die ehrliche Darstellung der zerrissenen Person. Sie ist aggressiv und empathisch, brutal und verletzlich, konsequent und unsicher zugleich – und macht es damit noch viel schwerer, das Thema oberflächlich und klischeehaft zu behandeln.Kriegerin soll „aufklären, ohne vordergründig pädagogisch zu sein. [Der Film] soll Stellung beziehen, ohne auf Klischees zurückzugreifen. Er soll provozieren und unterhalten, ohne nach billigen Effekten zu haschen.“
Das war David Wnendts Anspruch an sich selbst und sein Werk – und damit beschreibt er selbst eigentlich am besten, was den Film und seine bewegende Wirkung ausmacht. Es ist ein bedrückendes Gefühl, das einen beschleicht, wenn man aus den dunklen Kinosälen zurück in die ‚echte Welt‘ tritt. Kriegerin macht niedergeschlagen und zugleich erschrocken. Während man die Wärme des Sessels und den Popcornduft beim Verlassen des Kinosaales hinter sich lässt, wird wohl auch der Kloß im Hals langsam kleiner und gemäß erfolgreich erlernter Strategien versucht das Unterbewusstsein, die ‚Ist doch nur ein Film‘-Distanzierung zu starten – und kommt doch nicht an gegen das Wissen, dass genau dieser Film, genau im Jahr 2011, genau mitten in Deutschland, leider aktueller ist, als man zugeben möchte. Nicht umsonst wurde der Film daher auch beim Filmfest München hoch gelobt und kann sich bereits mit dem Prädikat besonders wertvoll der FBW, mit dem First Steps Award als Abendfüllender Spielfilm sowie dem Förderpreis für das Drehbuch und die weibliche Hauptrolle schmücken. Und bis zum Kinostart am 19. Januar 2012 können die Macher vielleicht noch auf ein paar weitere Auszeichnungen hoffen – unter anderem läuft Kriegerin im Moment beim Zürich Film Festival, ist nominiert für den MFG-Star und ist beim Filmfestival Münster zu sehen. Für politisch Interessierte und Desinteressierte, für Menschen aus ostdeutschen Dörfern aber nicht minder solche aus westdeutschen Städten, für Lehrerinnen und Lehrer und deren Schülerinnen und Schüler (die aber nicht jünger als circa 14 Jahre sein sollten), für ältere und jüngere Menschen – empfehlenswert ist Kriegerin auf jeden Fall für (fast) alle, denn der Film ist sicher die ehrlichste, schockierendste, drastischste und aufrüttelndste Auseinandersetzung mit einem leider immer noch viel zu sehr unterschätzten und verharmlosten Phänomen.
Kriegerin (Combat Girls)
Deutschland 2011
Sozialdrama103 Minuten
Drehbuch und Regie: David WnendtDarsteller: Alina Levshin, Jella Haase, Sayed Ahmad Wasil Mrowat, Gerdy Zint, Lukas Steltner
Kinostart 19. Januar 2012
Mafilm GmbH
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