Elisabeth Jäcklein-Kreis: Sie dürfen die Braut jetzt küssen ...
Es war der Moment, auf den alle gewartet hatten. 50 Sitzreihen voller Gäste in frisch polierten Lackschuhen, schnell noch aufgebügelten Röckchen und mit mehr oder weniger kunstvollen Skulpturen auf den ordentlich bemalten Köpfen drängten sich dicht an dicht, die Augen gebannt nach vorne gerichtet. Die Stille war perfekt, nur unterbrochen durch das leise Seufzen einer Tante von hinten und das Knistern eines Taschentuches in der zweiten Reihe. Hände verschränkten sich erwartungsvoll, in manchen Augenwinkeln wartete eine kleine Träne darauf, sich den Weg durch die Rouge-Wüste zu bahnen.Vorne, wo alle hinsahen, wurde ein Mikro überreicht, weißer Tüll schälte sich aus einem Stuhl: Die Braut stand auf, bereit, vor aller Augen ihr Trauversprechen abzugeben. Sie holte tief Luft, straffte die Schultern, lächelte kurz in die Runde und – zog ihr tablet unter dem Sitzkissen hervor. „Moment“ übertrugen die Lautsprecher ihr erstes Wort, dann ein Klacken, ein Piepsen, als die Tastensperre aufgehoben wurde, drei schnelle Klicks und es konnte losgehen. Während salbungsvolle Worte durch den Chorraum klangen, während die Trauzeugin ergriffen ihr iPad in die Luft hielt, um den Moment für immer zu bannen und während aus den hinteren Reihen, wohin sich ein Kind verzogen hatte, um seiner motorischen Unruhe mit fliegenden Vögeln auf dem tablet zu begegnen, die angegriffenen Schweine angsterfüllt quietschten, wurde auch dem letzten, medienfernen Zeremoniengast klar, dass die Invasion der tablets nicht mehr aufzuhalten sein wird.
Sie sind in der U-Bahn und im Museum, auf Parkbänken und Picknickdecken, an der Haltestelle, im Flugzeug, im Restaurant – sogar auf Berggipfeln und Taufen wurden sie schon gesichtet. Bestenfalls 25 Zentimeter an Länge können sie aufweisen, einen bis drei Knöpfe und ein paar Eingänge für Kabel aller Art – unscheinbare Erscheinungen also, viel zu klein, um von den ausgewachsenen Artgenossen ernst genommen zu werden; und doch schleichen sie sich nach und nach überall ein, bahnen sich schier unaufhaltsam ihren Weg in die privaten und öffentlichen Räume, in Besprechungszimmer und Büros, Wohnzimmer und Kinderzimmer, auf Spielplätze und in Seniorenresidenzen.Sie heißen Playbook, Transformer, Flyer oder Ideapad und sie kleiden sie unauffällig in Stoffumhänge in allen Farben, in Lederetuis, Filztaschen und Plastikschalen.Manchmal blinken sie oder blenden in den grellsten Farben, manchmal piepsen sie frenetisch und bisweilen hört man in ihren Untiefen Vögel wütend mit den Flügeln schlagen, Schweine ängstlich quietschen oder Fische blubbern.
Ihren jüngsten Freundinnen und Freunden lesen sie Gute-Nacht-Geschichten vor, den älteren ermöglichen sie Kontakte in alle Welt, für so manchen ersetzen sie das Kochbuch, die Gute- Nacht-Lektüre, den Busfahrplan, den Taschenrechner, den CD-Player und den Ernährungsberater in einem.Sie machen es einem aber auch gar so einfach: Nehmen kaum Platz weg, essen nichts, schreien selten, haben keine kilometerlangen, wörtlich aus dem Chinesischen übersetzten Bedienungsanleitungen, sondern nur ein kleines Display, auf dem sie alles feil bieten, was sie können. Da drückt man drauf, wo man hin will – und es funktioniert. „What you get is what you see“ sozusagen. Ein Konzept, das der Braut nur wünschen ist ...Die allerdings hat derweil das Brettchen verstaut und sich zum Kuss unter allgemeinem Seufzen auffordern lassen, ganz analog und ohne elektronsiche Unterstützung, bis auf den Fotoauslöser im iPad der Trauzeugin.
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