Elisabeth Jäcklein-Kreis: stichwort Chatroulette
Teetrinken mit einer englischen Studentin, Smalltalk mit amerikanischen Schülern, zwischendurch ein bißchen rumalbern mit einem italienischen Clown und ein bißchen tanzen mit zwei russischen Mädchen – und das alles zu Hause im eigenen Wohnzimmer. So oder so ähnlich ist Chatroulette gedacht, ein Webdienst, der seine Teilnehmerinnen und Teilnehmer per Knopfdruck mit zufälligen Gesprächspartnerinnen und -partnern überall auf der Welt verbindet. Im November 2009 programmierte der damals 17-jährige russische Schüler Andrei Ternowski das Portal – zunächst als private Spielerei –, auf dem man ohne Login oder sonstige Authentifizierung seine Webcam freigibt und dann willkürlich mit anderen Chatterinnen und Chattern verbunden wird, mit denen man reden, schriftliche Nachrichten tauschen oder sich nur gegenseitig anschauen kann – bis einer nicht mehr mag und per F9 die Scheibe neu anstößt.
Eine nette Abendbeschäftigung also für verregnete Sonntage, könnte man meinen und meinten auch bisher zahlreiche Chat-Willige – je nach Quelle zwischen 20.000 und 30 Millionen. Allerdings versteht unter ‚netter Abendbeschäftigung‘ dann eben doch nicht jeder dasselbe: So warnt Jugendschutz.net vor jugendgefährdenden Inhalten wie Pornografie oder Rechtsextremismus, die hinter der fremden Webcam lauern, das Internet Analyseunternehmen RJMetrics verkündete, etwa 13 Prozent der (meist männlichen) Besucherinnen und Besucher seien „pervers“ und internet-abc.de spricht von einem „Panoptikum der Absonderlichkeiten“. Die taz betitelte ihren Selbstversuch im Kommunikations-Glücksspiel gar mit „Penis. Zack. Penis. Zack. Penis.“ Denn obgleich die Seite obszöne, aggressive oder sexuelle Äußerungen verbietet, mittlerweile auch über einen ‚Melden‘-Button für Verstöße verfügt, tummeln sich in der scheinbar anonymen Fast-Food-Kommunikationswelt doch offensichtlich in großer Zahl Menschen mit zweifelhaften Absichten, die dort scheinbar darauf aus sind, ihr Gegenüber zu schockieren, zu ekeln, zu ängstigen oder aber ihre sexuellen Vorlieben digital auszuleben.
Damit stellt die virtuelle Drehscheibe – und ihre Pendants für mobile Endgeräte wie die mittlerweile wieder eingestellte iPhone-Applikation iChatr oder der Telefon-Dienst Phoneroulette – gerade für (medien-)pädagogische Handlungsfelder eine Herausforderung dar. Was suchen Menschen dort? Was macht den Reiz der Seite aus? Und wie sollte man damit umgehen, wenn Kinder und Jugendliche auf solche Angebote stoßen? Solche Fragen beschäftigen im Moment nicht nur den Anbieter, der bei all der schlechten Publicity um seine Werbeeinnahmen fürchten muss, sondern auch Eltern und pädagogische Fachkräfte.
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