Eric van der Beek: Befreit die Bildung von der Effizienz!
Kennen Sie Bernd Schorbs Monografie Einführung in die Medienpädagogik, die er im Jahr 2011 bei Springer veröffentlicht hat? Nein? Ich auch nicht. Ich fürchte, dass selbst Bernd Schorb dieses Standardwerk nicht kennt. Denn es existiert nicht. Dennoch reichte ein Student vor einigen Wochen eine Hausarbeit bei mir ein, in der er sich auf dieses Standardwerk bezog. Dort schrieb er: „Schorb (2011) definiert in seinem Grundlagenwerk drei Dimensionen der Medienkompetenz: Mediennutzung, Medienwissen und Mediengestaltung“. Eingefleischte Schorbianer*innen wissen natürlich: Inhaltlich liegt der Student daneben. Immerhin: Die Quelle war wissenschaftlich korrekt angegeben.
Der Verdacht: Der Student nutzte in der Hausarbeit offenbar KI-generierte Texte, in denen die Form des medienpädagogischen Diskurses zwar repliziert, aber der Inhalt verzerrt wird. Zweifelsfrei beweisen lässt sich dieser Verdacht jedoch nicht. Vielmehr verteidigte sich der Student: Auf die Einführung in die Medienpädagogik sei er über eine Sekundärquelle gekommen, deren Herkunft er nicht überprüft hatte. Bevor wir nun aber einstimmen in den Abgesang an die Hausarbeit als Prüfungsform und den Verlust von Wahrheit in Zeiten von generativer KI beklagen, sollten wir vielleicht eine andere Frage wagen: Ist hier womöglich die Bildungsbiografie das eigentlich zu beklagende Opfer?
Bildung ist längst einem Effizienzparadigma unterworfen. In ein Uni-Seminar, das mit drei Creditpoints angerechnet wird, sollen Studierende in der Woche vier Stunden und 30 Minuten ihrer Zeit investieren, inklusive der Besuche der Seminarsitzungen, deren Vor- und Nachbereitung und der Rezeption von Texten. Wenn ich Studierende in meinen Seminaren mit dieser Erwartung konfrontiere, ernte ich Schweigen. Für viele ist es schambehaftet, dass sie einen großen Teil ihrer Zeit für daseinserhaltende Arbeit aufbringen, um ihr Studium zu finanzieren. Am Ende bleiben nur wenige Ressourcen zum Studieren übrig.
Die Entdeckung generativer KI fällt in eine Zeit multipler Krisen (Klima, Krieg, Demografie), in denen die gesamtgesellschaftlichen Ressourcen knapp erscheinen. KI-Technologien versprechen, die Produktionsverhältnisse effizienter zu machen und den Wohlstand zu sichern. Dieses Versprechen trägt nun seltsam ambivalente Blüten im Bildungsbereich: Studierende erleben einen Vertrauensverlust, weil sie in Verdacht geraten, ihre Hausarbeiten mit ChatGPT zu schreiben. Gleichzeitig werden KI-Technologien erprobt, mit denen die Bewertung jener Hausarbeiten automatisiert wird und KI-Plagiate identifiziert werden.
Bei allem Vertrauensverlust sehe ich eine Chance, die Bildungsbiografien junger Menschen wiederzubeleben: Bildung – die Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen – sollte in erster Linie ein Selbstzweck sein. So wie die Malerei durch die Fotografie von ihrer Gegenständlichkeit befreit wurde, könnten KI-Technologien die Bildung von der Effizienz befreien.
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