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Es grünt so grün ...

Um die Vor-, Nach- und Zwischenweihnachtszeit herum, ist die Welt für Naturfreunde aller Art zumindest ein nominelles Paradies: Evergreens in allen Farbabstufungen sprießen dann überall da, wo es sonst wenig grünt. Aus den Radioboxen tönt ‚Do they know it’s …‘, obwohl es müßig scheint, die Frage nach 27 Jahren ohne Antwort weiterhin zu stellen. Im TV hüpft der arme James seines hohen Alters ungeachtet unablässig über den frechen Tigerkopf und hat sich noch immer keine schlaueren Problemlösestrategien für die ‚same procedure‘ überlegt. Und unter dem Weihnachtsbaum sitzt die Familie mehr oder weniger traut vereint und hangelt sich mehr oder weniger müßig an den immergrünen Gesprächsthemen entlang: Die neuen Geschichten zuerst und umgekehrt proportional zur voranschreitenden Uhrzeit die immer historischeren Klamotten und Schwänke. Bei den Jugendstreichen den Großeltern angelangt, sind die Jüngsten im Bett und die Mittleren entflohen, nur wer zu nett ist oder unter Schlafstörungen leidet, findet keine gute Ausrede und muss stattdessen immer wieder neu begeisterte Zuhörerreaktionen auf die gut abgehangenen Pointen hervorzaubern. ‚Weißt du noch, der Verweis wegen Schneeballwerfens …‘, ‚Und damals, als wir die Böller in den Kanaldeckel…‘, ‚Da fällt mir ein, erinnerst du dich noch, als du den Feueralarm ausgelöst hast, als Mutprobe? Die ganze Schule wurde evakuiert!‘ Bei einem dieser Gespräche muss irgendwann im vergangenen Jahr wohl Familienministerin Kristina Schröder mit schweren Lidern und roten Ohren gesessen haben.

Eine andere Erklärung gibt es beinahe nicht, dafür aber zwei handfeste Indizien: Ihr Nachwuchs-bedingter Hausarrest und unberechenbarer Biorhythmus nehmen ihr die Entschuldigung für das Fernbleiben vom Geschichten-Allerlei. Und der aus ebendiesem Grund möglicherweise arg durcheinandergepurzelte Hormonhaushalt erklärt die kreativen Schlussfolgerungen der Frau Schröder. Denn nur solche können zu einer zeitnah gefällten Entscheidung der Mama aka Familienministerin geführt haben. Sicher muss man sich das etwa so vorstellen: Feueralarm, stimmt, das war einer der lustigsten Streiche … So etwas habe ich schon lange nicht mehr erlebt … werden heutzutage überhaupt noch richtige Streiche gespielt? … Ach nein, die Kinder wissen sicher gar nicht mehr, wie man einen Feuermelder einschlägt, da schwebt ja kein Maus-Cursor davor … oh, schreit da das Baby? … Nein, verhört… Aber was für eine triste Kindheit ihm bevorsteht, wenn es wieder aufwacht! Erwachsenwerden ohne Klingelputzen und Feuermelder-Streiche, nur auf höchst gefährlichen Internetseiten … da muss man doch was machen können …

In diesem Moment dürfte der jungen Frau mitten in die Kreissaal-Erzählung des Uropas ein Wickie-gleiches ‚Ich hab’s!‘ entfahren sein. Ein Notrufbutton für das Internet! Das klingt wichtig und sicher und dient zur Paranoia-Entfachung und -Beruhigung zugleich, weil die Kinder endlich erfahren, wie gefährlich das Netz ist; und wenn sie sich von unschönen Bildern, unfreundlichen Texten oder aufdringlich kreischenden Comicfiguren dort akut belästigt fühlen, können sie gleich wo drücken. Das bringt bestimmt ein paar Schlagzeilen nach der Babypause, sieht wichtig und gefährlich aus (und vielleicht kann man sogar Blaulicht für den Browser und ein paar animierte Rettungsautos für die Kopfzeile programmieren lassen) – und beschert dem friedlich schlummernden Spross obendrein authentische und zugleich moderne Streich-Erlebnisse. Ein Geniestreich sozusagen.

Ob an dieser Stelle Ur-Opa die Rede unterbrach und anerkennend nickte, ob der so eifrig bedachte Spross zustimmend schrie oder ob der Gedankengang doch noch den einen oder anderen Umweg machte, kann natürlich nicht abschließend festgestellt werden. Aber so ähnlich muss es sich doch zugetragen haben – die Indizien zumindest sind erdrückend!


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