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Friederike Tilemann und Angelika Speck-Hamdan: "Medienbildung ist Glückssache" Medienkompetenzförderung in der Kindheit

Editorial

Achtung! Medienpädagogisch sind andere Themen in den Schlagzeilen: YouNow als Plattform für Identitätsarbeit von 13-Jährigen, schwer vermittelbare Folgen von Datenspuren im Netz und die Option politischer Partizipation durch Onlinemedien – die Themen sind vielfältig, die damit verbundenen Chancen groß, weitreichende Veränderungen sind möglich, aber auch an Gefahrenpotenzial bieten die aktuellen Medienentwicklungen kein sparsames Repertoire. Achtung deshalb – weil die Kinder nicht aus dem Blickfeld geraten dürfen. Auch wenn manche medienpädagogischen Herausforderungen schon lange bekannt sind – für die jetzige Kindergeneration sind sie immer noch brisant. So zeigt die aktuelle KIM-Studie 2014 (vgl. MPFS 2015), dass das Fernsehen (trotz aller großen Veränderungen auf dem Medienmarkt und auch in manchen Bereichen der kindlichen Mediennutzung) immer noch das Medium ist, auf das Kinder (zwischen sechs und 13 Jahren) am wenigsten verzichten mögen und welches sie am meisten nutzen.

Manche langjährigen Fragen der Medienkompetenzförderung von Kindern bekommen durch aktuelle Formate, (z. B. Scripted-Reality) oder Nutzungsweisen (mobile Geräte als ‚Beruhigungsmittel‘ bei den außerhäusigen Erledigungen der Familien) neue Herausforderungen. Die Erwartungen, die hingegen Medienpädagoginnen und Medienpädagogen in der Praxis entgegentreten, sind meist andere: „Ich hätte gern ihre Appliste!“ Bei der Hoffnung der Eltern auf die zusätzliche Förderung mithilfe der Medien in den ersten Lebensjahren, die das schulische Lernen der Kinder steigern, verbessern, erhöhen soll …, muss die Medienbildung bereit sein, ihr Kerngebiet der Förderung medienkompetenten Verhaltens zu erklären und dafür zu begeistern. Auch wenn schon viel auf gutem Wege ist, so ist in der Gesellschaft die Medienbildung für Kinder noch lange nicht als selbstverständliches Thema angekommen. Deshalb ist es gut, die Kinder der Altersstufe bis zehn Jahre immer wieder gezielt in den Blick zu nehmen. So soll dieses Heft sich auch dieser Altersgruppe widmen.

 

Was bedeutet medienpädagogische Kompetenz für pädagogische Fachpersonen bezogen auf die Altersstufe von Kindern?

Im Folgenden wird dies an einzelnen Schlaglichtern der Medienbildung aufgezeigt: Medien und Medieninhalte als Teil der alltäglichen Welt begreifen. Medien sind Teil des Alltags, den Kinder mit Erwachsenen leben. Sie sind Teil der Welt, die Kinder zu verstehen suchen und in der sie sich zurechtfinden lernen. Dies hat die Konsequenz, dass Medienbildung als Teil der Erziehung ernst genommen werden muss und nicht als „gesondertes Extra“, für das noch irgendwo zusätzliche Zeit gefunden werden muss.

 

Für Chancengleichheit in der Medienbildung sorgen

Die familiäre Medienerziehung findet sehr heterogen statt. Von einer elterlichen, bewahrpädagogischen Haltung bis hin zu einer Überforderung durch Mediennutzung ist der familiäre Umgang mit medienpädagogischen Fragen extrem unterschiedlich. Sehr viele Kinder sind deshalb darauf angewiesen, dass sie in der Schule bzw. in den pädagogischen Einrichtungen dabei unterstützt werden, Medienkompetenz zu entwickeln – und das nicht zufällig und punktuell, sondern basierend auf einem gründlich konzipierten, aufeinander aufbauenden Konzept. Die besondere Chance in den KiTas, aber vor allem in der Grundschule, liegt darin, dass sie wirklich alle Kinder erreicht (im Kindergarten nur annähernd). Dabei fällt den Einrichtungen die keineswegs einfache Aufgabe zu, auf die sehr unterschiedlichen Ausgangslagen der Kinder in angemessener Weise zu reagieren, das heißt, sich einerseits in den Angeboten adaptiv auf die unterschiedlichen Kinder einzustellen und andererseits ein gewisses Fundament für alle zu gewährleisten.

 

Medienbildung als selbstverständlicher Bestandteil der Pädagogik

In den Ausbildungen und Studiengängen aller pädagogischen Fachkräfte muss die Unterstützung der Medienkompetenzentwicklung von Kindern in den Curricula fest verankert sein. Schwer zu verstehen ist die Situation derzeit, in der medienpädagogische Inhalte verkürzt oder nur sporadisch berücksichtigt werden bzw. auf technische Kompetenz reduziert sind. So ist es vom ‚Glück‘ eines Kindes abhängig, ob dieses eine qualitativ hochwertige Medienbildung erfährt oder von einem Bildungsinhalt ausgeschlossen bleibt. Daraus ergibt sich die logische Konsequenz, dass Medienbildung in den Bildungsplänen aller Länder ausreichend integriert werden muss.

 

Die Besonderheiten kindlicher Medienaneignung ernst nehmen

Auch in der kindlichen Medienaneignung stellen sich spezifische Entwicklungsaufgaben, die pädagogische Unterstützung erfordern. So ist beispielsweise das Medialitätsbewusstsein (Groeben 2002) eine typische Herausforderung für junge Kinder. Ebenso herausfordernd ist es für sie, Medieninhalte in ihrer Konstruiertheit zu erkennen bzw. ihre Bedeutung für die subjektive Konstruktion von Wirklichkeit einschätzen zu lernen. Hier haben sich diverse handlungsorientierte Methoden bewährt, die durch aktive Medienarbeit und gezielte Reflexion eine wachsende Medienkompetenz ermöglichen.

 

Medienhandeln als Ausdrucksmittel

Medienpädagogische Angebote sollten nicht nur auf die rezeptive Nutzung von Medien zielen, sondern insbesondere auch Raum für aktives Medienhandeln öffnen. Kinder sollen Medien als Werkzeuge für ihren kreativen Ausdruck, als Mittel zur Verfolgung ihrer Interessen und als Kommunikationsinstrument entdecken können. Schließlich geht es darum, dass sie sich selbst alsMedienhandelnde erfahren.

 

Medienspuren als symbolische Ausdrucksformen von Kindern lesen

Kinder bearbeiten ihre handlungsleitenden Themen unter anderem mit symbolischem Material ihrer Kultur und verwenden dabei auch Symbolische Objektivationen, um sich und ihrem Umfeld von ihren Fragen und Themen etwas mitzuteilen (Bachmair 1994). Pädagogische Fachkräfte müssen lernen, wie solche Medienspuren in den kindgemäßen Ausdrucksweisen (Zeichnungen, Rollen(-spiel), usw.) zu lesen sind, wie dem kindlichen Thema ein Raum gegeben werden kann und wie die Erkenntnisse für die pädagogische Begleitung des Kindes in seiner individuellen Entwicklung genutzt werden können. Dies sind nur einige Schlaglichter der aktuellen Medienbildung für Kinder, aber in der alltäglichen pädagogischen Arbeit mit Kindern leider noch nicht selbstverständlich.

 

Zu diesem Heft

Die Altersspanne der frühen und mittleren Kindheit in den Blick zu nehmen und dabei die Rolle der Medien für die Entwicklung insgesamt zu beleuchten, ist ein schwieriges Unterfangen, das auch in diesem Themenheft nicht eingelöst wird. Zu verschieden sind Kindheiten heute, zu verschieden ist auch der kindliche Umgang mit Medien und zu verschieden sind auch die Haltungen, Einstellungen und Verhaltensweisen von Eltern und pädagogischen Fachpersonen zur kindlichen Medienaneignung. Stefan Aufenanger gibt in seinem Beitrag einen Überblick über die Mediennutzungsgewohnheiten von Kindern. Dabei setzt er sich kritisch mit vorgeblichen und tatsächlichen Ergebnissen zur Wirkungsforschung auseinander. Ist es tatsächlich so, dass Medien zum Beispiel für angeblich immer schlechter werdende Leseleistungen von Kindern verantwortlich zu machen sind? Angesichts der Komplexität dessen, was Kinder heute zu verarbeiten haben, wäre das eine zu einfache Zuschreibung. Gleichwohl – und das macht der Beitrag unmissverständlich klar – bergen Medien für Kinder ebenso Risiken wie auch Chancen. Es kommt auf Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen an, Kinder verantwortungsvoll zu begleiten.

Dass dies jedoch sehr unterschiedlich geschieht, thematisiert der Beitrag von Ingrid Paus-Hasebrink. Sie beleuchtet die Mediensozialisation von jüngeren Kindern in sozial belasteten Familien. Es hat den Anschein, als wäre Kindheit unter diesen Bedingungen in besonderer Weise „Medienkindheit“, da auf weniger andere Ressourcen der Weltaneignung zurückgegriffen werden kann. Allerdings ist auch hier nicht von einem durchgehenden und gleichen Muster auszugehen. Medien können Zugang zur Welt bedeuten, können aber auch den Zugang zur Welt versperren. Es kommt auf die Art und Weise an, wie sie genutzt werden und welche Nutzungsmuster Kindern zur Verfügung stehen. Den gefühlten Gegensatz zwischen medialer und realer Erfahrung behandelt der Beitrag von Klaus Lutz. Er durchleuchtet die Widersprüchlichkeit in der Haltung vieler Erwachsener – insbesondere Pädagoginnen und Pädagogen –, in der die Natur zu einem „Sehnsuchtsort“ stilisiert wird, während der mediale Erfahrungsraum, den sich junge Kinder erobern, eher abgewertet wird. Dass sich im Zuge der Leistungsanforderungen der Schule die Prioritäten wieder zu verschieben scheinen, sollte auf jeden Fall zu denken geben. Erfahrungen in der Natur und Erfahrungen mit Medien gegeneinander auszuspielen, wird der Komplexität der Herausforderungen, die Kinder beim Aufwachsen zu bewältigen haben, nicht gerecht.

Einen Bogen zur medienpädagogischen bzw. mediendidaktischen Praxis schlägt Uta Hauck-Thum. Sie berichtet von einem Projekt, in dem Lehramtsstudierende zusammen mit Kindern E-Books erstellen. Hier zeigt sich einerseits deutlich, wie unterschiedlich auch die Medienkompetenzen von Studierenden sind, die wir eigentlich schon zu den ‚digital natives‘ zählen; andererseits wird aber auch deutlich, was im Titel dieses Editorials als „Glückssache“ bezeichnet wird. Die Kinder in diesem Projekt hatten die Chance, an ihre individuellen medienbezogenen Alltagserfahrungen anzuknüpfen und sie an einem schulrelevanten Gegenstand weiter entwickeln zu können. In glücklicher Weise verband sich hier literarisches, kreatives und medienbezogenes Lernen. Abschließend fragen Achim Lauber und Maren Würfel, wie die Querschnittsaufgabe der Medienbildung und Medienkompetenzförderung in Deutschland umgesetzt wird. Sie kommen zu dem Schluss, dass es an der Zeit ist, die derzeitigen Praxen kritisch zu prüfen und sich für neue Wege und Kooperationen zu öffnen.

Das Heft erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit in der Darstellung dessen, was Kindheiten heute unter dem Aspekt der Medien bedeuten. Was alle Beiträge miteinander verbindet, ist die Einsicht, dass Medien Teil der Umwelt sind, in der Kinder aufwachsen und die sie sich erschließen müssen. Dass es dabei einer professionellen medienpädagogischen Begleitung bedarf, welche die kindlichen Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit berücksichtigt, steht außer Frage.

Literatur:

Bachmair, Ben (1994). Handlungsleitende Themen: Schlüssel zur Bedeutung der bewegten Bilder für Kinder. In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.), Handbuch der Medienerziehung im Kindergarten. Opladen: Leske + Budrich. S. 171-184.

Groeben, Norbert (2002). Dimensionen der Medienkompetenz: Deskriptive und normative Aspekte. In: Groeben, Norbert/Hurrelmann, Bettina (Hrsg.), Medienkompetenz. Voraussetzungen, Dimensionen, Funktionen. Weinheim: Juventa. S. 160-197.

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (MPFS)(2015). KIM-Studie 2014. Kinder + Medien, Computer + Internet. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger in Deutschland. www.mpfs.de/fileadmin/KIM-pdf14/KIM14.pdf [Zugriff: 18.03.2015].


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