Georg Materna: Mau, Steffen, Lux, Thomas & Westheuser, Linus (2023). Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Berlin: Suhrkamp, 535 S., 25,00 €.
Mau, Steffen, Lux, Thomas & Westheuser, Linus (2023). Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Berlin: Suhrkamp, 535 S., 25,00 €.
Der Erfolg wissenschaftlicher Veröffentlichungen hängt nicht ausschließlich an ihrer Qualität, sondern auch daran, inwiefern die von ihnen behandelten Fragen von der breiten Öffentlichkeit nachgefragt werden. Triggerpunkte kommt damit genau zur richtigen Zeit. Das Buch behandelt Fragen, die viele Menschen umtreiben und schafft es, diese allgemeinverständlich mithilfe empirischer Forschung und ansprechender Theoriearbeit zu beantworten. Die Hauptfrage des Buches ist: Wie gespalten ist unsere Gesellschaft? Die knappe Antwort lautet: Bei weitem nicht so gespalten, wie viele denken. In zentralen Punkten sind die Menschen erstaunlich nah beieinander. Doch dann kommt das große Aber. Denn es gibt viele Konflikte und
leider eskalieren diese auch sehr schnell. Womit die wichtigsten Diskussionsbeiträge von Triggerpunkte erreicht wären: Mau et al. erklären besser und kompakter als viele andere, welche Konfliktarenen es gibt, wer sich dort streitet und warum sich viele Leute so aufregen.
Zentral für das Verständnis der behandelten Konflikte sind die Triggerpunkte: Ungleichbehandlung, Normalitätsverstöße, Entgrenzungsbefürchtungen und Verhaltenszumutungen. Zusammen machen sie deutlich, wie stark Normalitätsvorstellungen in der politischen Debatte aktuell umkämpft sind. Zur Normalität einer demokratischen Gesellschaft gehört, dass ihre Mitglieder gleiche Rechte und Freiheiten genießen wollen. Während manche Gruppen daraus Antidiskriminierungsmaßnahmen ableiten, empfinden andere die angestrebten strukturellen Veränderungen als Zumutungen und beklagen ‚Sonderrechte‘, die mit ihren Vorstellungen von Gleichberechtigung brechen. So werden Ungleichbehandlungen und die Politiken gegen sie zu Auslösern für Konflikte. Gewissheiten werden hinterfragt, eine Gesellschaft fängt an, sich zu verändern. Aktivist*innen gegen Diskriminierung oder gegen den Klimawandel fordern Veränderungen im Sprechen, im Denken und im Handeln. Andere empfinden es als Zumutung, zum Beispiel auf das Auto verzichten oder Gendern zu sollen. Die Zumutungen werden teilweise als so massiv erlebt, dass sie für Untergangs- und Bedrohungsnarrative empfänglich werden.
Konkret verorten lassen sich die Triggerpunkte in den Aushandlungsdynamiken von vier Konfliktarenen, mit denen Mau et al. versuchen, die Vielzahl gesellschaftlicher Kontroversen zu ordnen. Als erstes wird die Oben-Unten-Ungleichheitsarena behandelt, die sich um wirtschaftliche Ungleichheiten und Politiken für deren Ausgleich dreht. Diese Arena ist in Deutschland über verschiedene Systeme der Umverteilung größtenteils befriedet. Weiterhin bestehende Ungleichheiten werden zumeist übermeritokratische Vorstellungen gerechtfertigt: Wohlhabend seien vor allem jene, die viel arbeiten. Und wer viel arbeitet, hätte den Wohlstand auch verdient. Weniger befriedet, weil eine der lautstärksten innenpolitischen Konfliktarenen, ist die Wir-Sie-Ungleichheitsarena, mit der Mau et al. Konflikte um Gender und Rassismus zusammenfassen. In dieser geht es vor allem um Teilhabe und Repräsentation von marginalisierten Gruppierungen. Paradoxerweise ist diese Arena zwar eine, die die Diskussionen bestimmt, gleichzeitig zeigen die Erhebungen von Mau et al. aber auch, dass die unterschiedlichen Schichten der Bevölkerung hier nicht weit auseinanderliegen. 84 Prozent stimmen zu, dass Transpersonen anerkannt werden sollten, 81 Prozent sind für die gleichgeschlechtliche Ehe, 74 Prozent für das Adoptionsrecht von Homosexuellen. Der größte Stresspunkt der Konfliktarena besteht darin, ob Politiken für LGBT-Anerkennung als übertrieben angesehen werden oder nicht – womit der Bogen zu den Triggerpunkten geschlagen werden kann.
Eine weitere Konfliktarena besteht aus Diskussionen um Migration und Flucht, Mau et al. nennen sie die Innen-Außen-Ungleichheitsarena. Hier wird vor allem darum gestritten, wer in welchem Ausmaß ins Land kommen und dann welche Rechte genießen darf. Verhandelt werden diese Fragen zumeist mit einem Deservingness-Narrativ: Während Menschen aus Kriegs- gebieten Solidarität verdient haben, verdienen sie Menschen nicht, die vor Armut fliehen. Solidaritätsgrenzen werden hier im Diskurs je nach Position verschoben. Kritisieren lässt sich, dass Mau et al. nicht herausarbeiten, wie rechtspopulistische Akteur*innen versuchen, diese Grenzverschiebungen in Bezug auf Zugehörigkeit auch in die Wir-Sie-Arena zu tragen. Das betrifft vor allem Diskurspositionen, die Deutschen mit Migrationsgeschichte ihre Zugehörigkeit absprechen und versuchen, deren politische Positionen in die Innen-Außen-Konfliktarena zu tragen.
Die Heute-Morgen-Ungleichheitsarena ist die neueste und ungeregeltste. Sie besteht aus Konflikten um das Verständnis und die Politiken gegen den Klimawandel. In ihr zeigen sich auch die größten Polarisierungstendenzen. Während die Unterschiede in Bezug auf Alter, Geschlecht, Wohnort, Bildung oder Schicht in den anderen Konfliktarenen zumeist nur gering sind, zeigen sich hier vor allem in Bezug auf Schicht und Bildung die deutlichsten Poralisierungen.
Medienpädagogisch wenden lassen sich die Ausführungen von Mau et al. zum einen, wenn die Konfliktarenen und die mit ihnen verbundenen Verhandlung von Normalitätsvorstellungen als Entwicklungsaufgabe für junge Menschen verstanden werden. Und wenn zum anderen die
neuartigen medialen Dynamiken dieser Aushandlungen mit jungen Menschen gezielt bearbeitet werden. Denn die skizzierten Arenen sind in großen Teilen digitale Räume – auch wenn das von Mau et al. kaum herausgearbeitet wird. In diesen Räumen nehmen junge Menschen an der Konfliktaushandlung teil und werden von polarisierenden Konfliktdynamiken erreicht. Es ist ein wichtiger Auftrag von Medienpädagogik,
sie ihn ihrem Umgang damit zu unterstützen.
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