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Heidi Schelhowe: Medienpädagogik und Informatik

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Interdisziplinärer Diskurs

Medien vor 60 Jahren – Medien heute. Da ist vieles gleich geblieben und doch irgendwie alles ganz anders. Wir sind vernetzt, online und mobil, Medien sind immer und überall – und aus keinem Lebensbereich und keiner (humanwissenschaftlichen) Disziplin wegzudenken. merz, seit 60 Jahren Forum der Medienpädagogik, nimmt ihren Geburtstag zum Anlass, um dies im interdisziplinären Horizont zu erörtern. Wir fragten Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Disziplinen: Was macht den Mehrwert medienpädagogischer Forschung und Praxis in der zunehmend mediatisierten Gesellschaft aus?

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Kaum ein Bereich der Gesellschaft bleibt heute von der Informatik unberührt. Informatik ist eine Wissenschaft und Praxis, die sich in allen Poren der Gesellschaft einnistet und zahlreiche Gebiete verändert. Diese Veränderungen haben mit zunehmender Rationalisierung, Formalisierung und Standardisierung zu tun, aber – wenn es gut läuft – auch mit kreativen und interaktiven Formen des Umgangs von Menschen mit regulierten und von Maschinen ausgeführten Prozessen.Der Computer hat als elektronische und programmierbare Rechenmaschine in den 1940er-Jahren begonnen und inzwischen als Medium in viele Bereiche des Alltags Einzug genommen. Er erscheint in Form von Smartphones, Tablets, intelligenten Chips in Alltagsgeräten oder als Instrument, das Bewegungen misst und bewertet. Dies ist nicht nur der Schrumpfung der Hardware in eine Mikrogröße zu verdanken, sondern auch der Tatsache, dass die Bedienung so einfach geworden ist, dass das Rechnen unauffällig im Hintergrund stattfindet.Will die Informatik den Menschen in ihrem Umgang mit Maschinen Handlungsfreiheit und Kreativität ermöglichen, ist sie auf Wissen und Kenntnisse des Anwendungsbereichs angewiesen. Dies gilt nicht zuletzt für Gebiete, in denen es um persönliche Entwicklung geht.Viel zu oft sind informatische Produkte im Bildungskontext gekennzeichnet von behavioristischen und instruktionistischen Vorstellungen des Lernens, die mit Bildung nicht viel zu tun haben und Menschen als zu füllende Gehirne statt in ihrer ganzen Fülle wahrnehmen.Medienpädagogische Forschung und Praxis liefern Grundlagen dafür, dass wir in der Informatik Hardware und Software entwickeln können, die sich auf nachweislich wirksame pädagogische Theorie und Praxis stützt. Medienpädagogik ist ein notwendiger und wichtiger Partner bei der Entwicklung von computergestützten Lernumgebungen. Sie liefert für die Implementierungen die Kenntnisse und Erfahrungen, auf die Informatik sich stützen muss, um nicht regulierend oder das Denken ersetzend, sondern unterstützend im Lernprozess wirksam werden zu können.Lange Zeit hat auch die Informatik-Didaktik sich in ihrem Mainstream gegen zu viel Nähe zur Medienpädagogik gesträubt. Der Computer als Rechenmaschine war das Paradigma, das es – so der Glaube – gegen eine ‚Verwässerung‘ durch den ‚weichen‘ Bereich der Medien zu verteidigen galt. Heute vollzieht sich eine Annäherung. Nicht nur in der Schweiz mit dem Lehrplan 21, sondern auch in Deutschland wird seit einigen Jahren eine brüderliche bzw. schwesterliche Verbindung von informatischer Bildung und Medienbildung begrüßt. Ein historisch längst fälliger und begrüßenswerter Schritt!Ich gratuliere merz zum sechzigsten Geburtstag und danke für die zahlreichen Untersuchungen, Studien und Berichte, die ich wie viele andere, die sich mit Softwareentwicklung im Bildungskontext befassen, als ausgesprochen hilfreich und notwendig empfinde. Ich freue mich auf viele weitere Beiträge in den kommenden Jahren!

Dr. Heidi Schelhowe ist Professorin für Digitale Medien in der Bildung an der Universität Bremen und Leiterin der Arbeitsgruppe dimeb. Ihre Schwerpunkte sind unter anderem Software- und Hardwareentwicklung für Bildungskontexte, Interaktionsdesign, Medienbildung sowie Digitale Medien in der Hochschullehre.


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