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Helga Theunert, Andreas Lange und Kathrin Demmler: Editorial

Familie und Medien: Es ist keine Frage, dass diese Verbindung dauerhaft im Fokus der Medienpädagogik steht. Familie konstituiert in vielfacher und einflussreicher Weise den soziokulturellen und sozioökonomischen Bezugsrahmen für das Heranwachsen. In der Familie werden Kinder zuerst und nachhaltig in Wertesysteme und Lebensstile eingeführt, hier erhalten ihr Menschenbild und Weltverständnis Konturen, werden Bildungschancen und Bildungshemmnisse grundgelegt und vieles mehr. In diesen Bezugsrahmen sind die Prozesse der Medienaneignung in Kindheit und Jugend untrennbar eingebettet.

Die Familienmitglieder bieten dem Kind die ersten und wiederum nachhaltigen Vorbilder für den Gebrauch von Medien, es erfährt mediale Beschäftigungen als anregende, strukturierende, dominierende oder konfliktträchtige Größen des alltäglichen Familienlebens, lernt Medien als Unterhaltungs- und Wissensquelle, als Kommunikations- und Artikulationsmittel oder auch als Flucht- und Suchtmittel kennen. Doch die beiden Pole des Verhältnisses Familie und Medien sind keine stabilen Größen, beide unterliegen Wandlungsprozessen, die mit Veränderungen in gesellschaftlichen Strukturen, seien diese ökonomischer oder ideologischer Art, und mit medialen Entwicklungen, seien diese technischer oder inhaltlicher Natur, zusammenhängen. So ist Familie heute ein vielgestaltiger Sozialraum, der sehr unterschiedliche Konstellationen aufweist, in dem Brüche und Umbrüche zunehmend üblicher werden und in dem vielfältige Erwartungen und Belastungen zu bewältigen sind, die von außen, vor allem von der Arbeitswelt und dem Bildungssystem an den Sozialraum Familie und an seine Mitglieder herangetragen werden: Alleinerziehende, Lebenspartnerschaften, Patchwork-Familien, die Generationen und Zwischengenerationen umfassen, multilokal lebende Familien sind nur einige Stichworte, die auf spezifische Bewältigungsanforderungen im Alltag vieler Erwachsener und Heranwachsender verweisen. Das „Doing Family“ ist eine konstante Aufgabe und eine mit sehr unterschiedlichen Leistungen verbundene Größe heutigen Familienlebens. Als integrierter Bestandteil der Lebensvollzüge und des alltäglichen Gemeinschaftslebens spielen Medien in das „Doing Family“ hinein, in vielfältigen Funktionen und mit konstruktiven ebenso wie destruktiven Anteilen. Im Zuge der Digitalisierung hat die Medienwelt tiefgreifende Veränderungen erfahren: Der aneinandergereihte oder aufgeschichtete Konsum von Einzelmedien ist ergänzt und erweitert um den vernetzten multimedialen und multifunktionalen Zugang zu medialen Inhaltsuniversen und damit verbundenen oder separat in Dienst zu nehmenden Artikulations- und Interaktionsmöglichkeiten mit medialen Mitteln und in medialen Räumen. Das Subjekt ist nicht mehr beschränkt auf den Konsum von Medienangeboten, es kann sich selbsttätig medial zur Geltung bringen. Im Sozialraum Familie geht es entsprechend mittlerweile um weit mehr als um gemeinschaftsstiftende oder konfliktauslösende Medienrezeption. Die Vielzahl und Vielfalt der Angebote evozieren vielerlei divergente Vorlieben. Vorrangig dort, wo Artikulation und Interaktion in medialen Räumen möglich und gefordert sind, ist einerseits ein Auseinanderdriften des Medienhandelns der Generationen zu beobachten, das familiäre Medienerziehung behindern kann. Andererseits erlauben gerade die medialen Artikulations- und Interaktionsformen, räumliche Distanzen zu überwinden und medienbasierte Nähe zu schaffen. Sie können so beispielsweise für multilokal lebende Familien neue Möglichkeiten eröffnen, Familie zu leben. Den Veränderungen im Verhältnis Familie und Medien widmet sich der einführende Artikel von Helga Theunert und Andreas Lange. Im ersten Teil werden zentrale Wandlungslinien im Sozialsystem Familie und in den Strukturen der heutigen Medienwelt skizziert. Auf dieser Grundlage wird ein Thesentableau zum Verhältnis Familie und Medien entwickelt, das die Fragen, was leisten Familien in Medienaneignungsprozessen und umgekehrt, was leisten Medien in familiären Lebenswelten unter den veränderten Gegebenheit betrachtet, auf der Basis vorhandenen empirischen Wissens und – da dieses als lückenhaft zu qualifizieren ist – in Form von Fragestellungen, Problemaufrissen und Handlungsanforderungen.Christian Alt und Markus Teubner beleuchten einen oftmals in der Debatte vernachlässigten Aspekt von Familien – die Rede ist von den Geschwistern. Die über die Generationenachse in Familien hinausreichenden geschwisterlichen Einflüsse sind schon deshalb von Interesse, weil davon ausgegangen werden kann, dass sie eventuell die generationsbedingten Defizite von Vätern und Müttern kompensieren können. Empirisch gestützt kann der Autor unter anderem nachweisen, dass ältere Geschwister in der Tat in der Familie hinsichtlich der PC- und vor allem Internetkenntnisse förderlich für ihre jüngeren Geschwister sein können.Der Artikel von Simone Bahr und Dorothee Falkenreck greift ein altes, aber unverändert relevantes ‚Familienmedium‘ auf: Das Fernsehen. An einem Fallbeispiel aus der pädagogischen Familienforschung wird die soziale Praxis des gemeinsamen Fernsehens anschaulich beschrieben.

Dabei geht es nicht alleine um die Details im Umgang mit dem Medium, wie beispielsweise der Zentralität des Themas Zeit, sondern der Fokus liegt überdies auf dem Vergemeinschaftungsprozess, der im Kontext der gemeinsamen Fernsehsituation durch Interaktion und Kommunikation, über inhaltliche und formale Elemente des Gesehenen, realisiert wird.Kathrin Demmler nimmt die pädagogischen Handlungsnotwendigkeiten in den Blick. Aufbauend auf der Erkenntnis, dass Familie heute als vielschichtiges Sozialsystem ebenso vielschichtige pädagogische Konzeptionen benötigt, betrachtet sie vorhandene Projekte und Erfahrungen und stellt Überlegungen für eine gelingende, ganzheitliche medienpädagogische Familienbildung an.Eingestreut in den Thementeil finden sich Kästen zu einem Aspekt, der im Verhältnis Familie und Medien zweifellos eine Rolle spielt, aber hier in keinem eigenen Text behandelt ist: Bilder und Vorstellungen von Familie in den Medien, die gerade von der heranwachsenden Generation vielfach als Vorbilder und Folie für die Entwicklung von Zukunftsperspektiven herangezogen werden. Michael Gurt hat solche aktuell für Heranwachsende und Eltern relevanten Vorstellungen von Familie in unterschiedlichen Medien zusammengestellt und knapp beschrieben.


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