Höltgen, Stefan (2010). Schnittstellen. Serienmord im F ilm. Marburg: Schüren. 392 S., 29,90 €
Mörderisches auf dem Bildschirm
Im 20. Jahrhundert entwickelt sich der Film zum Leitmedium – er beeinflusst den Alltag, die Gesellschaft und sieht sich dadurch einiger Kritik ausgesetzt. Gerade der Kriminalfilm steht häuf ig unter dem Verdacht, negative Auswirkungen auf die Zuschauerinnen und Zuschauer zu haben, schließlich gebe er ja vor, wie ein Verbrechen zu begehen sei und der Schritt zur Nachahmung wäre ein Leichtes. Aber auch eine Einflussnahme gesellschaftlicher Vorgänge ist möglich – schließlich entwickeln einige Regisseurinnen und Regisseure ihre Geschichten aus tatsächlichen Verbrechen.
Stefan Höltgen nimmt sich in Schnittstellen dem Serienmord im Film an und versucht, die wechselseitige Beeinf lussung von medialen und gesellschaftlichen Diskursen zu beschreiben. Besonders interessant erscheint dem Autor die titelgebenede „Schnittstelle“, an der Mord und M.O.R.D., also Moral Order Regular Destruction, aufeinandertreffen. Nachdem grundlegende Begriffe bestimmt sind, wendet sich Höltgen ausführlich dem Thema der Authentizität als Ästhetik der Konstruktion zu, womit theoriegestützt auf eindrucksvolle Art deutlich wird, dass ‚authentisch’ hier nicht eine außermediale Realität meint, sondern einen ästhetischen Prozess bezeichnet, der den Eindruck von Realität konstruiert. Kaum ist dieser theoretische Grundstock gelegt, nimmt die detaillierte Untersuchung von 37 Serienmörderf ilmen den Hauptteil des Buches ein. Die Filme werden chronologisch vorgestellt, beginnend mit der frühen Phase, in die Werke wie Das Wachsfigurenkabinett von 1924, M – eine Stadt sucht einen Mörder oder auch Supernatural fallen, über die Phase des Exils bis etwa 1959 mit Filmen wie The Sniper oder Nachts wenn der Teufel kam, die Phase von Schock und Gewalt, die durch Hitchcocks Klassiker Psycho eingeläutet wird und schließlich die postmoderne Phase, in der Das Schweigen der Lämmer ebenso behandelt wird wie Natural Born Killers oder der neueste Film The Last Horror Movie von 2004. Dabei geht Höltgens Auseinandersetzung erfreulicherweise stets über eine bloße Inhaltsangabe hinaus – der Autor verknüpft geschickt den Filmstoff sowie die eventuell zugrunde liegende Begebenheit mit bestehenden Filmanalysen und Kritikerstimmen, die zu den jeweiligen Filmstarts geäußert wurden. Besprochene Filmszenen sind als untertitelte Abbildungen in den Fließtext integriert. Nachvollziehbar und gut argumentiert entlarvt der Autor so manche Fehldeutung und schafft so neue Sichtweisen, die auch Expertinnen und Experten auf dem Gebiet des Serienmordes im Film überraschen dürfte. Durch dieses Vorgehen wird der wechselseitige Einfluss, den Höltgen in der Einleitung ankündigt, herausgearbeitet, zumal der Autor auch gegenseitige Bezugnahme der Regisseure auf andere Filme herausstellt.
Der abschließende Diskurs des Serienmörderfilms fasst aufschlussreich und übersichtlich die Ergebnisse der ausführlichen Beschreibungen der Filme zusammen. So wird etwa das Motiv der herrschsüchtigen, allwissenden Mutterfigur noch einmal als eines der Leitmotive des Genres herausgearbeitet, was zugleich den Versuch, psychologische Erkenntnisse aus der Kriminalgeschichte in die F ilme zu integrieren, verdeutlicht. Darüber hinaus werden die Erwartungen des Publikums sowie f ilmtechnische Besonderheiten thematisiert, bevor das Thema von Einfluss und Rückfluss abrundend aufgegriffen wird. Für Filminteressierte ist das Werk, das trotz einzelner Rechtschreibfehler angenehm zu lesen ist, sicherlich ebenso ein Gewinn wie für Filmwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, Expertinnen und Experten aus der Kriminalistik, Kunstgeschichte oder den Medienwissenschaften oder auch Studierende dieser Fachrichtungen.
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