Ingo Bosse und Elisabeth Jäcklein-Kreis: Editorial
Medienpädagogik und Inklusion
In der Medienpädagogik ist es erklärtes Ziel, allen gleichermaßen Mediennutzung zu ermöglichen, Medienkompetenz in allen räumlichen, sozialen und generativen Bereichen zu verankern, soziale und politische Teilhabe für alle zu ermöglichen. Gerade Neue Medien bieten dazu wertvolle Möglichkeiten, auch jenen Menschen Teilhabe zu ermöglichen, die sonst Gefahr laufen, an Barrieren zu stoßen und gegebenenfalls daran zu scheitern. Seien es ältere Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit niedriger formaler Bildung oder Menschen mit Behinderung. Letztere wurden lange Zeit dennoch als ‚Sonderfall‘ angesehen und standen selten im Fokus medienpädagogischer Bemühungen. Doch in jüngster Zeit finden sie zunehmend Beachtung. Immer wieder fällt dabei in (medien-)pädagogischen Diskursen das Stichwort ‚Inklusion‘. Kinder mit und ohne Behinderungen in gemeinsamen Klassen, inklusiven Krippen, Horten, Betreuungsangeboten. (Mediale) Werkzeuge, die gemeinsames, inklusives Lernen und Arbeiten erleichtern oder ermöglichen, werden zunehmend diskutiert und auch in die Praxis umgesetzt.Ein Katalysator war dabei sicher die Verabschiedung der Behindertenrechtskonvention (BRK) der Vereinten Nationen im Dezember 2006, die seit März 2009 auch für Deutschland verbindlich ist. Sie machte erstmals deutlich, dass die Grund- und Menschenrechte auch für Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt Geltung haben – auch und gerade, wenn es um gesellschaftliche und politische Teilhabe geht.
So fordert die Konvention unter anderem klar das Recht auf uneingeschränkte Teilhabe an der Informationsgesellschaft, an mediatisierten Welten und an der Kommunikationskultur. Dabei stehen zwei zentrale Forderungen im Vordergrund: - Auf gesellschaftlicher Ebene soll Menschen mit Behinderung eine echte und wirksame Teilhabe ermöglicht werden. Es geht darum, „den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern“ (UN Behindertenrechtskonvention – Artikel 1).- Für die Einzelnen bedeutet Partizipation auch zugleich Selbständigkeit. Es muss allen Menschen möglich sein, mit ihren selbst verfügbaren persönlichen, materiellen und sozialen Kräften zur eigenen Lebensqualität beizutragen und diese zu gestalten.Beide Forderungen setzen in Bezug auf Medienpädagogik zunächst Chancengerechtigkeit voraus. Menschen mit Behinderung müssen die Möglichkeit haben, barrierefrei an Medienbildung zu partizipieren. Dies betrifft die Nutzung von Medien, aber auch die Möglichkeit, an allen Angeboten der Medienpädagogik teilzuhaben.
Diese grundsätzlichen Forderungen der UNKonvention sind seitdem viel diskutiert worden und finden immer stärkeren Anklang und immer breitere Umsetzung. Viele Organisationen und Institutionen, die sich von jeher mit Menschen mit Behinderung beschäftigen, haben sich die Ideen der Konventionen zu eigen gemacht und versuchen, ihre Umsetzung voranzutreiben bzw. Hilfestellungen zur Umsetzung zu liefern. Genannt sei etwa die Caritas, die auf ihrer Homepage ein ausführliches, praxisorientiertes Handbuch Inklusion zum Download anbietet oder die Deutsche UNESCO-Kommission, die in ihrer Hauptversammlung 2011 ebenfalls eine Resolution zur Inklusiven Bildung verabschiedete.Doch auch Forschung und Praxis, die nicht in erster Linie Menschen mit Behinderung im Blick haben, werden mehr und mehr darauf aufmerksam. Veranstaltungen wie die Fachtagung All inclusive? Informationskompetenz und inklusive Mediengesellschaft, die am 30. November 2011 in Düsseldorf stattfand oder die Tagung Anschluss statt Ausschluss. (Inklusive) Medienbildung an Förderschulen und im gemeinsamen Unterricht (www.anschluss-statt-ausschluss.tudortmund.de), die am 23. März 2012 an der TU Dortmund stattfinden wird, zeigen dies.
Inklusion in Theorie und Praxis – Die Texte in diesem Heft
In dieser Ausgabe der merz | medien + erziehung möchten wir dieses aktuelle Thema aufgreifen und einen Blick auf die Anforderungen und Ziele werfen, aber auch die Erfolge betrachten, die bereits verzeichnet werden können.Um den viel diskutierten Begriff ‚Inklusion‘ einführend zu klären und auch von ‚Integration‘ abzugrenzen, eröffnet Hildegard Mogge-Grotjahn von der Evangelischen Fachhochschule in Bochum das Thema mit einer Begriffsklärung und -einordnung. Dabei beschäftigt sie sich sowohl mit der Herkunft des Begriffes als auch mit gängigen Fehldeutungen und Fehlanwendungen und legt so die Grundlage des Begriffsverständnisses für das Heft.Jan-René Schluchter von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg gibt daran anschließend eine ausführliche Einführung in den Themenkomplex ‚Inklusion und Medienpädagogik‘ und erläutert, welche Aufgaben Medienpädagogik im Rahmen inklusiver Bemühungen zufallen, welche Anforderungen sich stellen und auch, wo sich Grenzen auftun.An diese theoretischen Grundlagen anschließend beschäftigen sich zwei Autoren mit spezielleren Fragestellungen der inklusiven Medienpädagogik:Christopher Mihajlovic, Pädagogischer Mitarbeiter in der Ambulanten Familienhilfe der Lebenshilfe e. V. in Frankfurt am Main stellt eine Lehrerbefragung zum Einsatz von Computern und Internet an Förderschulen vor und zeigt dabei, dass Neue Medien hier deutlich häufiger und intensiver eingesetzt werden, als dies an Regelschulen der Fall ist, dass zwischen den verschiedenen Medien(-angeboten) aber dennoch teilweise große Unterschiede in der Nutzbarkeit und Anwendung klaffen.
Florian Lock präsentiert anschließend eine umfassende Inhaltsanalyse der Zeitschrift Der Spiegel, für die er Studien von 1955 bis 2005 zugrunde legt sowie eine eigene Untersuchung anstellt, die umfassend darlegt, wie Menschen mit Behinderung im Spiegel dargestellt wurden bzw. werden. Dabei zeigt er, dass Aspekte wie die Schwerpunktsetzung bei der thematischen Einbettung und der Schreibstil recht ähnlich geblieben sind, kann aber dennoch einen Wandel in der Sichtweise auf Menschen mit Behinderung feststellen.Die theoretischen und empirischen Artikel zum Thema Inklusion werden auch in diesem Heft ergänzt und weitergeführt durch kurze Vorstellungen bereits existierender, praktischer Projekte.So beschreibt Ingo Bosse Konzeption, Umsetzung und Evaluation von Computerkursen in Wohnheimen von Bethel Regional für Erwachsene mit hohem Hilfebedarf, Carola Werning und Diana Stuckatz schildern ihre Erfahrungen aus Kooperationsprojekten der LAG Lokale Medienarbeit NRW e. V. und der tjfbg gGmbH, Vera Tillmann beschäftigt sich mit inklusiven Bewegungs- und Sportmöglichkeiten mit der Spielkonsole Wii und Elisabeth Jäcklein-Kreis stellt das Magazin TOLL vor, das von Menschen mit Behinderung gestaltet und teilweise produziert wird.Wer nach all diesen theoretischen und praktischen Beiträgen immer noch Wissensdurst zum Thema verspürt, der findet auf der nächsten Seite zudem eine kurze Literaturliste mit interessanten, informativen und hilfreichen Lese- und Klickempfehlungen.Wir wünschen viel Spaß beim Lesen und eine anregende Lektüre.
Literatur zum Thema ‚Medienpädagogik und Inklusion
‘Jan-René Schluchter (2010). Medienbildung mit Menschen mit Behinderung. Schriftenreihe Medienpädagogische Praxisforschung Band 5. München: kopaed.Theoretisch-konzeptionelle Grundlagen zur Medienpädagogik mit Menschen mit Behinderung. Für zehn thematische Schwerpunkte im Schnittfeld ‚Behinderung‘ und ‚Medien‘ werden Themen und Ansatzpunkte für die praktische Arbeit herausgearbeitet.Lani, Florian/Hegarty, John (2004). ICT and Special Educational Needs: A Tool for Inclusion.London: Open University press.Umfangreiches, englischsprachiges Herausgeberwerk, das die Chancen und Grenzen des Einsatzes neuer Medien in der pädagogischen Arbeit mit Menschen mit Behinderung erläutert und dabei schulische sowie außerschulische Ansätze vermittelt.Diözesan.Caritasverband für das Erzbistum Köln: Handbuch Inklusion. Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Alltag. http://blog.kein-mensch-ist-perfekt.de/wp-content/uploads/2010/12/Handbuch_inklusion_koeln.pdf
Ausführliches, informatives Handbuch mit Begriffsklärungen, theoretischen Grundlagen und umfassenden praktischen Informationen und Tipps zur Inklusion, aufgegliedert nach verschiedenen Behinderungen und Zielgruppen. Ergänzt um Literaturtipps.Mekonet Handreichung. Inklusive Medienbildung auf einen Blick. www.mekonet.deSechsseitige Broschüre mit Informationen zu Inklusion und Medienbildung und vielen interessanten Links.LAG Medien NRW: www.inklusive-medienarbeit.deDarstellung eines Modellprojektes zur Umsetzung einer inklusiven Medienpädagogik in Nordrhein-Westfalen sowie weitere Informationen und Links.www.einfach-teilhaben.deDas Webportal für Menschen mit Behinderungen, ihre Angehörigen, Verwaltungen und Unternehmen; mit praktischen Tipps und Informationen zu allen Lebensbereichen und -fragen.www.einfach-fuer-alle.deInitiative der Aktion Mensch für ein barrierefreies Internet
Meldestelle für digtiale Barrieren
Forschungsinstitut Technologie und Behinderung der ev. Stiftung Vollmarstein
www.barrierefrei-kommunizieren.de
Berufliche und gesellschaftliche Integration von Menschen mit und ohne Behinderung mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)www.anschluss-statt-ausschluss.tu-dortmund.deÜbersicht über zahlreiche Praxis- und Forschungsprojekte
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