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Katharina Jäntschi: Editorial. Queer im Netz

Digitale Räume, Communitys und Aktivismus in der Medienpädagogik

Frauen* und Menschen mit homo- oder bisexueller Orientierung sind besonders häufig von Hass im Netz betroffen. Das verdeutlicht die repräsentative Studie Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht, die im Februar 2024 veröffentlich wurde (NETTZ et al., 2024). Dabei zeigt sich, dass die sexuelle Orientierung und/oder geschlechtliche Identität häufig das Ziel von Online-Hass sind (ebd., S. 39). Die Studie bestätigt damit die Wahrnehmung vieler queerer Menschen, die sich in digitalen Räumen bewegen. Umso wichtiger ist die Auseinandersetzung medienpädagogischer Ansätze mit queeren Perspektiven.

Obwohl romantische, sexuelle und geschlechtliche Darstellungen in Medien sowie gesellschaftliche Aushandlungen eine lange Geschichte haben, haben sie sich in den letzten Jahren erheblich verändert und weiterentwickelt. Junge Menschen wachsen heute in eine Gesellschaft hinein, in der weitaus vielfältigere Lebensentwürfe sichtbar sind als noch vor einigen Jahren. Gleichzeitig sehen sie sich mit Polarisierungen, Unsicherheiten und Anfeindungen von Lebensentwürfen konfrontiert, die (scheinbar) außerhalb der gesellschaftlichen Norm liegen. Der kompetente Umgang mit Heterogenität ist daher mehr denn je Entwicklungsaufgabe Heranwachsender. Über zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland lassen sich laut Studien dem queeren Spektrum zuordnen, wobei der Prozentsatz bei der jüngeren Generation höher ist als bei der älteren (IPSOS 2023, S. 9 f.). Das bedeutet, dass statistisch in jeder Klasse oder Jugendgruppe mindestens eine Person queer ist. Queerness in der (Medien-)Pädagogik sollte daher längst eine Selbstverständlichkeit sein. Was das für die medienpädagogische Arbeit konkret bedeutet und vor welchen Herausforderungen die Bildungsarbeit allgemein steht, wird in diesem Themenschwerpunkt aufgegriffen.

Die Vielfalt der Lebensrealitäten in Bezug auf geschlechtliche Identifizierung sowie sexuelle und romantische Orientierung muss entsprechend in den Medien abgebildet werden. Dadurch können junge Menschen positive Identifikationsmöglichkeiten erhalten und enge Stereotype aufbrechen – dies ist natürlich nicht allein die Aufgabe der Medienpädagog*innen in der Kinder- und Jugendarbeit. Fachkräfte sollten jedoch zum Beispiel bei der Auswahl von Medienprodukten oder der Durchführung von (medien-)pädagogischen Praxisprojekten bezüglich geschlechtlicher Vielfalt sensibel und informiert vorgehen. Zugleich ist es wichtig, die kritische Medienkompetenz junger Menschen zu stärken, damit sie reflektiert mit den Medien umgehen können und sich nicht negativ beeinflussen lassen bzw. kompetent und differenziert mit stereotypen Medieninhalten oder queerfeindlichen Offerten umgehen lernen.

Welche Unterstützung erhalten junge Menschen im Hinblick auf ihre romantischen, sexuellen und geschlechtlichen Orientierungen (in den Medien) und mit welchen (neuen) Herausforderungen sind sie konfrontiert? Welche Entwicklungen und Herangehensweisen sind parallel innerhalb der medienpädagogischen Bildungsarbeit notwendig, damit junge Menschen bestmöglich in ihrem selbstbestimmten und individuellen Aufwachsen begleitet werden können?

Nicola Döring führt grundlegend in das Themenfeld Queerness in der Medienpädagogik ein. Sie legt relevante Zahlen und Fakten geschlechtlicher Vielfalt in der Gesamtbevölkerung in Deutschland und speziell bei Kindern und Jugendlichen sowie Repräsentation von Queerness und Straightness in Sozialen Medien dar. Zudem diskutiert Döring das Spannungsfeld zwischen zunehmender Akzeptanz und Sicherbarkeit vielfältiger geschlechtlicher Identitätsentwürfe und sexueller Orientierungen als auch einer ansteigenden Queerfeindlichkeit sowie der Artikulation in den Medien. Beides muss in der Arbeit mit Jugendlichen und jungen Menschen berücksichtigt werden. Im Gespräch mit der Wissenschaftlerin Katrin Degen und dem Oberbürgermeister von Neubrandenburg Silvio Witt geht Katharina Jäntschi der Frage nach, warum Queerfeindlichkeit für rechtsextreme Akteur*innen als Feindbild heutzutage prädestiniert ist – obwohl einige rechte Akteur*innen selbst dem nicht-heteronormativen Spektrum zuzuordnen sind. Besonderer Schwerpunkt liegt hier auf Analysen der Onlinekommunikation, derer sich die Neue bzw. Extreme Rechte bedient, und die spezifischen Möglichkeiten des Internets und insbesondere der Sozialen Medien nutzt.
Annika Spahn erläutert in einem umfassenden Glossar wesentliche Begriffe rund um Queerness. Dies bietet eine Orientierung für alle, die mit den vielfältigen Begrifflichkeiten weniger vertraut sind oder mehr zu einzelnen queeren Vokabeln erfahren wollen. Zudem verdeutlicht das Glossar die Dynamik des Queerness-Felds und wie historische Kämpfe durch bestimmte Begrifflichkeiten transportiert werden können.
Folke Brodersen und Katharina Jäntschi gehen auf die Praxis einer queersensiblen (Medien-)Pädagogik ein. Mit der Grundhaltung, dass Jugendarbeit immer queere Jugendarbeit ist, und ausgehend von eigenen Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen beleuchten sie praxisnah verschiedene Voraussetzungen, Ziele, Prämissen und Haltungen für kompetente, queersensible Jugendarbeit.

Patrick Wolf, Queerbeauftragter des Bayerischen Jugendrings, und Kathrin Demmler, Direktorin des JFF, gehen in einem Gespräch mit Katharina Jäntschi auf Herausforderungen der veränderten Anforderungen im Hinblick auf geschlechtliche Vielfalt in der Jugendarbeit und Medienpädagogik ein. Dies betrifft nicht nur die Jugendlichen selbst, sondern auch die tätigen Pädagog*innen. Gemeinsam eruieren sie, wie diese teils herausfordernden Veränderungen gelingend angegangen werden können.

Die Drehbuchautorin Lily Ringler reflektiert meinungsbasiert die Bedingungen für queere Repräsentation in Bewegtbildmedien. In ihrem Plädoyer setzt sie sich für mehr Diversität queerer Akteur*innen in fiktionalen Angeboten ein. Dabei geht sie auf Fallstricke wie Queerbaiting und Stereotypisierung ein und beleuchtet aktuelle Beispiele wie die Serie Heartstopper. Ringler analysiert kritisch die derzeitigen, stark begrenzten Repräsentationen innerhalb von Mainstream-Angeboten mit queerem Figureninventar.
In Steckbriefen werden drei Projekte mit ihren unterschiedlichen Ansätzen queerer Medienpädagogik vorgestellt. Queere Games – QUEER THINGSDates (Medienzentrum München) hat die Münchner queere Community in einem offenen Format in den Austausch über queere Repräsentation und Figuren in Computerspielen gebracht. Gemeinsam mit Fachkräften hat das Projekt Fierce! – Potentiale queerer JugendMedienArbeit (ComputerProjekt Köln e. V.) unter anderem Bedarfe für queere Jugendarbeit eruiert. 2024 steht im Zeichen der Durchführung konzipierter Fortbildungen sowie der Erstellung von Info-Material. Beim dritten Projekt Que(e)r durch Berlin und Brandenburg (JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis) wurden gemeinsam mit queeren Jugendlichen Medienprodukte erstellt und so die eigene Handlungsfähigkeit sowie Medienkompetenz gestärkt. Dieses Themenheft soll Zuversicht unter Fachkräften generieren und zeigen, dass diese unterschiedlichen Zugänge und Perspektiven auf das Thema Queerness in der Medienpädagogik einen bedeutenden Beitrag leisten können. Das Anliegen ist es, nicht nur Interesse zu wecken, sondern auch Sicherheit zu vermitteln, das Thema Queerness in der eigenen (medien-)pädagogischen Praxis mitzudenken – sei es durch explizite Projektarbeit, als ständige Begleitung oder als selbstverständliche Willkommenskultur für queere junge Menschen.

Literatur
Das NETTZ, Gesellschaft für Medienpädagogik und
Kommunikationskultur, HateAid & Neue deutsche
Medienmacher*innen als Teil des Kompetenznetzwerks gegen
Hass im Netz. (2024). Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass
im Netz den demokratischen Diskurs bedroht. Ergebnisse einer
repräsentativen Befragung. https:// kompetenznetzwerk-hass-
im-netz.de/ lauter-hass-leiser-rueckzug/


IPSOS. (2023). LGBT+ Pride 2023: A 30-Country Ipsos Global
Advisor Survey. ipsos.com/sites/default/files/ct/
news/documents/2023-05/ Ipsos%20LGBT%2B%20Pride%20
2023%20Global%20Survey%20Report%20-%20rev.pdf


Katharina Jäntschiarbeitet als medienpäda-
gogische Referentin in der Abteilung Praxis
des JFF. Sie hat Soziologie und Gender Studies
studiert. Ihre Schwerpunkte sind geschlechts-
und queersensible medienpädagogische Praxis
sowie demokratische Teilhabe und politische
Bildung in der Medienpädagogik.


Das Heft entstand mit fachlicher Beratung von
Mareike Schemmerling (JFF – Institut für Me-
dienpädagogik) und Mina Mittertrainer (freie
Geschlechterforscherin).

 

 


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