Kati Struckmeyer: Trauer und Turnschuh. Ein Podcast zur deutschen Erinnerungskultur
S. Fischer Verlag (2023). Trauer & Turnschuh. Podcast, kostenfrei, diverse Podcast-Plattformen
Die „emotionale Afterhour der Vergangenheit“, so nennen Hadija Haruna-Oelker und Max Czollek im Trailer ihren Podcast Trauer und Turnschuh, in dem sie einmal im Monat darüber reden, was ihrer Meinung nach aus unserer Vergangenheit vergessen und verdrängt wurde, und was das mit unserer Gesellschaft macht. Sowohl Haruna-Oelker also auch Czollek sind Bestsellerautor*innen. Czollek brachte 2018 mit Desintegriert euch! eine Streitschrift heraus, die große Beachtung fand und viel diskutiert wurde. Haruna-Oelker zeichnet für Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken verantwortlich, das 2022 erschienen ist. In Trauer und Turnschuh reden die beiden über das Erinnern, vor allem aber auch über das Vergessen, nämlich das Vergessen der Geschichten, die nicht erzählt werden, weil sie nicht in die deutsche Erinnerungskultur ‚passen‘. Damit das Thema nicht zu schwer erscheint, reden Czollek und Haruna-Oelker sehr locker und meist leicht zugänglich darüber – dafür steht auch der Turnschuh im Titel. In der ersten Folge wird zu Beginn der sprachliche Unterschied zwischen Vergangenheit, Geschichte und Erinnerung ausdifferenziert, der eine der Grundlagen des Podcasts ist. Vergangenheit wird von Haruna-Oelker und Czollek als die Masse der Dinge, die passiert sind, verstanden. Geschichte wiederum als das, was wir davon auswählen und erzählen, verbunden mit einer bestimmten Dramaturgie. Erinnern schließlich ist sehr individuell und wird gleichzeitig gesellschaftlich verhandelt. Die beiden Podcast-Hosts machen es sich zur Aufgabe, das Erinnern ‚zu stören‘, indem sie den Fokus vor allem auf die Leerstellen des Erinnerns richten, und finden in weiteren Folgen verschiedene Antworten darauf, warum das Erinnern so wichtig ist.
Nachdem in der ersten Folge verschiedene Schlaglichter auf ganz unterschiedliche Themen und Begriffe gesetzt wurden, geht es in der zweiten Folge sehr konkret um das Sterben von Täter*innen. Der mediale Fokus liege immer auf den Opfern, so dass Haruna-Oelker und Czollek versuchen, die dadurch entstehende Lücke zu schließen, und die Frage der Täter*innen und ihrer Bestrafung zu beleuchten. Sie sehen in der Erzählung der Opfer eine Ersatzerzählung, die etabliert wurde, um die ausbleibende Strafe der Täter*innen nicht thematisieren zu müssen. Dazu befragen sie den Juristen und Philosophen Achim Dörfer, der die juristische Perspektive der Gerechtigkeit einbringt. Folge 3 und 4 widmen sich den Spezifika der ost- bzw. westdeutschen Erinnerungskultur. Dabei wird zum Beispiel auf den kommunistischen Widerstand und die DDR-Migrationsgesellschaft sowie bürgerlich-mittige Kulissen, postnationalsozialistische Befindlichkeiten und postmigrantische Aufbrüche in der Bundesrepublik Deutschland eingegangen. In Folge 5 widmen sich Haruna-Oelker und Czollek dem Kolonialismus und der Erinnerung daran. Sie wollen ein größeres Bild als allgemein üblich zeichnen, indem sie den Nationalsozialismus mit dem Vorkapitel des Kolonialismus verbinden. An der Neuperspektivierung dieser Zusammenhänge wirkt die Historikerin Manuela Bauche mit. In Folge 6 mit dem Titel Was lernst du da? Unterricht und Gegenwartsbewältigung geht es darum, wie die bisher diskutierten Themen an Heranwachsende vermittelt werden können. Mit der Politikwissenschaftlerin und Gymnasiallehrerin Michal Schwartze sprechen Haruna-Oelker und Czollek über antisemitismus- und rassismuskritischen Lernstoff und Leerstellen dazu im Curriculum. Weiter diskutieren sie, was nötig ist, um Geschichte zu vermitteln und wie dabei kein rassistisches oder antisemitisches Framing reproduziert wird. Ein komplexes Thema, aus dem die Hörenden viel Wissen und neue Perspektiven gewinnen können. Hervorzuheben sind auch die Shownotes der jeweiligen Folgen. Wer sich weiter belesen, Wissen vertiefen und zusätzliche Perspektiven gewinnen möchte, findet hier viele Inspirationen. Haruna-Oelker und Czollek haben die Mission, mit ihrem Podcast viele Menschen zu erreichen, und wollen deshalb nicht elitär in der Sprache sein. Das gelingt leider nicht immer. Trotzdem ist der Podcast sehr hörenswert und man kann gespannt sein, welche Themen noch behandelt werden.
Trauer & Turnschuh ist Teil der Initiative Wissen Erinnern Fragen1 der S. Fischer Verlage.
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