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Kerstin Heinemann, Dagmar Hoffmann: Glaube und Religion im digitalen Wandel

Editorial

Wenn Religion in konventionellen Medien verhandelt wird, dann bestimmen oftmals negative Nachrichten die Berichterstattung. Aktuell wird über Kindesmissbrauch und Rückständigkeit der Katholischen Kirche diskutiert, über Fundamentalismus sowie Islamisierung. Es wird über das Tragen von Kopftüchern gestritten und Atheisten betreiben mitunter „Christen-Bashing“ (Löbbert 2018) – vom Kampf der Religionen ist die Rede. Religion verbindet demzufolge nicht (mehr), sie entzweit und entfremdet. Die Religion, über die man liest und hört, so Kai Hafez (2013), sei nicht die, nach der man sich sehne und die man sich wünsche. Dies hat Gefühle des Verlustes religiöser Gemeinschaft und Zugehörigkeit zur Folge. Beobachten lässt sich, dass Religion keine Darstellungshoheit in den Medien innehat und ihre Öffentlichkeit weitgehend verschwunden ist. Es lässt sich ein Ungleichgewicht ausmachen, insofern negative Konnotationen in den Medien überwiegen und Religion stets in einem seltsamen Licht erscheint (siehe auch Neubauer 2018).

Gleichwohl stimmen einzelne Initiativen oder Großereignisse wie (Welt-)Kirchentage in Deutschland temporär optimistisch und wirken mit ihrer Mut machenden Botschaften integrierend und versöhnend. Allerdings täuschen diese Events mitunter auch darüber hinweg, dass seit den 1970er Jahren eine verstärkte Säkularisierung nicht nur in Deutschland, sondern insgesamt in der westlichen Welt zu verzeichnen ist. Diese ist zum einen durch den soziodemografischen Wandel bedingt und zum anderen durch eine Zurückhaltung und Ressentiments potenziell neuer Mitglieder gegenüber den dominanten Konfessionen. Gerade junge Menschen fragen häufig danach, was ihnen Glaube und eine Mitgliedschaft in einer der großen Kirchen (noch) nutzen. Moderne Gesellschaften sind durch einen Religionspluralismus gekennzeichnet. Damit zeigen sie sich demokratisch und offen, während die Vielfalt an Religionen in Mainstreammedien aber kaum abgebildet ist. So leben aktuell schätzungsweise fünf Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland, verbreiten sich kleinere Konfessionen und Freikirchen sowie charismatische Initiativen sind auf dem Vormarsch. Diese Vielfalt wird dort sichtbar, wo religiöse Gemeinschaften in Enklaven und Nischen agieren – auf Online-Video- und Bildportalen, in Sozialen Netzwerken oder über Blogs.

Religionsdiversität fordert mitunter moderne Individuen heraus, denn es stellt sich die Frage, wie geht man mit der gelebten Religiosität der anderen um, die man mitunter als exklusiv empfindet, wenig einzuschätzen und zu verstehen vermag. Der öffentliche Raum inklusive der Medien sollte sich in der Verantwortung sehen, die Begegnung vieler Religionen zu gewähren und nicht nur konfrontativ, wie etwa in Talksendungen oder anderen Fernsehformaten zu präsentieren. Religionspluralismus ist schlichtweg Teil der sozialen Wirklichkeit und macht Toleranz sowie Rücksichtnahme erforderlich (z. B. im Ramadan keine Schulfeste zu veranstalten). Insofern gilt es sich vertiefend der Aufklärungs- und Bildungsarbeit mittels verschiedener Medien(formate) und Anwendungen zu widmen. Aktive Medienarbeit in diesem Bereich dient der Intervention und Prävention, insbesondere wenn über religiösen Fanatismus, Fundamentalismus und Radikalisierungen reflektiert werden kann.

Die vorliegende dritte merz-Ausgabe greift das Thema Glaube und Religionen im digitalen Wandel auf. Es wird danach gefragt, wo und wie welche Religion heute von wem mit welcher Wirkung und Reichweite verhandelt wird. Aufgezeigt werden neue mediale Ausdrucksformen und Vergemeinschaftungen, neue Formen der Mitgliederwerbung und Sichtbarkeit von Religionen und Religionspluralismus. Dabei spielen erwartungsgemäß die Aktivitäten religiöser Medienvorbilder (z. B. Popstars, Influencerinnen und Influencer, YouTuberinnen und Youtuber) eine wichtige Rolle, aber bedeutsam sind auch Gebetsgemeinschaften sowie Bildungseinrichtungen und Museen, die kollektive Erinnerungsarbeit ermöglichen.

In den Themenschwerpunkt Religion. Digitalität. Pluralismus wird mit einem Beitrag von Andreas Büsch eingeleitet, der die Verflechtung von Religi­on, Gesellschaft und Medien in den Blick nimmt und sich unter anderem als Theologe und Erziehungswissenschaftler der Frage annimmt, wie Religion in den Medien dargestellt wird und ob es quasi-religiöse Elemente oder Funkti­onsäquivalente von Religiosität in Populärkul­turen gibt. Zudem vermag er zu prüfen, inwieweit Religion Medien sind und Medien Religion.

Ein Teilaspekt des Fragenkomplexes von Büsch greift der Religionspädagoge Hans Mendl auf, der die Bedeutung religiöser Popstars für Heranwachsende herausarbeitet. Anhand verschiedener Medienfiguren reflektiert er deren Religionsverbundenheit und Suche nach religiöser Zugehörigkeit. Er konstatiert, dass die Vorbildfunktion religiöser Popstars auch in pädagogischen Kontexten nicht zu unterschätzen ist.

Mit der sozialen Praxis des Gebets beschäftigt sich die Theologin Viera Pirker, die verschiedene Gebetsformen auf Instagram fallanalytisch untersucht hat. Generell ist Religion und religiöse Praxis hier ein Nischen­thema, dabei können die Insta-Stories, zum Beispiel von Prominenten, jedoch durchaus eine große Wirkmächtigkeit besitzen und heterogene Zielgruppen ansprechen und mitreißen. Rituale werden ausgebildet und es entwickeln sich Gebetsgemeinschaften.

Wie schwer sich die Katholische Kirche mit neuen Formen der Religionsvermittlung (z. B. Micro-Blogging) tut, legt der Journalist Felix Neumann eindrücklich dar. Als Redakteur bei katholisch.de und Social Media Berater weiß er um Möglichkeiten, die eine „digitale Kirche“ haben und positiv nutzen könnte, aber ebenso auch um die strukturellen Hindernisse, Vorurteile und Ressentiments der Gegnerinnen und Gegner.

Die Potenziale digitaler Vermittlungsangebote im Hinblick auf Erinnerungskulturen stehen im Zentrum von Meron Mendel, des Direktors der Bildungsstätte Anne Frank. Er stellt dessen digitales Lernlabor vor, das Interessierte mit der Geschichte und Entwicklung des Tagebuchs der von Nationalsozialisten verfolgten Anne Frank konfrontiert und interaktive Gegenwartsbezüge herstellt zu Rassismus und Diskriminierungserfahrungen. Götz Nordbruch und Pierre Asisi von ufuq. e.V. widmen sich der Frage von Radikalisierungsprozessen im Kontext des Islam. Dabei spielen Soziale Medien sowohl als Katalysator von Radikalisierungen, als auch als Handlungsfeld der Präventionsarbeit eine wichtige Rolle. Eine gelingende Präventionsarbeit sucht gerade deshalb die Schnittmenge von Medienpädagogik und politischer Bildung.

Bilder des Islam stehen im Zentrum der Beschäftigung der Islamwissenschaftlerin Jawaneh Golesorkh. Sie legt offen, wie das Selbstbild von Musliminnen und Muslime in Sozialen Medien ein Anknüpfungspunkt an Selbstermächtigungskonzepte darstellen kann.

Abschließend widmet sich Nicole Rauch in ihrem Beitrag der Frage nach der medienpädagogisch-praktischen Prävention von religiös-extremistischen Ansprachen in Sozialen Medien. Als Medienpädagogin des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis hat sie mit einem Team Modelle in der schulischen und außerschulischen Jugendarbeit erprobt, die im Fokus mit dem lebensweltorientierten Ansatz der digitalen Memes arbeiten.

 

Kerstin Heinemann ist Diplom Religionspädagogin und Medienpädagogin und seit 2012 medienpädagogische Referentin am JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Ihre Schwerpunkte sind unter anderem digitale Medien, Partizipationsmöglichkeiten in gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen vor dem Hintergrund der digitalen Transformation und die Prävention religiös motivierten Extremismus.

Dagmar Hoffmann ist Professorin für Medien und Kommunikation an der Universität Siegen. Zu ihren Schwerpunkten zählt unter anderem  Medien- und Jugendsoziologie, Mediensozialisations- und Partizipationsforschung, Social Media.

 

Literatur

Hafez, Kai (2013). Die Macht der Medien und die Religionen. Eröffnungsvortrag der Tagung „Die Religionen und die mediale Präsenz des Religiösen“, www.uni-erfurt.de/fileadmin/user-docs/philfak/kommunikationswissenschaft/files_publikationen/hafez/Die_Macht_der_Medien_und_die_Religionen.pdf  [Zugriff: 20.05.2019]

Löbbert, Raoul (2018). Atheisten nerven. Die Zeit (online), Nr. 47, 14. November 2018. www.zeit.de/2018/47/religion-atheismus-christen-kirche [Zugriff: 20.05.2019]

Neubauer, Anna (2018). Religion, Öffentlichkeit, Medien. In: Pollack, Detlef/Krech, Volkhard/Müller, Olaf/Hero, Markus (Hrsg.), Handbuch Religionssoziologie. Wiesbaden: Springer VS, S. 833–859.

 


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