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Markus Achatz: It's Okay!

In diesem Jahr liefen in der Sektion Generation deutlich weniger Filme als noch im Vorjahr. Jedoch war das GENERATION-Programm mit jeweils 17 Lang- und 17 Kurzfilmen vielfältig und ermöglichte spannende Exkursionen in die unterschiedlichsten Länder. Zu sehen waren Produktionen unter anderem aus Peru, Kanada, Madagaskar, Iran, den Philippinen, China, Südkorea und Deutschland. Neben teils schwächeren Beiträgen gab es auch ein paar Highlights, die das Niveau der diesjährigen BERLINALE insgesamt durchaus heben konnten. Beispielsweise der Debütfilm der südkoreanischen Regisseurin Kim Hye-young.

In starken Bildern und mit einem überzeugenden Cast erzählt It’s Okay! von der Schülerin In-young, die in der Seoul International Arts Company tanzt. Das Ensemble ist eine Elitetruppe des Landes und nur, wer den höchsten Ansprüchen der Trainer*innen gerecht wird, bleibt dabei. Zeitgleich mit einer Tanzaufführung verunglückt In-youngs alleinerziehende Mutter tödlich bei einem Verkehrsunfall. Mit dieser Exposition beginnt die Story um ein völlig verändertes Leben. In-young schafft es eine Weile, den Mitarbeiter*innen des Jugendamts aus dem Weg zu gehen und sich mit Verkäufen von Haushaltsgegenständen über Wasser zu halten. Als sie aber die Wohnung nicht mehr bezahlen kann, sucht sie im Gebäude der Tanzschule heimlich Unterschlupf. Dort wird sie ausgerechnet von der strengen Chefchoreographin Seol-ah entdeckt. Die anspruchsvolle und eigenwillige Künstlerin, die selbst einmal Star des Tanzensembles war, nimmt In-young widerwillig bei sich auf. Der Druck für die Choreographin und die jungen Tänzerinnen steigt, da eine Sonderaufführung zum 60-jährigen Jubiläum der Truppe bevorsteht. In-young wird indessen zur Zielscheibe ihrer Mitschüler*innen und erlebt Missgunst und Schikane. Die Zweckgemeinschaft des Mädchens mit ihrer Tanzleiterin stellt beide auf eine harte Probe. Allmählich profitieren sie aber von ihrer Unterschiedlichkeit und die gemeinsame Faszination für die Tanzkunst bringt ein unerwartetes Miteinander ins Spiel. In-young findet Wege und Gelegenheiten, offener mit der Trauer um ihre Mutter umzugehen, Seol-ah lernt zögernd Abstand von der Härte und Disziplin zu finden, die sie von sich selbst und anderen fordert.

Geschichten über Jugendliche, die den Tod von Eltern bewältigen müssen oder über die Konkurrenz in Leistungssportgruppen gibt es viele. Dennoch sticht der Film durch ein fein austariertes Verhältnis von Tragik und Humor sowie überzeugende Schauspieler*innen hervor. Gleichzeitig gibt er interessante Einblicke in die koreanische Gesellschaft. Der Story kann man vielleicht vorwerfen, dass es Inyoung nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter eigentlich viel schwerer haben müsste und sie sich erstaunlich besonnen und beinahe fröhlich den Schwierigkeiten in ihrem Leben stellt. Doch genauer betrachtet ist die Inszenierung sehr konsequent: Die Hauptfigur wird als unglaublich stark charakterisiert, obwohl auch gezeigt wird, wie In-young hadert und immer wieder neu Kraft tanken muss. Das Mädchen tritt mit einer beneidenswert offenen und positiven Grundhaltung auf und hat einen ‚eisernen‘ Willen. Wie sonst könnte sie sich in der Elitekompanie der staatlichen Tanzschule behaupten und die Energie für die harten Proben und Trainingseinheiten aufbringen. Inyoung ist eine Identifikationsfigur, die auch Rückschläge erleidet, wenn sie beispielsweise in ihrem nächtlichen Versteck in der Tanzakademie entdeckt wird oder den Mobbingattacken der Mittänzerinnen ausgeliefert ist. Der Plot spielt dabei behutsam auch mit märchenhaften Momenten, die den Film besonders machen. Jede*r kann sich ein Beispiel an diesem fröhlichen und starken Mädchen nehmen. Die Intensität der Geschichte wird durch eine gradlinige Fokussierung auf wenige Hauptprotagonist*innen verstärkt. Neben In-young und Seol-ah sind dies die beiden einzigen Vertrauenspersonen des Mädchens: ihr gleichaltriger Schulfreund aus Kindertagen, Do-yoon, der ein großer Fan von In-young ist, aber auch den Neid der anderen Tänzerinnen auf In-young zieht. Und der junge Apotheker Dong-wook, der In-young immer wieder aufzuheitern vermag und in einem entscheidenden Moment ihrer Einsamkeit für sie Unterstützung holt. In einer Szene, als sich Dong-wook und die Tanzchoreographin Seol-ah begegnen, kann er Inyoungs innere Verfassung in wenigen Worten beschreiben: „Parting is quick for those who leave, but it never ends for the ones left behind.

Nicht nur die fulminanten Tanz- und Akrobatikszenen sorgen für spannende Unterhaltung, sondern auch die Achterbahnfahrten im Gefühlsleben der Hauptfiguren. Vor diesem Hintergrund begründete die Kinderjury der BERLINALE auch die Vergabe des Gläsernen Bären an It’s Okay! als besten Film in der Kategorie Kplus.

Markus Achatz ist Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge, Leiter des Bereichs Bildung im Deutschen Jugendherbergswerk Landesverband Bayern und nebenbei als freier Journalist, Filmrezensent, Musiker und DJ aktiv.

It’s Okay

Südkorea 2023, 102 min, Regie: Kim Hye-young, Buch: Kim Hye-Young und Cho Hong-jun, Darstellende: Lee Re (In-young), Jin Seo-yeon (Seol-ah), Chung Su-bin (Na-ri), Son Suk-ku (Dong-wook), Lee Jung-ha (Do-yoon)


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