Mauermann, Johanna (2011). Handyromane: Ein Lesephänomen aus Japan. Berlin: EB-Verlag. 294 S., 22,80 €.
Handyromane als japanisches undweltweites Phänomen
Das Buch Handyromane: Ein Lesephänomen aus Japan von Johanna Mauermann ist im April 2011 in der Reihe zur japanischen Literatur und Kultur – Japanologie Frankfurt erschienen. Den Einstieg bilden vier Zitate, von einer Handyroman-Autorin, einer Handyroman-Leserin, der Autorin Setouchi Jakuchô und von Mario Andreotti, einem der wenigen etablierten Literaturwissenschaftler im deutschsprachigen Raum, die sich mit Handyromanen auseinandergesetzt haben. Johanna Mauermann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Japanologie Frankfurt, promoviert derzeit über die japanische Kreativindustrie. Ihr Studium hat sie mit einer Magisterarbeit zu Handyromanen abgeschlossen, die die Grundlage des nun erschienenen Buchs darstellt.
Das Anliegen der Autorin ist es, eine kulturwissenschaftliche Grundlage für die Beschäftigung mit Handyromanen zu schaffen. Im ersten Kapitel („Einführung“) wird als „Minimalkonsens“ formuliert, dass „Handyromane Erzählungen sind, die ursprünglich für die Lektüre am Handy konzipiert“ und „erst in einem zweiten Schritt in Druckfassungen veröffentlicht wurden“ (S. 17). Zusammen mit der Unterscheidung der Typen und der Nennung der Charakteristika nähert sich die Autorin dem Begriff des Handyromans; eine eigentliche Definition ist später zu finden. Im Unterkapitel „A timely topic“ geht sie auf die Rezeption in Japan und in den deutschsprachigen Ländern ein. Im nächsten Unterkapitel werden „Thesen“ und „Fragestellung“ formuliert und die Ziele der Untersuchung angegeben. Der Fokus liege darauf, „welchen Stellenwert die einzelnen Diskutanten in Japan dem Genre Handyroman zusprechen und welche narrativen Strukturen konkrete Textbeispiele aufweisen“. Mauermann fragt sich und die Literatur: „Gibt es ihn überhaupt – den Handyroman?“ (S. 27)
Den Kern der Arbeit bilde die Analyse von „vier ausgewählten, repräsentativen Handyromanen hinsichtlich Sprache, Stil, typischen Themen und medienspezifischen Besonderheiten“ (27 f.). Im Unterkapitel „Stand der Forschung“ wird auf die Artikel des Japanologen Florian Coulmas verwiesen, der ein breites Publikum auf den Handyroman aufmerksam gemacht hat, auf die japanische Medienwissenschaftlerin Misa Matsuda und auf Beiträge von Johanna Mauermann und des Verfassers, die das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) publiziert hat. Auf den übrigen Seiten ist zu lesen, was von wissenschaftlicher Seite zum Handyroman und zur Nutzung des Handys in Japan gesagt wurde. In Kapitel 2 („Der kêtai shôsetu-Boom und sein Diskurs in Japan“) werden zuerst das ‚mobile Internet‘ und die darin publizierten Handyromane behandelt, dann die kontroversen Diskussionen in den japanischen Medien und Publikationen (etwa zur Autorenschaft oder zur Literaturart als Kommunikationsform). Die Literatur- und Medienwissenschaftler vermischten subjektiven Geschmack und objektive Analyse – bis Ishihara Chiaki feststellte, dass „Handyromane als Literatur zu bezeichnen sind und jegliche Leugnung ihrer Literarizität“ lediglich „Ausdruck des persönlichen Missfallens über diese Texte sei“ (S. 80). In der Folge werden vier bekannte Handyromane dargestellt und zusammengefasst, ein wichtiger Teil, der hier vernachlässigt werden muss. Die „Strukturanalyse von Handyromanen“ (Kapitel 3) baut auf Darstellung und Zusammenfassung auf. Es geht in mehreren Unterkapiteln um die Erzählstile der vier Autorinnen und Autoren, die spezielle Sprache für das Handy, die Gestaltung und den Aufbau und die zentralen Themen („Sex, Kapitalismus und Liebe“). Ein weiteres Unterkapitel widmet sich den Handyromanen als Ratgebern für junge Leserinnen und Leser. In Kapitel 4 beschreibt Mauermann Handyromane als Indikator für ein sich wandelndes Literaturverständnis. Nach ihrer Ansicht etablieren sich neue Formate – sie glaubt, der Handyroman ist keine kurzfristige Erscheinung –, und sie erklärt den Handyroman zum Meilenstein der Popularisierung in der japanischen Literatur. Nebenbei weist sie auf einen Paradigmenwechsel in Literaturbetrieb und Buchbranche hin, der sich nicht auf Japan beschränkt. „Anstelle eines Nachworts“ liefert Mauermann in Kapitel 5 den Leserinnen und Lesern einen Überblick über „Handyromane transnational“. Sie skizziert die Lage in China und führt Autoren wie Quan Fucheng und Zhang Muye an, die als Laien zur Handyliteratur gestoßen sind, was übrigens der Normalfall in Japan ist. Im deutschsprachigen Raum gelte „der Schriftsteller und Wissenschaftler Oliver Bendel als Pionier. Er verfasst seit 2007 die ersten deutschen Handyromane.“ (S. 225) Nachdem die Autorin die Serien um Lucy Luder und Handygirl und den Einzelroman lonelyboy18 thematisiert hat, stellt sie den Fortsetzungsroman WYRM des Fantasy-Autors Wolfgang Hohlbein vor. Nur kurz wird auf die Situation in Indien, Frankreich und Südafrika eingegangen. Spät, dafür in sehr lebendiger Weise habe sich der nordamerikanische Handyroman entwickelt. Beliebt seien die „Secondhand memories“ mit – wiederum eine Reminiszenz an Japan – anonymer Urheberschaft. Es scheint typisch für den modernen Autor zu sein, dass er verschwindet. Ein Glossar schließt das Buch ab, gefolgt von einem Namens- und Begriffsregister sowie einem umfangreichen Literaturverzeichnis. Handyromane: ein Lesephänomen aus Japan ist ein wertvolles Grundlagenwerk, das Maßstäbe setzt und Spaß macht. Man freut sich auf eine zweite, durchgesehene Auflage, auf eine Version für Handy und Smartphone, auf Übersetzungen ins Japanische und Englische – und auf eine längere Darstellung der internationalen Entwicklung.
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