Michael Bloech: Die 74. Berlinale
Kritische Bemerkungen über ein Filmfest mit Tradition
Ein kritischer Blick auf Kunst und Kultur muss generell erlaubt sein, vielleicht scheint er im Fall der 74. Berlinale sogar gefordert. Es war die letzte Berlinale des eher glücklos agierenden Leitungs-Duos Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek. Bei allem Glanz, Glamour und filmisch Gezeigtem gab es nämlich durchaus viele Kritikpunkte, die erwähnt werden sollten. Beginnen wir mit der Wahl der Sponsor*innen. Da fällt der kritische Blick auf die Firma Uber, welche die Veranstaltung angeblich mit über einer halben Million Euro gesponsert hat. Der Fahrdienstvermittler Uber fördert aktuell in Berlin massiv Kultur, obwohl Uber mit dem häufig formulierten Vorwurf der Selbstausbeutung der Lizenznehmer*innen in der öffentlichen Kritik steht und damit möglicherweise im Widerstreit zur politischen Ausrichtung der Berlinale. Bei kritischer Betrachtung könnten all diese Sponsoring-Aktivitäten Ubers als Whitewashing-Versuch gewertet werden.
Der zweite Punkt, der schon im Vorfeld ein wenig für Ratlosigkeit sorgte, war der Umgang mit Einladungen von fünf AfD-Abgeordneten zur Eröffnungsgala der Berlinale. Zwar erfolgte die Verschickung der Einladungen nicht direkt über die Berlinale, aber etwas blauäugig mutet es schon an, Politiker*innen eine Einladung zu schicken, die sich für die Auflösung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkstruktur in Deutschland massiv einsetzen. Verwunderlich ist dies vor allem, wenn berücksichtigt wird, dass viele der gezeigten Produktionen und das Festival selbst ohne die Förderung und Unterstützung öffentlich-rechtlicher Sender nicht hätten realisiert werden können. Auf Druck vieler Kulturschaffender* entschied sich die Festivalleitung schließlich, die eingeladenen AfD-Politiker*innen wieder auszuladen. Der dritte Punkt bezieht sich auf die inhaltliche Ausrichtung des Programms, die sich bekanntlich ausdrücklich als politisch begreift. Und in der Tat wurden viele Filme gezeigt, die aktuelle Themen, wie den Ukraine-Krieg, die Situation in Israel und Palästina oder die politische Situation im Iran widerspiegeln. Dennoch hat man ein mulmiges Gefühl, dass mit dem Film Die Ermittlung des Regisseurs Rolf Peter Kahl eine sehr aktuelle deutsche Produktion über den ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt trotz intensiver Bemühungen des Filmteams leider nicht in das Programm genommen wurde. Gerade wegen des immer stärker werdenden Antisemitismus in Deutschland ist das bedauerlich und eine Teilnahme hätte dem Festival sicher einen positiven Impuls geben können.
Kommen wir nun zum vierten kritischen Punkt, dem der Preisverleihung. Juryentscheidungen sind sicher stets im Kern subjektiv, aber sie spiegeln auch immer ein wenig die Qualität der gezeigten Produktionen wider. Wenn ein kurzer, relativ schlichter und auch teilweise scharf kritisierter Dokumentarfilm wie Dahomey mit dem Goldenen Bären als bester Film ausgezeichnet wird, dann kann dies natürlich bedeuten, dass die anderen Produktionen weniger überzeugend waren oder aber, dass die Jury leider eine wenig kompetente Arbeit abgeliefert hat. Und tatsächlich bleiben viele der Entscheidungen unverständlich und vielleicht sogar problematisch. So kann der Preis für die ‚Beste Schauspielerische Leistung‘ für Sebastian Stan in dem Film A Different Man eigentlich nicht nachvollzogen werden, da es mit der Iranerin Lily Farhadpourin in My Favourite Cake oder mit Liv Lisa Fries in In Liebe, Eure Hilde oder auch mit Lars Eidinger in Sterben durchaus wesentlich ausdrucksstärkere Schauspieler*innen für eine Auszeichnung gegeben hätte. Zudem zeugt die Entscheidung für wenig Fingerspitzengefühl, denn der durch die Krankheit Neurofibromatose gezeichnete Schauspieler Adam Pearson sorgte mit einer fulminanten schauspielerischen Leistung in A Different Man für mehr Können als der dort prämierte Sebastian Stan. Der Silberne Bär für ‚Das Beste Drehbuch‘ wurde an den Film Sterben von Matthias Glasner vergeben. Dazu darf angemerkt werden, dass der Film zwar wirklich herausragend ist, allerdings gerade im Drehbuch durch unnötige Längen glänzt. Gänzlich unverständlich blieb der Preis der Jury für L’Empire des Franzosen Bruno Dumont, der mit einer missglückten, wenig unterhaltsamen und eher peinlichen Persiflage auf Science-Fiction Filme das Publikum und die Kritik langweilte. Allerdings verweist schon allein die Aufnahme eines Films wie L’Empire in das Wettbewerbsprogramm der Berlinale auf ein generelles Problem, denn Carlo Chatrian als künstlerischem Leiter gelang es beispielsweise nicht, den Science-Fiction Film Dune: Part Two des Kanadiers Dennis Villeneuve auf die Berlinale zu holen, was für mehr internationalen Glanz gesorgt hätte.
Der letzte Punkt ist leider gravierender als alle anderen. Während der Preisverleihung kam es zu antiisraelischen Äußerungen und Genozid-Vorwürfen an Israel, die unkommentiert blieben und vom Publikum beklatscht wurden. Der Terror der Hamas gegen Israel und auch gegen die eigene palästinensische Bevölkerung blieb, bis auf ein kurzes Eingangsstatement von Mariette Rissenbeek, bedauerlicherweise unerwähnt. Dies erinnert in trauriger Weise an Probleme während der Documenta im Jahr 2022, bei denen antisemitische Ressentiments unter dem Deckmantel künstlerischer Freiheit zunächst unwidersprochen blieben. Für die Berlinale als Ort des Austauschs bildeten die antiisraelischen Aktionen während der Preisverleihung leider den traurigen Tiefpunkt. Die überfordert und oberflächlich wirkende Moderatorin Hadnet Tesfai hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, für eine entsprechende Einordnung der beklatschten Statements zu sorgen, aber das Programm wurde einfach weiter ‚abgespult‘. Ein Post unter dem Motto From the River to the Sea, ein paar Tage nach der Veranstaltung auf dem Instagram Account der Berlinale, wurde sofort gelöscht und hat jetzt ein juristisches Nachspiel. Fairerweise sollte ebenfalls erwähnt werden, dass die Berlinale während der gesamten Veranstaltung ein Tiny House am Potsdamer Platz zum Zweck der Verständigung angeboten hatte, um einen individuellen Dialog in der schwierigen Frage des Zusammenlebens der jüdischen und palästinensischen Bevölkerung zu ermöglichen.
Kurz und knapp: Es war ein gut besuchtes Festival mit einigen, wenigen filmischen Höhepunkten, dafür jedoch mit vielen Problemen. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Leiterin der Berlinale, die gebürtige US-Amerikanerin Tricia Tuttle, eine glücklichere Hand bei der Auswahl der Filme, des Coachings der Moderator*innen und der Besetzung der Jury hat. Denn schließlich sollten interessante Filme, undogmatische Diskussionen und ein gleichberechtigter Austausch im Fokus der Berlinale stehen.
Einen Blick auf filmische Highlights der diesjährigen Berlinale geben Nicole Lohfink, Markus Achatz und Günther Anfang in den kommenden Beiträgen.
Michael Bloech ist Diplom Soziologe, Medienpädagoge und Autor verschiedener Fachpublikationen. Seine aktuellen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Film und Fotografie.
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