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nachgefragt Christian Scholz ‚Netzaktivist‘ MrTopf

„Podcaster, Python programmer, Open Source and Open Standards advocate, Data Portability Board Member, co-founder of Com.Lounge. merz hat ihn befragt – zu Adhocracy, Partizipation, politischer Mitsprache und Medienpädagogik.

merz Sie engagieren sich sehr für politische Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger über das Internet. Adhocracy und Liquid Democracy sind die Schlagworte – was bedeutet das?

Scholz Liquid Democracy ist im Prinzip eine Mischform zwischen direkter und indirekter Demokratie. Es geht weder darum, alle Entscheidungen selbst zu treffen, noch darum, alle Entscheidungen an jemanden (wie einen Abgeordneten) zu delegieren. Stattdessen kann man pro Thema oder Unterthema entscheiden, ob man seine Stimme selbst vergibt oder diese an eine Person delegiert, von der man annimmt, dass sie im eigenen Sinn entscheidet. Diese Stimme kann theoretisch wieder weitergegeben werden, womit Expertinnen und Experten zu einem Thema entsprechend viel Macht verliehen werden könnte. Natürlich kann man jederzeit kontrollieren, wie diese Person abgestimmt hat und eventuell die Stimme wieder entziehen. Adhocracy ist ein Tool, das diese Funktionsweise umsetzt und einen Arbeitsablauf definiert. Dort kann man Vorschläge einstellen, diese bewerten und kommentieren. Die Vorschläge werden zu Papieren zusammengefasst, die wiederum bewertet und kommentiert werden können. Bei den Bewertungen käme dann die Delegation per Liquid Democracy zum Einsatz, wobei man also theoretisch mehr als eine Stimme hat. Allerdings ist diese Delegationsfunktion bei der Beteiligungsplattform der Internet-Enquete nicht aktiviert, man muss somit doch bei allen Abstimmungen selbst abstimmen. Wichtig ist aber, dass es natürlich nicht nur um das Abstimmen geht, sondern auch um das Erarbeiten von Vorschlägen, was ja normalerweise die eigentliche Arbeit ausmacht.

merz Sie sind nicht hauptberuflich Blogger, engagieren sich dennoch sehr aktiv für Partizipation mit neuen Medien – warum ist dieses Thema für unsere Gesellschaft so wichtig? Was kann Partizipation online tatsächlich leisten?

Scholz Beteiligung war ja eigentlich schon immer wichtig, nur aufgrund von Entfernung und aufwändiger Kommunikation nicht praktikabel. Dies aber ändert sich nun dank des Internets. So können Informationen, die ja zur Meinungsbildung unerlässlich sind, schnell und umfangreich ausgetauscht werden, Diskussionen mit vielen Menschen über weite Strecken hinweg sind kein technisches Problem mehr und auch Abstimmungen sind, mit Einschränkungen, möglich. Hinzu kommt, dass die Bürgerinnen und Bürger sich dank des Internets auch untereinander recht schnell vernetzen können. Interessensgruppen entstehen so schnell wie nie zuvor. Dies sieht man nicht nur bei netzpolitischen Themen, sondern inzwischen auch bei Themen wie Stuttgart 21 oder der Anti-AKW-Bewegung. Gerade am Beispiel der Schlichtung zu Stuttgart 21 sieht man zudem, dass Bürgerinnen und Bürger durchaus an Detailinformationen interessiert sind und diese auch ohne politische Schaufensterreden vermittelbar sind. Die Politik muss allerdings noch lernen, damit umzugehen. Im Moment heißt es immer noch, dass man den Input der Netzcommunity (also der Bürgerinnen und Bürger) gerne aufnimmt, um ihn in die politischen Prozesse einfließen zu lassen. Dies aber muss eins werden, Volk und Politik müssen lernen, auf Augenhöhe miteinander zu diskutieren und Lösungen zu erarbeiten. Nur dadurch kann Akzeptanz geschaffen werden, mit fertigen und nicht nachvollziehbaren Meinungen oder Forderungen eher weniger.

merz Wenn Sie zurück blicken: Können Sie, seit Sie Ihren Blog betreiben, bereits Veränderungen beobachten?

Scholz Meinen Blog betreibe ich seit 2004, wobei er aber lange Zeit rein technisch war. Durch das Thema Netzsperren im Jahr 2009 wurde Netzpolitik für mich immer wichtiger, was sich auch in meinem Blog widerspiegelt. Die aktuellen Inhalte sind nun hauptsächlich politischer Natur. Die Situation seit 2009 hat sich dabei recht stark entwickelt. 2009, zu Zeiten der Debatte über Internetsperren gegen Kinderpornografie, war kaum ein Politiker online zu erreichen und für viele politisch interessierte Internet-Nutzende war es ein großes Problem, ihre Meinung zum Thema überhaupt zu adressieren. Dies hat sich heute deutlich verbessert. Zumindest die junge Generation (aber nicht nur) von Politikerinnen und Politikern ist online zu erreichen und es gibt durchaus Versuche der Online-Beteiligung, auch wenn auf diesem Gebiet noch viel ausprobiert werden muss.

merz Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Was möchten Sie persönlich mit Ihrem Engagement noch erreichen? Wie kann Ihrer Meinung nach auch die Medienpädagogik einen Beitrag zu Transparenz und Partizipation, gerade für die nächste Generation liefern?

Scholz Ich denke, wir stehen trotz der durchaus gemachten Fortschritte noch sehr am Anfang. Die Themen Transparenz und Partizipation müssen nicht nur gefordert, sondern auch gelebt werden, es muss also ein Kulturwandel stattfinden. Weg vom Hinterzimmer, hin zur offenen und transparenten Diskussion. Medienpädagogik sollte dies natürlich fördern, indem man möglichst früh lernt, sich online zu artikulieren, zivilisiert mit anderen Meinungen umzugehen, seine eigene Meinung zu vertreten, aber dennoch diese auch mal bei stichhaltigen Argumenten revidieren zu können. Man muss zudem lernen, sich bei Ungerechtigkeiten nicht zu verstecken, sondern Gleichgesinnte zu finden und offenen Protest zu üben. Medienpädagogik sollte daher zusehen, dass die Möglichkeiten der Vernetzung sinnvoll genutzt werden und wir dadurch hoffentlich auch zu einer offeneren Gesellschaft finden, die sich zudem in der Lage sieht, Risiken nicht nur zu minimieren, sondern diesen auch offensiv zu begegnen.


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