Zum Hauptinhalt springen

nachgefragt Thomas Sonnenburg, Coach und Streetworker bei Die Ausreißer (RTL)

Junge Kriminelle, Jugendliche mit Drogenproblemen, Heranwachsende, die sich auf der Straßedurchschlagen – das ist das Klientel von Thomas Sonnenburg. Der Streetworker versucht, mit „Ausreißern“ ins Gespräch zu kommen, ihnen Perspektiven zu geben, sie auf einen Weg zurück in ein geregeltes Leben zu bringen – und zugleich vor die RTL-Kamera. Damit trifft er beim Fernsehpublikum einen Nerv, zugleich vermuten Kritiker, die Jugendlichen würden bloß gestellt. Wie er seine Arbeit selbst sieht, was er genau tut und was er damit erreichen möchte, das erklärt Thomas Sonnenburg im Interview mit merz.

merz Herr Sonnenburg, Sie waren Elektromonteur und Bildungsreferent beim Arbeitskreis für politische Bildung, seit 2008 helfen Sie Heranwachsenden bei RTL ‚zurück ins Leben’. Wie kamen Sie zum Streetwork und damit zum Fernsehen?

Sonnenburg Mein Entwicklungsweg war geprägt von einigen Umwegen. Die Entscheidungfür den Beruf des Streetworkers 1993 bot die Möglichkeit, in einem Feld zu arbeiten, welchesmich faszinierte. Ich wollte mit Menschen arbeiten und hatte großes Interesse an Jugendlichenund ihren Geschichten. Was es wirklich bedeutet, verantwortlich und fachlich, inhaltlich und methodisch zu arbeiten, das lernte ich erst später. Aber nach über 17 Jahren mache ich denBeruf immer noch sehr gerne und weiß, welche Verantwortung man als Pädagoge übernimmt.Die Entscheidung, das Arbeitsfeld einer breiten Öffentlichkeit nahe zu bringen, zu zeigen, wie Sozialarbeit gelingen kann und welche Schwierigkeiten und Hürden ein solcher Arbeitsansatz birgt,traf ich 2006. Die Auswahl als Protagonist für Die Ausreißer – der Weg zurück war Zufall, ich habe mich nicht beworben, ich wurde ‚gefunden’.

merzDie Ausreißer bekommen viel Medienecho, haben den Deutschen Fernsehpreis gewonnen. Können Sie das Konzept der Sendung kurz schildern?

Sonnenburg Das Konzept ist, dass ein Sozialpädagoge in seiner Tätigkeit als Streetworker und Familiencoach medial begleitet wird. Es werden Wege, Möglichkeiten und Orientierungen in der sozialpädagogischen Arbeit mit jungen Menschen gezeigt, die sich entschieden haben, ihr Lebensumfeld auf die Straße zu verlagern, weil sie in familiäre Schwierigkeiten gekommen sind, die also ihr Zuhause verlassen haben. Es geht in dem Arbeitsansatz um aktive Hilfe, einzelfallorientierte Betreuung und pädagogische Unterstützungder jungen Menschen und ihrer Familien. Der Erfolg der Sendung ist meiner Meinung nach mit der Möglichkeit des realistischen ‚Miterlebens’ der Zuschauenden zu erklären. Bei den Ausreißern wird niemand medial vorgeführt. Es werden individuelle Lösungen angeboten, Wege aufgezeigt, mit Schwierigkeiten im Leben umzugehen und pädagogische Handlungen und Interventionen erklärt. Dass das Thema ‚Kinder- und Jugendarmut’ in Deutschland brisant ist und von der Bevölkerung auch wahrgenommen wird, zeigt sich wohl auch im großen Interesse des Publikums an solchen Formaten.

merz Trotz der positiven Reaktionen ist Reality-TV auch häufig in der Kritik, Voyeurismuszu betreiben und Personen vor der Kamera bloß zu stellen. Wie sehen Sie diese Gefahr bei DieAusreißer bzw. wie begegnen Sie ihr?

Sonnenburg Die Gefahr, dass Fernsehen Voyeuristen auf den Plan ruft, die sich am Schicksal anderer ‚ergötzen’ und dass billig und unreflektiert konsumiert wird, besteht immer. Diesem Phänomen entgegenwirken kann man nur mit guten Beiträgen, Reportagen oder Dokusoaps. Ob Menschen den Weg ins Fernsehen wählen, um auf Fehlentwicklungen in unserem Land aufmerksam zu machen, weil sie ‚berühmt’ werden wollen oder weil sie sich individuelleHilfe erhoffen, das kann man als Macher solcher Beiträge beeinflussen. Ich persönlich arbeite nurmit Familien zusammen, bei denen ein persönlicher Hilfe- und Unterstützungsbedarf ermitteltwurde und bei denen ich vorher analysiert habe, dass eine mediale Begleitung diesen Menschennicht schadet. Wenn die ‚Fallbeispiele’ realistisch sind, wenn Jugendliche und Eltern freiwillig mitmachen, wenn keine übertriebenen ‚Mitmach-Honorare’ gezahlt werden und eigene moralische Komponenten eine Rolle spielen, dann kann Fernsehen qualitativ gelingen.

merz Gibt es einen Unterschied zwischen Ihrer Arbeit vor der Kamera und Ihrer Tätigkeit als Streetworker vorher?

Sonnenburg 14 Jahre lang habe ich Tag für Tag mit Jugendlichen aus Gruppen und Cliquen gearbeitet. Dabei gab es natürlich auch klassische Einzelfallhilfe oder mehrmonatige Begleitung junger Menschen in sehr schwierigen Lebensphasen. Die Arbeit im Fernsehen ist in ihrer Aufgabenstellung, ihrem Inhalt und auch oft in ihrem Umfang mit meiner Tätigkeit vorher zuvergleichen. Einen Unterschied gibt es jedoch. Die Eltern geben mir fast immer den Auftrag zum Handeln und erst dann versuche ich den Kontakt- und Vertrauensaufbau mit den Jugendlichen.Das ist eine andere Herangehensweise, umfasst aber dennoch Prinzipien wie Vertraulichkeit,Verlässlichkeit und Beziehungsarbeit. Schwierigkeiten entstehen meist, wenn die Jugendlichendie Notwendigkeit des ‚eigenen Zutuns’ zu ihrer positiven Entwicklung nicht erkennen. Dann wird es sehr schwer zu agieren. Dieses Phänomen ist aber nicht von der Kamera abhängig, sondern passiert auch ohne mediale Begleitung. Es sind für das Fernsehen keine ‚Fälle’ ausgesucht worden, es sind vielmehr Einzelschicksale, die aber keine Einzelbeispiele sind. Oft ist die Arbeit als TV-Pädagoge etwas leichter, da durch die Öffentlichkeit ein Kontrollorgan installiert ist, welches ein Agieren von Jugendämtern, freien Trägern und Institutionen im Netzwerk von Jugendhilfe öffentlich aufzeigen kann. Aber auch das eigene Tun ist öffentlich präsent und damit kontrollierbarer.

merz Seit 2009 engagieren Sie sich noch als Botschafter der Stiftung Lesen. Wie ist es dazu gekommen und warum machen Sie sich da stark?

Sonnenburg Dieses Engagement ist mir eine Herzensangelegenheit, denn nichts ist besser, als jungen Menschen frühzeitig nahe zu bringen, dass Bücher etwas sehr Wertvolles sind. Dass Lesen bildet, Spaß macht und gemeinsam Lesen richtig cool sein kann. Ich sehe für mich darin die Möglichkeit, meinen eigenen Beitrag für eine Verbesserung der Bildungssituation in unserem Land zu leisten. Eine fantasiereiche und kluge Jugend ist ganz sicher besser für die positive Entwicklung unserer Gesellschaft als Kinder und Jugendliche, die vor Langeweile nicht wissen, wohin mit ihrer Power und Kraft. Ich glaube an und weiß um die Kreativität junger Menschen. Und ich weiß, dass Bücher einen wichtigen Beitrag zur positiven Persönlichkeitsentwicklung leisten können.


Zurück