Zum Hauptinhalt springen

nachgefragt Volker Bernius, Team Stiftung Zuhören

Volker Bernius ist seit 1981 als Redakteur desHessischen Rundfunks für den Bereich Bildung tätig. Er hat die StiftungZuhören mitgegründet und das Projekt Hörclubs initiiert, zunächst in Hessen. Zudem führt er Fortbildungen durch und arbeitet in den Projekten Dreiklang: Zuhören – Sprechen – (Vor-Lesen), Earsinnig hören, Edition Zuhören und CD des Monats mit. Für merz stand Volker Bernius Rede und Antwort und erklärte, was die Stiftung Zuhören eigentlich genau tut und warum die Kulturtechnik Zuhören, die so selbstverständlich wirkt, eigentlich so wichtig ist und trotz ihrer scheinbaren Alltäglichkeit besondere Aufmerksamkeit verdient. Außerdem stellt er die Hörclubs vor und erklärt, worauf wir seiner Meinung nach in Zukunft besser hören sollten.

merz Seit 2002 widmet sich die Stiftung Zuhören der Kulturtechnik ‚Zuhören‘. Warum ist gerade das so ‚selbstverständliche‘ Zuhören Ihr Thema und was genau tun Sie dafür?

Bernius Das ist übrigens das Problem, dass wir das Zuhören als etwas Selbstverständliches betrachten, das wie von selbst entsteht und vielleicht sogar in die Wiege gelegt ist. Doch wir müssen unterscheiden zwischen Hören und Zuhören: Hören können wir schon im Mutterleib, Zuhören, das heißt den Worten und allem, was wir hören, eine Bedeutung geben, sie mit Sinn versehen, das lernt jeder im Laufe der Zeit. Derzeit ist es so, dass die scheinbar ‚selbstverständliche‘ Kompetenz des genauen Hinhörens und des verstehenden Zuhörens in manchen Bereichen unserer Gesellschaft einer Unterstützung bedarf: in der Familie, in der Schule, in Medien, in der Politik, im Gesundheitswesen, um nur einige zu nennen. Das hat auch viel mit dem Zeitfaktor zu tun – eine Gesellschaft, die immer schneller wird, bekommt Probleme mit dem, was Zeit braucht und das ist zum Beispiel das Zuhören. Normalerweise gehen wir davon aus, dass das, was wir mitteilen, auch genau so ankommt, wie es gemeint war – erst später merken wir, da hat jemand etwas ganz anderes verstanden. Oder wir nehmen uns nicht die Zeit dafür, einer Sache auf den Grund zu gehen – genauer hinzuhören eben. Der Output ist in unserer Gesellschaft immer wichtiger als der Input. Von einem, der viel redet, meinen wir oft, dass er auch viel zu sagen hat. Das Gegenteil ist häufig der Fall. Das heißt, dass wir mehr Aufmerksamkeit dieser doch unterschätzten Kompetenz widmen können und Zuhören mit einem positiven Wert versehen – nicht so wie häufig in Familie und Schule: Hier wird Zuhören eher verlangt und eingefordert – da kann man nichts Spannendes dabei entdecken.

merz Eines der zentralen Projekte der Stiftung zuhören sind die Hörclubs, die gerade für den Deutschen Engagementpreis nominiert wurden. Was können Jugendliche dort machen?

Bernius Wir sind sehr dankbar und freuen uns über diese Auszeichnung. Hörclubs sind zunächst ein Angebot für Kinder und Jugendliche außerhalb des regulären Unterrichts, ohne Zeit- und Notendruck und durchgeführt von Fachkräften in den jeweiligen Institutionen. Hier geht es sehr praktisch zu: Es gibt viele Spielanregungen, die das Hören und Zuhören spielerisch herausfordern; Kinder und Jugendliche nehmen selbst Geräusche auf und stellen Hörrätsel her, sie machen Hörspaziergänge, hören gute Hörspiele und verarbeiten sie kreativ, immer steht ein Hören und Zuhören im Vordergrund, das etwas aktiviert, in Gang setzt, etwas Produktives entstehen lässt. Das macht nicht nur Spaß, sondern bringt viele andere Kompetenzen in Bewegung: Lehrer berichten, dass Kinder und Jugendliche ihre Sprachkompetenz verbessern, einen anderen Umgang miteinander haben, mehr wahrnehmen als vorher und sich besser konzentrieren können. Kinder und Jugendliche erfahren so, dass man mit genauem Hinhören mehr entdecken kann und sinnvollere Fragen stellen kann; im Grunde Basisqualifikationen oder Soft-Skills, die fürs Lernen und für das Miteinander ein Leben lang benötigt werden. Allerdings lässt sich ‚Zuhören‘ nicht anschalten wie ein Lichtschalter; das ist eine Fähigkeit, die man immer wieder neu erfahren und üben muss – jeder von uns.

merz Vom Zuhören alleine lässt sich kein Brot verdienen. Warum wird diese Fähigkeit so losgelöst gefördert?

Bernius Wer sich die Projekte und die Anregungen der Stiftung Zuhören zum Beispiel bei www. stiftung-zuhoeren.de anschaut und anhört, merkt, dass Hören und Zuhören nicht Selbstzweck und nicht losgelöst sind. Da spielen immer weitere Faktoren eine Rolle. Nehmen Sie das Projekt der Audioguides, die Jugendliche für andere Jugendliche machen. Da werden Bilder umgesetzt, Konzepte für Hörstücke entwickelt, danach gefragt, wie muss ich einen Text schreiben und sprechen, damit mich andere verstehen können? – da haben Sie schon eine Idee, welche weiteren Fähigkeiten eine Rolle spielen – das sind nur Beispiele. Zuhörförderung als Medienkompetenz ist keine neue ‚Methode‘, sondern das Hören und Zuhören ist der Ausgangspunkt im Sinne einer Voraussetzung, vielleicht ein neuer Blickwinkel, von dem aus sich alle bekannten künstlerischen und medialen Übungen und Arbeiten verbinden lassen. Freilich: Die Dominanz des Visuellen entfällt hier; Hören verbindet sich mit dem Sehen und Bewegen – es gibt keine Rangordnung der verschiedenen Sinne, es ist gleichberechtigt und nicht untergeordnet, wie wir das vielfach, gerade im medialen Bereich erkennen können.

merz Worauf sollten wir Ihrer Meinung nach in Zukunft mehr hören?

Bernius Zunächst geht es meiner Meinung nach nicht darum, worauf wir mehr hören sollten, sondern wir sollten einfach mehr und intensiver hören; mehr Zeit aufbringen fürs Hören, durch Zuhören etwas Neues erfahren. Man kann in seiner alltäglichen Umgebung ‚Hörenswürdigkeiten‘ entdecken lernen oder sogar selbst welche schaffen. Solche sind für mich zum Beispiel: Mauersegler, die wir in unseren Breiten nur von Mai bis Anfang August hören können und die ein Mittelmeer-Gefühl ermöglichen oder – ganz spannend: manche Rolltreppen haben einen fantastischen Rhythmus..., was ich damit meine ist: Ich empfehle mehr die Zwischentöne heraushören zu lernen und doppelt soviel zuzuhören wie zu reden nach dem Spruch des englischen Schriftstellers Somerset-Maugham: „Die Natur ist wirklich weise: Sie hat dem Menschen zwei Ohren gegeben und nur einen Mund, deshalb sollte er doppelt soviel hören wie reden“ – und das schließt auch ein, Methoden zu erlernen, wie man freundlich aber klar Dauerredner unterbrechen kann.


Zurück