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Nadine Jünger: Pornogesellschaft?!

Die Frage, ob wir in einer ‚Pornogesellschaft‘ leben stellte sich kaum jemand zum Ende der interdisziplinären Fachtagung Pornografisierung von Gesellschaft?! vom 28. bis 30. Oktober 2010, ausgerichtet von der Fachhochschule Köln, der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) und der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationskultur (DGPuK). Zwar ist Pornografie schon immer gegenwärtig gewesen, die Vorträge und Workshops im Ganzen deuten jedoch auf eine neue Quantität und ‚Qualität‘ der Verbreitung von pornografischen Inhalten und zugleich auch auf eine neue Qualität der wissenschaftlichen Diskussion. So verließ das Symposium erfreulicherweise die eingetretenen Pfade der erhitzten öffentlichen und häufig medial bestimmten Debatte um die verwahrlosende Wirkung von Hardcorepornografie und öffnete den Blick ebenso für die Bedeutung medialer Phänomene, die nicht der klassischen Definition von Pornografie zuzurechnen sind.

Aus dieser Perspektive lassen sich pornografische Inhalte und Darstellungsformen eben nicht nur in separaten Abteilen der Videotheken oder in den Tiefen des World Wide Web finden, sondern in nahezu jedem medialen Produkt, ob in der Werbung oder in Ratgeberliteratur (Anusch Köppert), im Sport (Daniela Schaaf, Jörg-Uwe Nieland), in Castingshows und Reality Soaps wie Deutschland sucht den Superstar oder Big Brother (Claudia Töpper), auf Mobiltelefonen und in Social Networks wie SchülerVZ (Iren Schulz, Wolfgang Reißmann) oder in Musik(-clips) (Andres Wagenknecht, Julia Jäckel). Insofern verwies die Themenvielfalt der Tagungsbeiträge darauf, dass sich ein zunehmend breites Medienspektrum pornografischer Elemente bedient. Darüber hinaus zeigten insbesondere die Präsentationen von Doris Allhutter und Kristina Pia Hofer, dass sich sowohl Produktions- und Darstellungs-, als auch Rezeptionsmodalitäten von ‚klassischer‘ Pornografie verändert haben. So stünde den Nutzerinnen und Nutzern neben professionellen Produktionen seit einiger Zeit auch ein breites Angebot an Online-Amateurpornografie als – wie Hofer es beschreibt – „fiction of the real“ zur Verfügung. Darüber hinaus wären die Konsumenten von Pornografie nicht länger bloße Rezipienten, sondern könnten über die Bedienung von computergenerierten Sexsimulatoren Pornografie interaktiv mitgestalten. Solange Medien im Alltag allgegenwärtig sind, sind auch pornografische Bezüge in der Gesellschaft allgegenwärtig und scheinen gleichermaßen gesellschaftliche Vorstellungen von Sexualität normierend zu durchdringen.

Wenngleich sich klassische Pornografie neuer Gestaltungs- und Produktionsformen bedient und pornografische Elemente in diverse mediale Unterhaltungsformate Einzug halten, bietet sich aus Sicht der Vortragenden inhaltlich nicht viel Neues. Die Tagungsbeiträge standen zumeist unter dem Stern der Gender-Studies und stellten die mediale Inszenierung von geschlechterhierarchischer und insbesondere heteronormativer Sexualität in das Zentrum der Auseinandersetzung.Die durchweg heteronormativitätskritische Perspektive machte sogar vor vermeintlich feministischen oder gar queeren Darstellungen nicht Halt. So unterzog etwa Julia Bader die TV-Serie The L-Word einer kritischen Analyse und zeigte, wie trotz aller Bemühungen um ‚lesbische Normalität‘ anhand spezifischer Inszenierungsstrategien auch hier heteronormative Strukturen reproduziert werden. Unter dem Schlagwort ‚Pornofeminismus‘ erörterte Paula-Irene Villa wiederum, welche Bedeutung, Chancen und Risiken jenem neuen ‚lustbetonten‘ feministischen Selbstverständnis zuzurechnen sind, wie es beispielsweise Lady Bitch Ray oder Charlotte Roche propagieren. So wurde aus der Diskussion um die ‚Pornogesellschaft‘ schnell eine Diskussion darüber, wie Feminismus in einer sexualisierten (Medien-)Gesellschaft auszusehen hat, was er leisten kann und soll. Einerseits wehrte man sich gegen das Bild der „humorlosen Feministin mit Achselhaaren“ (Myrthe Hilkens) und erkannte im populärkulturellen Feminismus durchaus ‚empowerment‘-Potenziale im Sinne eines selbstbestimmten Umgangs mit dem eigenen Körper. Andererseits sah man in seinem ebenso heteronormativen und pornografisierten Gewand eine Gefahr für Geschlechterdemokratie und sexuelle Vielfalt.

Diesem Trend entgegenzuwirken, hat sich die PorYes-Bewegung als Gegenoffensive zur PorNo-Kampagne verschrieben. Initiatorin Laura Méritt zeigte anhand von Filmausschnitten, wie sich PorYes um sexpositive Darstellungen und um einen Reichtum an sexuellen Ausdrucksweisen bemüht. Ob nun queere oder feministische Pornofilme besser sind als ie des Mainstreams und ob es unbedingt eines Feministischen Pornofilmpreises bedarf, ist fraglich, insofern dies eine Pornografisierung der Gesellschaft womöglich weiter vorantreibt. Nichtsdestotrotz gibt die Philosophie der Bewegung einen Anstoß zu neuen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen (Gegen-)Diskursen, indem sie Pornografie nicht per se als potenzielle Gefahr für die Gesellschaft begreift, sondern indem auch danach gefragt wird, inwiefern sie zur Akzeptanz sexueller Vielfalt beitragen kann. Zwar war von Seiten der geladenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selten die Rede von generell negativen Auswüchsen des Pornografiekonsums, umso mehr wurde aber mahnend auf die mediale Öffentlichkeit gezeigt, deren Moralpaniken um die sexuelle Verwahrlosung der Jugend laut dem Sexualpädagogen Uwe Sielert jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehren. Die „Generation Porno“ gebe es im eigentlichen Sinne nicht und zeichne ein unzutreffendes Bild von den Heranwachsenden unserer Zeit, denn gerade heute sei für die Mädchen und Jungen Liebe der zentrale Beweggrund für sexuelles Handeln. Wenn man überhaupt von einer „Generation Porno“ sprechen möchte, dann nur in der Weise, dass diese Generation wie kaum eine andere zuvor mit expliziter Pornografie und pornografisch assoziierten Medieninhalten aufwächst. Schließlich hätten laut einer Studie der Jugendzeitschrift BRAVO zwei Drittel der Jugendlichen zwischen elf und 17 Jahren bereits pornografische Bilder gesehen.

In den Vorträgen und Workshops deutet sich unterdessen an, dass pornografische Elemente oftmals nicht mehr als ein Ausdruck von Jugendkultur seien und damit ebenso Bestandteil alltäglicher Kommunikationskultur. Gleichwohl vermittelte der Filmvortrag zum Wuppertaler Medienprojekt von Andreas von Hören den Eindruck, dass die Jugendlichen selbst durchaus kompetent und reflektiert mit pornografischen Darstellungen umgehen können und diese nur selten als handlungsleitend für ihre eigene Sexualität wahrnehmen. Dies enthebe die Pädagoginnen und Pädagogen laut Sielert jedoch nicht von der Pflicht, ihren Beitrag zur Sexualerziehung zu leisten und die Heranwachsenden ‚pornokompetent‘ zu machen. Als Reaktion auf jugendschutzrechtliche Defizite wurde in den Diskussionen immer wieder der Ruf nach Sexual- und Medienkompetenzerziehung laut. An welchen Stellen konkret Handlungsbedarf besteht und wie der pädagogische Beitrag in der Praxis genau auszusehen habe und überhaupt umgesetzt werden kann – im Falle von Pornografie rechtlich gesehen keine leichte Aufgabe –, darauf konnte das auf einen wissenschaftlichen Diskurs angelegte Symposium nur schwer Antworten geben. Zurück blieben einige fragende Gesichter auf Seiten der pädagogischen Fachkräfte. Auf diese Weise zeigte die Tagung, dass sich Schlagworte wie „sexuelle Verrohung“ längst in den Gedächtnissen eingebrannt haben und sich diese nur schwer durch vorsichtige Entwarnungsbekundungen der empirisch Forschenden entkräften lassen. Das Symposium vermochte es dennoch zu vermitteln, dass eine Pornografisierung von Gesellschaft bzw. von Medien nicht zwingend mit einer Pornografisierung von individuell gelebter Sexualität einhergeht und es weiterer wissenschaftlicher Forschung bedarf, diesen Zusammenhang zu ergründen.


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