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Neue Kommunikationskulturen fordern neue Bildungssysteme

Brüggemann, Marion/Knaus, Thomas/Meister, Dorothee (Hrsg.) (2016). Kommunikationskulturen in digitalen Welten. Konzepte und Strategien der Medienpädagogik und Medienbildung. München: kopaed. 256 S., 16 €.

Die digitale Gesellschaft ist das Hier und Jetzt und kann nicht mehr ohne weiteres als Zukunftsutopie abgetan werden. Sie ist Gegenwart und fordert verstärkt nach entsprechenden Handlungskonzepten. Der ständige Wandel des Kommunikationsverhaltens durch die Digitalisierung und die dadurch beschleunigten Entstehungsprozesse sowie Transformationen der sich ebenso stetig vervielfältigenden Interaktionsorte haben die medienpädagogische Arbeit stark verändert. Eine klare Positionierung wird unumgänglich. Denn Teilhabe wie auch zukunftsorientiere Gestaltung in der (Handlungs-)Praxis der Netzwerkgesellschaft(en) kann nur durch den Einbezug einer politischen Dimension des Wandels vollständig durchdrungen werden. Mit der Zielsetzung, Heranwachsende zu einer kompetenten und sozial verantwortlichen Kommunikation zu befähigen, fokussiert der Band Kommunikationskulturen in digitalen Welten vor dem Hintergrund des 32. Forum Kommunikationskultur der GMK – Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur aus unterschiedlichen Zielgruppenperspektiven neue Aufgaben und Chancen für die Medienpädagogik zu Zeiten von Big Data.

Ausgehend von einer notwendig erscheinenden „Neujustierung der kulturelle[n] Bildung und des Bildungssystems“ identifiziert das Herausgeberteam Brüggemann, Knaus und Meister eine soziokulturell unabhängige Stärkung der digitalen Artikulation und damit Emanzipation als wichtigstes Handlungsfeld. Die maßgeblichen Fragen dieser Publikation umfassen demnach nicht nur neu entstandene Kommunikationskulturen, sondern vor allem auch die Förderung kommunikativer Kompetenzen sowie neue Modelle und Strategien, um gleichberechtigte Teilhabe an der digitalen Gesellschaft zu ermöglichen. Im ersten Teil der Publikation beschäftigen sich die Autorinnen und Autoren vor allem mit politischen Dimensionen und der (medien-)pädagogischen Positionierung. Ausgehend vom Mediatisierungsansatz und dem Wandel sozialer Beziehungen durch eine computergesteuerte digitale Infrastruktur rangieren die Themen einerseits von befürwortenden Worten zu Vorteilen des medialen Einflusses und dem Nutzbarmachen neuer Normen und Werte innerhalb einer Netzwerkgesellschaft, bis hin zum Plädoyer für eine erforderliche Zuwendung der (Medien-)Pädagogik zu einer informatischen Bildung.

Auf der anderen Seite stehen Forderungen nach Rückbesinnung auf traditionelle Zugänge der Medienpädagogik und der Wiederbelebung ihres früheren Selbstbewusstseins sowie die Ermahnung, Medien als „Lebens-, Genuss- und Suchtmittel“ auch auf psychologischer Ebene ernst zu nehmen. Im zweiten Teil des GMK-Bandes setzten sich die Autorinnen und Autoren eingehend mit praxisnahen Ansätzen zur Bildung, Teilhabe und Gestaltung digitaler Kommunikationskulturen auseinander. Herausgestellt werden unter anderem Potenziale zivilgesellschaftlicher Organisationen für die politische Beteiligung Heranwachsender. Der Appell geht aber auch an einen größeren Vertrauensvorschuss gegenüber Jugendlichen sowie an die zunehmende Bedeutung, geeignete Erprobungsräume für soziale Vernetzung zu schaffen. Bei der Schärfung des Praxis-Blicks auf ( außer-) schulische Kommunikation zur Organisation pädagogischer Akteurinnen und Akteure eröffnet sich wiederum eine überwunden geglaubte Gradwanderung zwischen Integration medialer Errungenschaften und Pflege traditioneller Gewohnheiten in Schulen. Darüber hinaus werden Spannungen in der Kinder- und Jugendhilfe aufgezeigt, Potenziale zur Förderung der Medien- Lese-Schreib-Kompetenz in der Hörkultur hervorgehoben, das Problem der geschlechtsspezifischen Diskriminierung in digitalen Spielkulturen diskutiert und Praxisbeispiele zum inklusiven Wirken der Medienpädagogik zusammengetragen.

Der dritte und letzte große Themenbereich des Werks befasst sich schließlich mit den europäischen und internationalen Aufgaben der Disziplin. So werden anhand der Ergebnisse der EU Kids Online Schwierigkeiten in der Onlinenutzung aufgezeigt und damit die Kompetenz im Medienumgang auch auf internationaler Ebene in Frage gestellt. Für die genauere Erklärung der Befunde und den Einsatz entsprechender Fördermaßnahmen wird künftig der Einbezug weitere Kontextfaktoren gefordert. Auf europäischer Ebene werden schließlich Vernetzungsanstrengungen in Deutschland, Belgien und Frankreich beleuchtet, aber auch zahlreiche Hindernisse herausgestellt. Kommunikationskulturen in digitalen Welten richtet sich direkt an ein medienpädagogisches Fachpublikum. Dabei wird, insbesondere für Einsteigerinnen und Einsteiger, ein verständlicher Rundumschlag von theoretischer Grundlage, wichtigsten Studienergebnissen und grundlegenden Problemen wie auch Chancen innerhalb der digitalen Welt geboten. Der in der Einleitung angekündigte Fokus auf eine politische Dimension des medienpädagogischen Wirkens kommt in der Beitragsauswahl allerdings etwas zu kurz. Zwar werden mit YouCitizen, der Diskriminierung in Communitys und auch mit der Inklusionsperspektive wichtige politisch relevante Aspekte angesprochen, konkrete Bezüge zur Politik bleiben jedoch aus. Wer sich außerdem aufgrund des Titels erhofft hatte, mehr über neu entstandene digitale Kommunikationskulturen mit neuartigen Konventionen zu erfahren, wird leider enttäuscht. Verwiesen wird vorwiegend auf bekanntes Netzwerkverhalten und digitale Herausforderungen, denen die jungen Nutzerinnen und Nutzer gegenübertreten. Das Thema Kommunikationskulturen könnte zudem noch intensiver aus einer zukunftsausgerichteten Perspektive bearbeitet werden.

Bei der Auseinandersetzung mit Folgen der Digitalisierung wird jedoch eher auf Negativaspekte geschaut und weniger auf Nutzen bzw. Nutzbarmachen verwiesen. Einen – zudem noch wirklich guten – Neuigkeitswert bieten dagegen die Auseinandersetzungen mit Big Data. Hier werden nicht nur die Dimensionen des Themas beleuchtet, sondern es wird insbesondere auch nach Anknüpfungspunkten an bereits bestehende Konzepte der Medienpädagogik gesucht. Für die Neuausrichtung der Disziplin sind dabei vor allem die daraus resultierenden konkreten didaktischen Vorschläge zur Einbindung des Themenfeldes hilfreich. Hervorzuheben ist außerdem ein fiktives Streitgespräch zwischen Pädagoge, Bildungspolitikerin und Informatikerin, das einen humorvollen Zugang liefert und gleichzeitig eine philosophische Herangehensweise zur Aufarbeitung der Folgen der Digitalisierung zur Disposition stellt. Die Publikation überzeugt alles in allem mit einer hohen theoretischen Fundierung, die gleichzeitig leicht zugänglich gemacht wird und liefert wichtige Impulse für eine tiefere Durchdringung der zum Teil sehr speziellen Problematiken.


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