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Niels Brüggen und Jürgen Ertelt: Editorial

Weit über 300 Kolleginnen und Kollegen der Medienpädagogik haben sich selbstorganisiert in einer offenen Gruppe auf Facebook zusammen geklickt und sind mit täglich neuen Beiträgen, Links, Fragestellungen und hilfreichen Antworten aktive Nutzerinnen und Nutzer einer bis dato nicht möglichen Form des fachlichen Austauschs. In nur wenigen Monaten ist dieser offene, unverbindliche, freiwillige und doch effiziente Zusammenschluss zu einem Anlaufpunkt für unterschiedliche Inhalte aus Schule, Jugendarbeit und Politik gewachsen. Interdisziplinär und auf kurzen Wegen werden hier Ideen und Meinungen kommuniziert.

Aus diesem Pool des informellen und informativen Austauschs gab es (beispielhaft für eine weitere Facette von social media in der Jugendarbeit) auch den Hinweis auf ein Videoprojekt an einer Schule in Baden-Württemberg: Der Energiekonzern EnBW hatte Anfang des Jahres einen Videowettbewerb zum Thema Kernenergie ausgeschrieben. Der Anti-Atomkraft-Clip, der mit medienpädagogischer Begleitung in einer Hauptschule entstand, wurde zwar aufgrund urheberrechtlicher Einwände nicht zum Wettbewerb zugelassen, aber dennoch auf youtube.com veröffentlicht. Angestoßen durch Medienpädagoginnen und -pädagogen startete eine virale Verbreitung des Videos als Beispiel für Jugendpartizipation mit Medien zu dem wieder aktuell gewordenen Thema „Atomausstieg“. Das Video wie auch die Hintergrundgeschichte kursierte zunächst in den Netzmedien, fand dann aber auch Einzug in die klassische Berichterstattung in Zeitung und TV (dokumentarisch erzählt auf www.storify.com/bjoernfr/kritischeenergiereporter). Das Ergebnis des Videoprojekts stand Wochen nach Abschluss plötzlich im medialen Fokus.

Die Selbstorganisation von medienpädagogisch Tätigen auf Facebook und die Geschichte um die ‚Anti-AKW-Kids‘ sind zwei Phänomene, die Schlaglichter auf die Bedeutung von social media für Jugendarbeit werfen. Selfempowerment ohne zu fragen und abseits bestehender Strukturen zeigen das Potenzial der Nutzung von frei zugänglichen Online-Vernetzungshilfen auf. Die Möglichkeit, eigene kritische Standpunkte vermeintlich mächtigen Meinungslobbyisten entgegenzustellen, ist ein weiterer Aspekt, der auf der schnellen Verbreitung und vielfachen Bewertung und Unterstützung medialer Produkte und der dabei entstehenden, aber unkontrollierbaren Resonanz aufsetzt.Die Assoziation zu den Umwälzungen in Nordafrika hier ‚im Kleinen‘ scheint nahezuliegen: Sind dies Facebook-Revolutionen oder ist Facebook ein revolutionäres Werkzeug? Via Kurznachrichtendienst Twitter haben wir von Christoph Kappes und seiner Analyse der Leistungsfähigkeit von social media in Umbruchzeiten erfahren. Seine Betrachtung beschreibt für uns auch das Potenzial für soziale Arbeit mit Jugendlichen und social media. Zu berücksichtigen sind aber auch die Problembereiche von social media und die Herausforderungen für pädagogische Arbeit, die daraus entstehen.Wir, die betreuende Fachredaktion dieser merz-Ausgabe, haben uns schon einige Zeit mit den Fragen einer möglichen online-Jugend(medien) arbeit befasst. Dabei stellten wir fest, dass eine Übersicht zu den bereits bestehenden Aktivitäten von Jugendarbeit mit und im Netz noch nicht erfasst wurde.

merz startete daraufhin einen call for projects, natürlich in social networks. Die Resonanz war überraschend eindrucksvoll: Über 1.000 Aufrufe aber nur 21 Beiträge stehen vielleicht symbolisch für das große Interesse am Thema, aber zugleich die noch nicht systematisierten Erfahrungen der Arbeit. Jugendarbeit mit social media ist keineswegs selbstverständliche Praxis. Die in diesem Heft versammelten Projekte und Initiativen geben aber Anregungen für mögliche Zugänge zum erweiterten digitalen Lebensraum Jugendlicher mit (medien-)pädagogischen Angeboten – und dies in unterschiedlichen pädagogischen Arbeitsfeldern. Dabei zeigen sich Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede in den Erfahrungen in der Gemeinwesen-, Streetwork- und Jugendverbandsarbeit wie auch in der offenen Jugendarbeit, aus schulischen Kontexten oder der Jugendmedienarbeit. Mit einer Palette von Beiträgen wollen wir ein Spektrum der Ideen und Möglichkeiten sowie beispielhafte Ansätze vorstellen. Dazu haben wir theoretisch-fundierende Betrachtungen und Beiträge aus der Praxis, die konkrete Erfahrungen reflektieren, im Themenschwerpunkt zusammengestellt.Das Spektrum der angebotenen Projekte und Beispiele sowie ergänzend angebotene Beiträge haben uns veranlasst, eine online-Erweiterung des vorliegenden Heftes zu realisieren. Alle Beiträge zur Momentaufnahme Jugendarbeit und social media und weitere nicht gedruckte Beiträge finden Sie auf www.merz-zeitschrift.de/jugendarbeit.Für die Arbeiten an diesem Heft haben wir selbst die kooperativen und kollaborativen Möglichkeiten von social media-Angeboten genutzt. Die Kommunikation mit einigen Autorinnen und Autoren lief nicht nur über die klassische E-Mail, sondern auch via (geschlossenen) Facebook-Gruppen, Mindmaps, sowie Etherpads und GoogleDocs zum zeitgleichen Editieren und Kommentieren von Textentwürfen.

Wir hoffen, dass dies einen Beitrag zur Qualität dieses Heftes leisten konnte und freuen uns über ihr Feedback im merz-Forum, auf dem Facebook-Profil der merz oder auf Twitter mit dem Hashtag #merz.


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