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Politisches Handeln online – aktuelle Veröffentlichungen

Sammelrezension

Jarren, Otfried/Donges, Patrick (2011). Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung. 3. grundlegend überarbeitete und aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag, 283 Seiten, 24,95 €

Schulz, Winfried (2011). Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung. 3., überarbeitete Auflage. Wiesbaden: VS Verlag, 385 Seiten, 29,95 €

Moser,Heinz/Mayrberger, Kerstin (2011) (Hrsg). MedienPädagogik Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung. Themenheft Nr. 21: Partizipationschancen im Kulturraum Internet nutzen und gestalten – Das Beispiel Web 2.0.www.medienpaed.com/zs/content/blogcategory/48/89

Begemann, Maik-Carsten/Bröring, Manfred/Düx, Wiebken/Sass, Erich (2011). Jugendliche Aktivitäten im Wandel. Gesellschaftliche Beteiligung und Engagement in Zeiten des Web 2.0. Endbericht. Online verfügbar unter www.forschungsverbund.tu-dortmund.de/fileadmin/Files/Engement/Abschlussbericht_Engagement_2_0.pdf.

Spaiser, Viktoria (2011). Das politische Potenzial des Internets. In: Heitmeyer, Wilhelm/Mansel, Jürgen/Olk, Thomas (Hrsg.). Individualisierung von Jugend. Zwischen kreativer Innovation, Gerechtigkeitssuche und gesellschaftlichen Reaktionen. Weinheim: Juventa, S. 147-164, 290 Seiten, 24,95 €

Emmer, Martin/Vowe, Gerhard/Wolling, Jens/Seifert, Markus (2011). Bürger online. Die Entwicklung der politischen Online-Kommunikation in Deutschland. Unter Mitarbeit von Markus Seifert. Konstanz: UVK Verlag, 346 Seiten, 39,- €

Wolling, Jens/Seifert, Markus/Emmer, Martin (Hrsg.) (2010). Politik 2.0? Die Wirkung computervermittelter Kommunikation auf den politischen Prozess. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft/Edition Reinhard Fischer, Reihe Internet Research, Band 38, 263 Seiten, 25,- €

Baringhorst, Sigrid/Kneip, Veronika/März, Annegret/Niesyto, Johanna (2010). Unternehmenskritische Kampagnen. Politischer Protest im Zeichen digitaler Kommunikation. Wiesbaden: VS Verlag, 441 Seiten, 39,95 €

Zurawski, Nils/Schmidt, Jan-Hinrik/Stegbauer, Christian (2011) (Hrsg.). Phänomen „Facebook“. Sonderausgabe von kommunikation@gesellschaft

Die Diskussion über die Relevanz des Internets für politisches Handeln erhält durch die Vielseitigkeit von Web 2.0-Anwendungen seit geraumer Zeit neue Impulse. Dabei handelt es sich um ein überaus facettenreiches Thema: Es erstreckt sich von theorieorientierten Fragen – etwa zum Strukturwandel der Öffentlichkeit, zur Mediatisierung von Politik und politischem Protest, zu den Artikulationsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger im politischen Diskurs – hinüber zu konkreten Fragen der Empirie, zum Beispiel inwieweit die spezifischen politischen Potenziale der Online-Medien überhaupt genutzt werden und inwieweit die Nutzenden deren Bedingungen und Implikationen in ihren Konsequenzen erfassen. Dies löst eine vergleichsweise rege Forschungstätigkeit in denPolitik- und Kommunikationswissenschaften aus, die unter anderem eine Überarbeitung bewährter Einführungs- und Standardwerke wie Jarren/Donges 2011 und Schulz 2011 zur Folge hat. In der Medienpädagogik schlägt sich die durchaus verstärkte Thematisierung mediatisierter politischer Partizipation noch in relativ geringem Maße in Forschungsarbeiten nieder. Hingewiesen wird hier auf aktuelle Arbeiten, die teils direkt medienpädagogische Implikationen diskutieren, teilseinschlägige Grundlagen liefern. Insgesamt dominieren standardisierte Befragungen, Medien und Kampagnenanalysen das Forschungsfeld.Als erstes ist zunächst auf das Themenheft Nr. 21 der „Medienpädagogik“, herausgegeben von Kerstin Mayrberger und Heinz Moser, hinzuweisen, das mit „Partizipationschancen im Kulturraum Internet nutzen und gestalten – Das Beispiel Web 2.0“ betitelt ist. Unter dem Fokus politische Partizipation besonders hervorzuheben sind die Beiträge von Heinz Moser, der die Teilnahme an politischen Facebook-Gruppen unter die Lupe nimmt und theoretisch einbettet, sowie von Heike Schaumburg, die die Internet-Angebote von politischen Stiftungen und Bundes- und Landeszentralen für Politische Bildung analysierte sowie Nutzende dervirtuellen Bildungsangebote einer politischer Stiftung danach befragte, wie sie Web-2.0-Angebote in der Politischen Bildungsarbeit beurteilen.

Nicht nur der politischen Partizipation im engeren Sinne waren Maik-Carsten Begemann, Manfred Bröring, Wiebken Düx und Erich Sass (2011) auf der Spur, als sie die Online- und Offline-Formen jugendlichen Engagements untersuchten. Hierfür griffen sie auf mehrere große quantitative Datenquellen und eine Primärerhebung (Zusatzstudie zum DJI-Survey Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten, kurz AID:A) zu. Sie zeigen, dass Online-Engagement das traditionelle zivilgesellschaftliche und politische Engagement nicht hindert, sondern stützt, und dass sich bei den befragten Jugendlichen neue Formen internetgestützten Engagements zeigen. Allerdings nutzen weniger als zehn Prozent der befragten Jugendlichen das Netz für politische Aktivitäten im engeren Sinne (z. B. Teilnahme an einer Online-Demonstration, Unterschreiben einer Online-Petition).Zu deutlich höheren Beteiligungsraten Jugendlicher kommt allerdings Viktoria Spaiser (2011). Insgesamt 66 Prozent der von ihr befragten Jugendlichen aller Schulformen haben zumindest gelegentlich politische Aktivitäten entwickelt und 43 Prozent haben das Internet schon einmal genutzt, um diese zu koordinieren. Spaiser lotet anhand einer standardisierten Befragung aus, inwieweit das Internet Bedeutung für die Auseinandersetzung mit politischen Themen hat. Dies diskutiert sie unter dem Blickwinkel gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse, denen das Internet entspricht: Es ermöglicht sowohl stark individualisierte Partizipation als auch neue Formen der Kollektivbildung, die dem Flexibilisierungsdruck eher standzuhalten vermögen als traditionelle politische Kollektive.

Martin Emmer, Gerhard Vowe und Jens Wolling (2011) legen nach einer Langzeitstudie, die sich über gut zehn Jahre erstreckte, mit Bürger online die Ergebnisse einer anspruchsvollen Paneluntersuchung vor. Sie gingen der Frage nach, wie Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeiten des Internets für politische Kommunikation nutzen. Mit standardisierten Methoden erfasste die Untersuchung die genutzten Informationsquellen, mediale und nicht-mediale Kommunikation über Politik, Online- und Offline-Formen der politischen Beteiligung. Ein solch umfangreiches Programm und seine Ergebnisse nachvollziehbar und in der gebotenen Detailliertheit darzustellen ohne auszuufern, ist eine echte Herausforderung, die durchaus als gelungen bezeichnet werden kann. Die Ergebnisse sind klar nach Fragestellungen gliedert und enthalten viele Abbildungen und Tabellen, die die verschiedenen Aspekte übersichtlich bündeln. Da im Verlauf des Projekts bereits Publikationen entstanden sind, kann ergänzend auch an anderer Stelle nachgelesen werden, wie zum Beispiel im Band Politik 2.0.Dieser von Jens Wolling, Markus Seifert und Martin Emmer (2010) herausgegebene Sammelband Politik 2.0 basiert auf der 12. Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Computervermittelte Kommunikation. In drei Kapiteln spannen die Beiträge einen Bogen von bereits als klassisch zu bezeichnenden Onlineangeboten wie Politiker-, Parteien- und Regierungshomepages (Kapitel 1) bis hin zur politischen Kommunikation im Web 2.0, wobei hier theoretische und empirische Beiträge zu Blogs sowie Empirisches zu politischen Auseinandersetzungen in Wikipedia und zur Wahlkampfkommunikation im Web 2.0 zu finden sind (Kapitel 3).

Das zweite Kapitel fasst Beiträge zur politischen Netznutzung durch „die Bürgerschaft“ zusammen. Neben Ergebnissen der bereits erwähnten Paneluntersuchung, an der auch Angelika Füting mit der Erarbeitung von Typisierungen beteiligt war, finden sich weitere empirische Arbeiten zur politischen Kommunikation in der Bürgerrolle. Sven Engesser analysiert zum Beispiel in einer explorativen Studie die Barrieren, auf die Partizipationswillige stoßen, wenn sie sich mit Kommentaren oder Beiträgen in verschiedene Online-Angebote (von bild.de bis indymedia) einbringen wollen und Tobias Escher untersucht anhand der britischen Website Writetothem.com, welche Bürgerinnen und Bürger online zu ihren Abgeordneten Kontakt aufnehmen. Wie politischer Protest sich heute Geltung verschafft, zeigen Sigrid Baringhorst, Veronika Kneip, Annegret März und Johanna Niesyto (2010), die eine stärker politikwissenschaftliche Perspektive anlegen. Sie untersuchen, inwiefern das Internet (neben ökonomischen und politischen Strukturen) eine mediale Gelegenheitsstruktur für unternehmenskritische Kampagnen bzw. konsumeristischen Protest darstellt. Hierzu analysieren sie detailliert zehn beispielhafte Kampagnen auf die möglichen Online- und Offline-Partizipationsformen sowie soziale Kampagnenpraxen und Techniken/Tools der Mediennutzung, unter anderem,um deren identitäts- und gemeinschaftsstiftendes Potenzial herauszuarbeiten.

Eine Sonderausgabe von kommunikation@gesellschaft, herausgegeben von Nils Zurawski, Jan-Hinrik Schmidt und Christian Stegbauer, widmetsich ganz dem „Phänomen Facebook“ und anderen Sozialen Netzwerkdiensten. Einschlägig für das Thema der politischen Kommunikation sind der Beitrag von Lotte Nordhus, die Facebook- Diskurse nachzeichnet, die im sogenannten Schweizer Minarett-Streit entstanden sind, sowie der Beitrag von Jasmin Siri, Miriam Melchner und Anna Wolff, die die Nutzung von Facebook durch Parteien und Politikerinnen und Politiker untersucht haben. Neben einer Befragung von Abgeordneten wurden auch deren Facebook-Präsenzen selbst untersucht, um die Aneignung der Netzwerkplattform im Alltag professioneller politischer Kommunikation zu erfassen.


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