Schule als ein Milliardenmarkt für Apple, Microsoft, Samsung & Co.
Ein Interview mit Martina Schmerr, GEW
Tablet-Klassen sind nicht nur modern, sondern auch ein wirtschaftlicher Faktor für Schulen. Große Medienanbieter profitieren von diesem riesigen Markt, der an Schulen nicht immer zu deren Vorteil ausgetragen wird. Günther Anfang, Leiter der Abteilung Praxis des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, hat mit Martina Schmerr, Referentin im Vorstandsbereich Schule des Hauptvorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), gesprochen, um Gefahren und Chancen dieser Entwicklung auszuloten.
merz: Microsoft, Apple, Samsung und Co. sind alle an Schulen unterwegs und sponsern dort auf vielfältige Art und Weise deren technische Ausstattung. Welche Initiativen von Seiten der Industrie gibt es denn an Schulen?
Schmerr. Da gibt es einige. Schulen sind ein Milliardenmarkt, wenn man die Ausstattung im Blick hat. Gut beobachtbar ist, dass vor allem die beiden großen Anbieter, Microsoft und Apple, um die Marktführung an Schulen ringen, indem sie Fortbildungen für Lehrkräfte oder auch kostenfreie bzw. günstige Hardware sowie die entsprechenden Produkte oder Programme anbieten. Apple zum Beispiel bietet in seinem Store Materialien für den Unterricht in Mathematik oder Geschichte an. Google führt das Programm Certified teachers durch, welches zum Ziel hat, den Einsatz seiner Apps und Schulangebote zu fördern. Microsoft hat eine ähnlich klingende Initiative, die sogenannten Expert Educators. Außerdem laden sie zu Fortbildungen oder Kongressen ein, die durchaus in Nobelhotels fernab der deutschen Grenze stattfinden, beispielsweise in Barcelona. Apple ermuntert weiter weltweit Lehrkräfte, sich zu sogenannten Apple Distinguished Educators ausbilden zu lassen, um anschließend als Botschafter für Apple und dessen Produkte in Schulen oder auf Kongressen Werbung zu machen. Das lenkt mittlerweile auch die kritischen Blicke von Fachleuten auf diese Programme, weil darin durchaus ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot, gegen das Beamtenrecht oder die Anitkorruptionsrichtlinie gesehen werden kann.
merz: Das Lernen mit Tablets wird häufig synonym mit dem Lernen mit iPads bezeichnet – und Apple tut einiges, um seine Marktmacht zu behaupten und auszubauen. Wie bewerten Sie die Rolle dieses Unternehmens im Bildungsbereich?
Schmerr: Das Unternehmen ist sehr agil, nachdem es vor einigen Jahren negativ aufgefallen war. Was Datenschutz, Nutzerrechte und Privatsphärenschutz betrifft, hat Apple sich mittlerweile verbessert. Das ist erstmal positiv zu bewerten. Aber nicht zuletzt wird dadurch deutlich, dass heutzutage der Schutz der Privatsphäre durchaus ein Verkaufsargument ist. Apple profiliert sich deshalb so, um sich jetzt von beispielsweise Google oder Facebook weiter abzugrenzen. Außerdem hat man den Eindruck, dass Apple genau dann Charme23 merz thema offensiven oder Ausstattungswellen anstößt, wenn eine Gerätegeneration verramscht werden soll, weil die nächste Version des Tablets in Produktion ist. Das Problematische ist aber – das betrifft nicht nur diesen Konzern –, dass Schüler, wenn ihre Schulen Apple-Geräte anschaffen, nur mit dieser Marke vertraut werden; selbiges gilt für Microsoft und die Anwendungen unter Windows. Das heißt, derjenige, der den Fuß in die Schultür bekommt, gewinnt die Kunden von morgen. Das muss im Schulbereich zumindest kritisch gesehen werden.
merz: Wie sieht denn so ein Sponsoring konkret aus?
Schmerr: Die Anbieter – nicht nur die Technologiefirmen – stellen vergünstigt oder auch kostenfrei Technik, Software oder Schulungen zur Verfügung. Sie schließen zum Teil auch Verträge mit einzelnen Schulen ab oder gehen eine sogenannte Lernpartnerschaft ein. Meist geschieht das nicht immer offen, dennoch sind damit in der Regel aber Gegenleistungen verbunden. Das heißt, dass sich eine Schule auf die Produkte eines Sponsors festlegt – dies geschieht automatisch, wenn diese Tablets anschafft – und damit auch auf dessen Angebot im zugehörigen App-Store. Teilweise wurde und wird auch versucht, die Daten von Schülern und Lehrkräften zu sammeln, um deren Nutzerprofile erfassen oder sie als Kunden besser durchleuchten zu können. Es gibt heutzutage keinen Überblick mehr darüber, auf was sich einzelne Schulen jeweils einlassen. Die Kultusministerien wiederum fühlen sich nicht mehr verantwortlich. Sie haben in den letzten Jahren vielmehr in großer Zahl die Sponsoring-Bedingungen für Schulen gelockert und die Selbstständigkeit von Schulen sehr stark erhöht – heute mündet das in einer organisierten Verantwortungslosigkeit.
merz: Inwieweit ist dann die Unabhängigkeit der Schule in Gefahr?
Schmerr: Sie ist es, da sich Schulen mitunter über Jahre an einen bestimmen Anbieter binden und damit die Kaufentscheidungen von Schülern unter Umständen stark beeinflussen. Ich verweise auch nochmal auf die Lehrerfortbildungen, die zum Teil in Fünf-Sterne-Hotels stattfinden, und damit auch die Neutralität der Lehrkräfte vermutlich nicht mehr vollständig gewährleisten. Verantwortlichen Personen an Schulen muss daher bewusst sein, dass sie durch die Bindung an einen Anbieter der Kommerzialisierung von Schule Vorschub leisten, auch wenn sie dem im ersten Moment nicht entkommen können. Sie sollten aber dennoch versuchen, ihre Entscheidungen frei zu treffen, bevor sie sich für Jahre an einen Anbieter binden, da ein Neutralitätsgebot für den öffentlichen Schulbereich existiert. Eine Möglichkeit wäre beispielweise, mit mehreren Anbietern zusammenzuarbeiten oder bei der Betriebssoftware über Linux oder andere Open Source-Programme nachzudenken. Das sollte innerhalb einer jeden Schule auch offen kommuniziert und diskutiert werden. Auch könnte dies zum Unterrichtsthema werden, um Schüler an diese ökonomischen und kommerziellen Dimensionen heranzuführen.
merz: Immer häufiger stellen Firmen Unterrichtsmaterialien zum kostenfreien Download im Internet zur Verfügung. Wie sieht es da hinsichtlich der Qualität der Materialien und der versteckten Einflussnahme der Firmen auf die Inhalte aus?
Schmerr: Hier konnte in den letzten zehn bis 15 Jahren ein großer Anstieg verzeichnet werden. An der Universität Augsburg wurde untersucht, wie viele freie Unterrichtsmaterialien im Internet zu finden sind: 800.000 oder mehr. Man kann beobachten, ohne dass es weitere empirische Daten dazu gibt, dass Schulen immer mehr zum Feld von Lobbyisten werden, die auch dadurch auffallen, dass sie zum Beispiel Greenwashing betreiben. Energieunternehmen, Banken und Versicherungsdienstleister bringen sich mit ins Spiel. Es werden immer wieder Fälle bekannt, bei denen anstößige oder auch weltanschaulich fragwürdige Materialien in Schulen geschickt werden. Zu diesem Ergebnis ist auch der Materialkompass derVerbraucherzentrale Bundesverband e. V. gekommen, der besonders den Materialien von Privatunternehmen Mängel bescheinigt. Auch Markenartikel- oder Süßwarenhersteller gehen zum Teil sehr platt und werbemäßig auf Schüler zu. Werden die Kultusministerien darauf hingewiesen, wie stark diese Einflussnahme privater Art schon geworden ist, was die Gewerkschaften GEW und DGB bereits getan haben, dann erntet man mittlerweile Schulterzucken oder das optimistische Credo ‚Die Schulen, die machen das schon‘. Unsere Forderungen nach einer öffentlichen Prüfstelle sind hingegen auf Ablehnung gestoßen.
merz: Folglich könnte man sagen: Mehr Angebote bedeuten mehr Chancen oder mehr Gefahren. Wer gewinnt denn Ihrer Ansicht nach, die Chancen oder die Gefahren?
Schmerr: Das lässt sich nicht sagen, da es bestimmte Gefahren gibt, die uns heute erst deutlich werden und Chancen, über die wir in der heutigen Zeit besser Bescheid wissen als früher. Ich glaube, die Schule kann sich nicht abschotten und sagen ‚Wir machen da nicht mit‘, um den Gefahren nicht zu erliegen. Sie muss digitale Lernräume eröffnen und Kinder und Jugendliche darin begleiten. Ich bin aber sehr skeptisch, was die Hoffnungen oder die Euphorie betrifft, dass sich dadurch die Lernprozesse oder -ergebnisse verbessern würden. Schulen sollen versuchen, die Chancen möglichst gut zu nutzen und die Gefahren möglichst gut zu minimieren bzw. zu umgehen. Bezüglich der Gefahren würden wir uns allerdings auch etwas mehr Verantwortung der öffentlichen Hand wünschen. Dazu drei Stichworte: Beim Thema Datenschutz ist die USA im Schulbereich weiter als Deutschland und verbietet zum Beispiel an Schulen, dass Kinder auf Seiten unterwegs sind, wo sie getrackt werden, also ihr Handeln nachverfolgt wird. Zweitens bräuchten Lehrkräfte mehr Rechtssicherheit, da sie sich manchmal am Rande der Legalität bewegen, weil Digitalmedien nicht in dem Ausmaß geregelt sind wie konventionelle Printmedien. Drittens: Den Gefahren, denen Kinder und Jugendliche im Internet ausgesetzt sind, begegnet man am besten, indem man eine gute medienpädagogische Grundbildung an Schulen vermittelt.
merz. Was planen denn Microsoft, Apple und Co. für die nächsten Jahre?
Schmerr: Ich habe den Eindruck, dass alle großen Player an Werkzeugen oder Szenarien für den Bildungsbereich basteln, weil das einfach noch ein riesengroßer, unausgeschöpfter Markt ist. Kürzlich hat auch die Bertelsmann Stiftung verlautbart, dass sie einen Schwerpunkt auf digitale Bildung setzen möchte. In diesem Bereich wittern sie sehr viel Potenzial. Außerdem haben wir gehört, dass Microsoft zum Beispiel an virtuellen Klassenzimmern arbeitet, in welchen Schüler wie auch Lehrkräfte als Avatare aufeinandertreffen, oder auch an Headsets, die die Lernströme bei Schülern während des Lernprozesses messen, um ihre E-Learning-Produkte weiterentwickeln zu können. Das bereitet natürlich Datenschutz- oder auch Persönlichkeitsschutzprobleme. Hier versuchen die Lobbyisten bereits gesetzliche Grundlagen zu deregulieren. Auch Google ist aktiv, da die Firma beispielweise mit ihrer Hightech-Brille Google Glass nun auch Schulen ins Visier nimmt.
merz: Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Welchen Stellenwert sollten Medien in der Schule Ihrer Ansicht nach haben?
Schmerr: Medien haben bereits einen recht hohen Stellenwert, was positiv zu bewerten ist. Ich denke, sie sollten viel selbstverständlicher ein Teil von Bildungsprozessen sein und nicht nur als Präsentations- oder Unterrichtsgegenstand, sondern auch als eine Chance für das Lernen über oder auch mit Medien gesehen werden. Ebenso beinhalten sie das Potenzial für Chancengleichheit, für emanzipatorische Prozesse oder für mehr Teilhabe von Kindern. Die Euphorie bezüglich der Lernergebnisse beim Medienlernen teile ich nicht. Die letzte PISA-Auswertung der OECD, die im September 2015 veröffentlicht worden ist, hat gezeigt, dass Schulen, die besonders gut ausgestattet sind, keine positiveren Lernergebnisse erzielen als andere. Am besten haben die Schulen abgeschnitten, die mittelprächtig ausgestattet sind. Auch das muss zur Kenntnis genommen werden, um nicht zu viel Hoffnung damit zu verknüpfen. Aber ich glaube, dass die Potenziale im Schulbereich noch nicht ausgeschöpft sind. Um diese auszuschöpfen, das ist ein Thema für die GEW, sind Themen wie Ausstattung und Veränderung von Lernprozessen sehr wichtig, aber allem voran die Ausbildung von Lehrkräften.
Das Interview führte Günther Anfang. Martina Schmerr arbeitet als Referentin im Vorstandsbereich Schule des Hauptvorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Nach ihrem Studium der Germanistik, Pädagogik, Filmwissenschaft und Politik arbeitete sie zuvor unter anderem als Medienpädagogin und Jugendbildungsreferentin. Neben einer breiten Palette schulpolitischer Themen gehören zu ihren Arbeitsschwerpunkten bei der GEW auch Medienbildung an Schulen sowie Ökonomische Bildung, Privatisierung und Lobbyismus im Schulbereich. www.gew.de/schule
Literatur:
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (2013). GEW Privatisierungsreport Nr. 15: Propaganda und Produktwerbung. Wie Unternehmen mit kostenlosen Unterrichtsmaterialien Einfluss auf Schulen ausüben.www.gew.de/index.php?eID =dumpFile&t=f&f=24014&token=8e016d2111510301ff25 aff75e7ac0340507fda4&sdownload= [Zugriff: 25.11.2015].
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (im Erscheinen). „Erfolgreich mit Neuen Medien! – Was bringt das Lernen im Netz?“.
Holland-Letz, Matthias (2015). Einfallstor für Microsoft, Apple und Co. In: E&W Erziehung und Wissenschaft, 10. www.gew.de/zeitschriften/eundw/aktuelles/detailseite/ neuigkeiten/ew-102015-digitale-bildung-auf-den-mehrwert- kommt-es-an [Zugriff: 25.11.2015].
www.gew.de/schule/medienbildung [Zugriff: 25.11.2015].
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