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Sebastian Ring: Die Gamescom 2012

Wenig Neues, aber stete Entwicklung

275 000 Menschen kamen, um sich das Spektakel anzusehen, das heuer zum dritten Mal in Köln stattfand. Genug, um den Zugang zur Messe am Samstag vorsichtshalber sperren zu lassen – sehr zum Missfallen derjenigen, die sich vor dem Messegelände drängten und nun mit kühlen Drinks abgespeist wurden, während sie ihrem Ärger bei Facebook Luft machten. Allemal zu viele waren es auch in den Messehallen, und das führte dazu, dass die Wartezeiten zum Ausprobieren der Neuigkeiten ins Endlose gedehnt wurden. Aber das sollte niemanden wirklich abschrecken. Die Gamescom lebt davon, Treffpunkt für die Gamesbranche und Gamesbegeisterte zu sein und sie bietet schlicht die Möglichkeit, wenigstens einen kurzen Blick auf Battlefield 3, FIFA12, Diablo 3, Assassin’s Creed Relevations, Deus Ex: Human Revolution oder viele andere der Neuerscheinungen zu erheischen und kennerhaft im Freundeskreis und der Welt mitteilen zu können, dass in diesem Jahr eigentlich nichts wirklich Neues dabei war: Weit und breit keine wirklich neuen genreprägenden Titel in Sicht – bevor sich an dieser Stelle Widerspruch regt: Doch, The Witcher 2 des polnischen Entwicklerstudios CD Projekt RED und From Dust des Designers Eric Chahi sind tatsächlich einen zweiten Blick wert. Neben der Software waren aber auch keine Hardwareinnovationen greifbar – nicht einmal die noch im Juni auf der weltgrößten Videospielmesse E3 präsentierte Wii U. Lediglich die Playstation Vita und überhaupt das Spielen auf mobilen Endgeräten, sowie Cloud Gaming- Dienste wie onlive, die antreten, um Konsolen und Gaming-PCs überflüssig zu machen, zeigen offensichtlichere Entwicklungslinien auf.

Alte Spiele in neuen (Verkaufs-) Schläuchen

Stattdessen setzt die Industrie auf die Ausbeutung etablierter Marken. Das sind zum einen bewährte AAA-Titel, wie eben beispielsweise die Reihen Call of Duty, Diablo, FIFA, Silent Hill, Anno et cetera und zum anderen aus anderen Medienbereichen bekannte Bestseller, zum Beispiel das Tanzspiel Black Eyed Peas Experience oder das MMORPG Star Wars – The Old Republic. Irgendwie bemerkenswert waren auch die runden Geburtstage von Spieleserien (z. B. 25 Jahre Zelda) oder Entwicklerstudios und Publishern (z. B. 25 Jahre ubisoft), die auf der Gamescom gefeiert wurden. Die Branche hat sich etabliert, keine Frage, aber Neuentwicklungen lassen sich eher im Bereich von Geschäftsmodellen ausmachen. Free-to-play-Modelle greifen um sich, vorwiegend im Bereich der Browser- und Social Games, aber zum Beispiel auch die Vertriebsplattform Steam bietet diese Möglichkeit mittlerweile. Für Spieleproduzenten ist diese Form des Bezahlens durchaus einträglich. Bigpoint zählt laut eigenen Angaben zum Weltmarktführer für Browsergames und setzt stark auf dieses Bezahlmodell. Für viele Spielende bietet das die Möglichkeit, Spiele kostenfrei zu spielen oder eben zu entscheiden, wie viel Geld einem ein Spiel wirklich wert ist – sofern die Kostenmodelle ausreichend transparent sind und Kaufentscheidungen autonom getroffen werden. Flexibilisierung von Kosten findet auch an anderer Stelle statt: Neben den vollen Kosten für eine als boxed product oder Download vertriebene Vollversion stehen kostenpflichtige Zusatzdownloads (DLC) oder Onlinedienste (z. B. Call of Duty Elite) bereit. Solche Modelle sind wichtig und interessant für die Gamesindustrie, die auf Wachstum abzielt und die sich auch der Konkurrenz durch Spielangebote im Niedrigpreisbereich, zum Beispiel auf Smartphones, erwehren will. Die Gamescom bietet der Branche zum Beispiel durch die Business Area und die Games Developer Conference Europe Anlässe und Räume für Kontakt und Austausch über solche Entwicklungen.

Gamescom – Jahrmarkt der Gameswelt

Für die normalen Besucherinnen und Besucher standen die Spiele und das Spektakel im Vordergrund. Auch in dieser Hinsicht wurde hier einiges geboten. Brandneue Autos wie der BMW M5 wurden präsentiert, Kamele trugen die dritte Version von Uncharted durch die Stadt zum Messestand und die ESL und die World Cyber Games fanden ihr Publikum. Einfallsreichtum war gefragt, um aufzufallen. Das galt auch für die Cosplayer, die sich zahlreich und wie jedes Jahr geschminkt und in aufwändig gestaltete Roben und Kostüme gehüllt, auf der Gamescom tummelten. Was eine so große Zahl von spielbegeisterten Menschen lockt, zieht natürlich auch die Werbetreibenden an, die an dieser Zielgruppe interessiert sind. Klar im Fokus standen natürlich die Spiele, aber auch Hardwarehersteller (z. B. für Konsolen, Mäuse etc.) präsentierten sich. Zeitschriftenverlage stellten ihre Magazine, Romane oder Comics zu Games aus. Die Bundeswehr war mit von der Partie, die Junge Union und etliche Gamer stürmten neugierig die PC-Stationen der Deutschen Post, um dort das vermeintliche Game namens E-Postbrief zu testen. Wie in den vergangenen Jahren stand aber nicht nur die Unterhaltung im Fokus. Einige Serious Games wurden der Öffentlichkeit präsentiert, beispielsweise Zappelix, das laut Herstellerangabe einzige Computerspiel, das man in der Apotheke erwerben kann und das ADHS-Kindern und ihren Eltern als wirkungsvolle Alternative zu dem nicht unumstrittenden Medikament Ritalin angeboten wird. Oder SQUIN – Smoke Quit Win!, eine Smartphoneapp, die frischgebackenen Ex-Raucherinnen und Ex-Rauchern in schwachen Momenten unter anderem mit einem Notfallbutton den rettenden Strohhalm reicht. Interessanter unter den ernsthafteren Angeboten der Gamescom erscheint da doch der gamescom campus, auf dem sich neben anderen das Jugendforum NRW, die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und die Personalabteilungen deutscher Spieleentwickler präsentieren. Auch wenn an diesen Ständen keiner stundenlang anstehen musste, war die Nachfrage doch gut und vor allem die Einblicke in den Arbeitsmarkt und Wege dorthin von vielen jungen Spielern und Spielerinnen auch stark nachgefragt. Die deutsche Gamesbranche entwickelt sich stetig weiter. Öffentliche Förderung durch einige Bundesländer soll diesen Zukunftsmarkt und die Rolle Deutschlands im globalen Wettbewerb stärken. Deutschland ist weltweit in Sachen Games nicht gerade als Hotspot für Innovation bekannt.

Die Spiele(r) und ihr Platz in der Gesellschaft

Um das zu ändern, gilt es auch, das Bild von Computerspielen und ihren Spielerinnen und Spielern in der Öffentlichkeit differenzierter darzustellen. Zu negativ erscheint es im Allgemeinen und die klischierten Vorstellungen von Gamern als meist jungen, männlichen, pickligen, pummligen und Pizza essenden Nerds ist immer noch weit verbreitet. Eindrucksvoll belegte das ein Bericht von RTL Explosiv, der – jenseits journalistischer Professionalität und Ethik – einzelne Gamescombesucher maßlos bloßstellte und ihre Offenheit und Auskunftsfreude ausnutzte, um eben jene Klischees zu bedienen. Die Aufregung der Gamer darüber war groß und zurecht braute sich ein Sturm der Entrüstung über RTL zusammen. Dieser führte schließlich immerhin dazu, dass sich der verantwortliche Redakteur und mit ihm der Sender entschuldigen mussten.

Aufrufe zur Beschwerde über die Sendung, die über das Netz verbreitet wurden, erreichten, dass das Online-Bürgerportal der Landesmedienanstalten www.programmbeschwerde.de seine größte Beschwerdewelle erfuhr und zeitweise von den über 100.000 Anfragen überfordert war. Ein medienrechtlicher Verstoß konnte durch die zuständige Niedersächsische Landesanstalt für Rundfunk (NLM) jedoch nicht festgestellt werden. Diese Geschichte dokumentiert aber deutlich, dass sich die vielen Gamer mit ihrem schlechten Image in der Öffentlichkeit nicht abfinden möchten und sich dagegen zur Wehr setzen. Interessanter erscheint in diesem Kontext der Schritt, den das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit seinem Spartensender zdf.kultur erstmals wagte: For the win übertrug E-Sport. Was in anderen Ländern längst selbstverständlich erscheint, nämlich die Berichterstattung über E-Sport im Massenfernsehen, ist in Deutschland nach wie vor randständig entwickelt. Aus Gründen des Jugendschutzes – eine der Disziplinen, in der die E-Sportler gegeneinander antraten, war der erst ab 16 Jahren freigegebene Shooter Counter-Strike – wurde die Sendung erst spät in der Nacht ausgestrahlt. Eine breitere öffentliche Berichterstattung über Spielerkulturen, zu der unter anderen auch der E-Sport zählt, täte auch der Differenzierung der öffentlichen Debatte über Computerspiele im Allgemeinen gut.

Mehr Aufmerksamkeit für Spielkultur

Im Umfeld der Gamescom wurden noch weitere Facetten dieser kulturellen Seite des Gaming sichtbar. Zum zweiten Mal veranstaltete die Agentur 37 Grad das Platine Festival für elektronische Kunst und alternative Spielformen (www.platine-cologne.de). Besonders charmant erschien hier das Spiel Pong Invaders Reality von Tobias Othmar Herrmann (www.tmmbach.net), bei dem man auf einer Tischtennisplatte und mit Schläger und Ball bestückt gegen Space Invaders antritt. Eine weitere seiner Kreationen befand sich am Stand der Bundeszentrale für politische Bildung: Milky Boat, bei dem man ein ferngesteuertes Boot über einen kleinen Milchsee zu steuern hatte und dieses vor dem – tatsächlich ebenso physischen Untergehen nach Crash mit projizierten Seeminen – bewahren musste. Man darf sich wünschen, dass solche Formen von Spielkultur mehr öffentliche Aufmerksamkeit erfahren und der Facettenreichtum der Gameskultur stärkere Anerkennung erfährt. Die bundesdeutsche Gesellschaft – oder zumindest Teile von ihr – haben hier noch einiges zu lernen und ein erster Schritt hierzu könnte sein, sich ein eigenes Bild zu machen und die Gamescom zu besuchen.

Als größte Gamesmesse Europas hat sich die Gamescom in den drei Jahren in Köln etabliert und ist gewachsen. Aber bei weitem nicht alle Aussteller und Gäste sind zufrieden mit den Rahmenbedingungen und den Organisationsverläufen der koelnmesse. So steht in den Sternen, ob der Tross nicht in den nächsten Jahren weiterzieht. Wie leicht das vonstatten gehen kann, zeigte der Umzug von Leipzig nach Köln. Vielleicht belebt aber auch Konkurrenz das Geschäft. Die zweitgrößte US-amerikanische Gamesmesse PAX denkt über einen möglichen Ableger in Europa nach. Für das kommende Jahr scheint aber alles auf die Stadt am Rhein hinauszulaufen. Der Termin wurde angekündigt und kann getrost in den Terminkalender eingetragen werden: Die Gamescom findet vom 15. bis 19. August 2012 statt – am ersten Tag ist der Zugang dem Fachpublikum vorbehalten. Die Game Developer Conference Europe findet ebenso wieder in Köln statt, und zwar vom 13. bis 15. August 2012.


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