Susanne Eggert/Andreas Lange: Editorial: Die ambivalente Ökonomisierung von Medien in Zeiten der Digitalisierung
Hoppla, ohne es zu wollen, habe ich zugestimmt, dass die Online-Plattform, auf der ich mich gerade befinde, Cookies einsetzt – und damit implizit mein Einverständnis zur Sammlung und Verarbeitung meiner persönlichen Daten gegeben. Möglich war das durch die Verwendung der Dark-Patterns-Technologie. Diese bringt Nutzer*innen mit Hilfe von Designelementen dazu, ihre Zustimmung zu Vorgängen im Internet zu geben, ohne dass sie sich dessen unbedingt bewusst sind. Dark Patterns sind nur eine Möglichkeit, wie Anbieter im Internet an die Daten von Nutzer*innen kommen. Und wenn sie diese Daten einmal haben, dann ist der Weg frei, sie zielgerichtet weiterzuverarbeiten. Die Daten von Nutzer*innen sind eine wichtige und wertvolle Währung für kommerzielle Akteure im Internet. Wenn es um die Verbindung von Ökonomie und Medien geht, sind sie der wichtige Faktor. Warum?
Zunächst einmal ist es sinnvoll, sich ein wenig genauer anzuschauen, was eigentlich hinter dem Begriff der Ökonomie steckt bzw. was unter Ökonomisierung zu verstehen ist. Ökonomisierung ist einer der wichtigsten gesellschaftlichen Mehrebenenprozesse, der die Struktur und Dynamik der späten Moderne, des digitalen Kapitalismus (Fuchs, 2023), prägt. Ökonomisierung meint differenzierungstheoretisch betrachtet (Hedtke, 2014) das imperialistische, kolonialisierende Übergreifen ökonomischer Logiken in andere Systeme und Lebenswelten von Menschen. Zu diesen Logiken gehört das Schema Zahlung – Nichtzahlung, die Quantifizierung und damit zwangsweise Vereinheitlichung von Sachverhalten und der Export des homo oeconomicus als Leitbild. Schließlich werden alle Beziehungen marktförmig modelliert. Im Gefüge der Systeme erfolgt also eine Aufwertung der ökonomischen Logik und diese realisiert sich in erster Linie in den Organisationen der Teilsysteme; sprich in den Krankenhäusern, Universitäten, Redaktionen und Produktionsstudios. Allerdings ist dies kein linearer Prozess, weil die Eigenlogiken der anderen Systeme und Organisationen sich daran reiben und abarbeiten. Schon früh indes hat es solche Beziehungen zwischen den noch um endgültige Ausdifferen zierung ringenden Systemen, Medien auf der einen, und Wirtschaft auf der anderen Seite, gegeben. Spätestens mit dem Buchdruck haben die großen Druckhäuser und die medienrhetorisch versierten Theologen gezeigt, dass gutes Marketing zu ökonomischem Gewinn durch Medien führen kann (Kaufmann, 2022). Sie nutzten großflächig die Tatsache, dass zwar die Erstproduktion von Medienprodukten kostenintensiv ist, aber die nachfolgenden Skalenvorteile diesen Anfangsnachteil mehr als wettmachen. Im Interview zeigt Friedrich Krotz auf, wie sich das entwickelt hat, warum Gutenberg eigentlich den Buchdruck erfunden hat und wie die Entwicklung anschließend weiterging. Er macht deutlich, dass die Ökonomisierung von Medien insbesondere hinsichtlich der Weiterentwicklung der Technik und den damit einhergehenden Bildungschancen für die Menschen ein großes positives Potenzial enthält. Dieses Potenzial gilt es verantwortungsvoll zu nutzen, und zwar umso mehr vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft. Denn mit dem stetigen Zuwachs an neuen Medientechnologien und -formaten sowie deren Vermarktung entstand zum einen eine Aufmerksamkeitsökonomie (Franck, 2007). Angesichts der Überfülle des Medienangebots und der zunehmenden Notwendigkeit einer werbemäßigen Refinanzierung sind die Anbieter darauf angewiesen, wahrgenommen zu werden, um überleben zu können. Das damit verbundene Buhlen um Clicks und Abos schlägt sich zum Teil in Qualitätseinbußen nieder und kann dazu führen, wie das Beispiel Dark Patterns zeigt, dass Wege gesucht werden, die für die Nutzenden nicht mehr so leicht zu erkennen sind. Zum anderen forcieren die Digitalisierung und die Sozialen Medien nochmals die Ökonomisierung jedweder Kommunikation und die Ausbeutung der User*innen durch informatorische Arbeit. Vor allem führen sie auch zu einer Hypersingularisierung (Reckwitz, 2017) und einer zunehmenden Konsumorientierung sowie einer an Verhaltensvorhersagen orientierten Kontrolle des ökonomischen Denkens und Handelns von Menschen aller Altersgruppen (Zuboff, 2018), die durch die Sammlung ihrer persönlichen Daten möglich wird.
Wo in dieser Entwicklung die Fallstricke für Verbraucher*innen liegen, damit beschäftigt sich Verena Halm von der Verbraucherzentrale Bayern. Sie zeigt auf, welche Wege der Werbung sich im Internet entwickelt haben und warum sie für die Nutzer*innen oft so schwer zu erkennen sind. Dank der unzähligen persönlichen Daten, die wir regelmäßig im Internet zur Verfügung stellen, lassen sich unsere Bedürfnisse sehr genau analysieren. Genau hier setzen die Akteur*innen an und genau damit erreichen sie auch, dass wir nicht mehr so genau hinschauen. Das in diesem Text nun schon mehrfach bemühte Verfahren der Dark Patterns ist einer dieser Wege. Rudolf Kammerl und sein Team haben für die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien die Bedeutung von Dark Patterns und Digital Nudging in Sozialen Medien untersucht. Sie stellen fest, dass Dark Patterns in fast allen Angeboten, die bei Kindern und Jugendlichen beliebt sind – seien es Apps oder Spiele –, vorkommen. Neben älteren Personen und Menschen mit geringerer formaler Bildung sind es aber gerade Kinder, die sich besonders schwertun, diese Mechanismen zu erkennen, was das Thema für den Verbraucher- und Jugendmedienschutz, aber auch für die Medienpädagogik besonders virulent macht. Die Bedeutung, die die Verbindung von Medien und Ökonomie für die Bildung und ihre Verbreitung haben kann, wurde bereits angesprochen. Während aber die (kostengünstige) Verfügbarkeit von Informations- und Bildungsmedien nicht hoch genug bewertet werden kann, birgt die Digitalisierung zunehmend die Gefahr, dass Bildung von ökonomischen Interessen bestimmt wird. Mit diesem Thema setzt sich die Initiative Bildung und Digitaler Kapitalismus auseinander. In einem gerade erst erschienenen Positionspapier wirft die Initiative einen kritischen Blick auf das Verhältnis zwischen Kapitalismus und digitalen Technologien und skizziert das Verhältnis zwischen Digitalem Kapitalismus und Bildung. Daraus entwickelt sie bildungspolitische Perspektiven und Forderungen. Gregor Eckert und Nina Grünberger sind Teil der Initiative. In ihrem Beitrag gehen sie auf das Vorgehen bei der Erarbeitung des Positionspapiers ein, bei dem unter anderem Wert darauf gelegt wurde, dass möglichst unterschiedliche Perspektiven berücksichtigt wurden, und erläutern außerdem zentrale Begriffe des Textes. Insgesamt wird sehr deutlich, dass das Verständnis der Ökonomisierung der Medien und die Durchdringung des Zusammenspiels und der Verflechtungen zwischen Medien und Ökonomie vor dem Hintergrund unserer heutigen mediatisierten und digitalisierten Welt eine wesentliche Voraussetzung für einen kompetenten Einbezug digitaler Medien in eine souveräne Lebensführung sind und insofern ein zentraler Inhalt für die praxisorientierte Medienpädagogik. Wie dies umgesetzt werden kann, damit setzen sich die Beiträge von Charlotte Horsch, Tina Drechsel und Valentin Dander auseinander. Charlotte Horsch stellt das webhelm-Starterkit zum Thema Influencer*innen vor, das pädagogische Fachkräfte dabei unterstützt, mit Jugendlichen zu Influencer*innen und dem dahinterstehenden Geschäftsmodell zu arbeiten. Tina Drechsel stellt zwei Methoden vor, wie im Rahmen des Projekts ACT ON! – Aufwachsen zwischen Selbstbestimmung und Schutzbedarf die Reflexion ökonomischer Strategien und Strukturen unterstützt wird. Valentin Dander hat sich im Rahmen eines Praxis-Forschungs-Projekts damit auseinandergesetzt, wie das komplexe Themenfeld Daten und digitaler Kapitalismus mit Jugendlichen ab 14 Jahren umfänglich bearbeitet werden kann und dafür Methoden entwickelt. In einer kritischen Reflexion der Erprobung dieser Methoden stellt er fest, dass diese von pädagogischen Fachkräften positiv bewertet wurden, die teilnehmenden Jugendlichen aber immer wieder an Grenzen kamen. Vor diesem Hintergrund plädiert er dafür, Erfahrungen und Methoden aus der kritischen ökonomischen und politischen Bildung sowie Methoden aus dem Bereich der Critical Data Literacies in medienpädagogische Bildungssituationen einzubeziehen. Bei der Vorbereitung dieses Themenschwerpunkts zeigte sich, wie komplex und zum Teil schwer zu fassen und zu durchschauen das Thema Medien und Ökonomie ist. Wir hoffen, wir können mit den gewählten Perspektiven und Texten Anregungen zum Weiterdenken und Weiterdiskutieren geben und wünschen eine spannende Lektüre.
Literatur
Franck, G. (2007). Ökonomie der Aufmerksamkeit: Ein Entwurf. dtv.
Hedtke, R. (2014). Was ist sozio-ökonomische Bildung? Perspektiven einer pragmatischen fachdidaktischen Philosophie. In A. Fischer & B. Zurstrassen (Eds.), Sozioökonomische Bildung (pp. 81-126). Bundeszentrale für politische Bildung.
Kaufmann, T. (2022). Die Druckmacher. Wie die Generation Luther die erste Medienrevolution entfesselte. C. H. Beck.
Reckwitz, A. (2017). Die Gesellschaft der Singularitäten. Suhrkamp.
Zuboff, S. (2018). Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Campus.
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