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Susanne Eggert: Migration und Medien: Vernetzung und Partizipation

Deutschland schafft sich ab! lautet der Titel des Buches von Thilo Sarrazin, das im Herbst 2010 auf den Markt kam und noch vor seinem Erscheinen hohe Wellen schlug. Von der Sorge, dass in einigen Jahren Deutsch nicht mehr die Sprache der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland sein könnte, ist darin die Rede, davon dass die Menschen nicht mehr von den Kirchenglocken der christlichen Kirchen geweckt werden könnten, sondern vom Rufen der Muezzine. Außerdem werden wir darauf hingewiesen, dass Integration eine Bringschuld sei und es ein Fehler war, in den 60er Jahren Arbeitsmigranten nach Deutschland zu holen – heute seien wir schlauer und würden die Fabriken ins Ausland verlagern. Komplett vermeiden lässt sich die Arbeitsmigration dadurch aber offensichtlich nicht.

Am 18./19.07.2011 war verschiedenen Zeitungen zu entnehmen, dass die Bundesagentur für Arbeit gezielt hochqualifizierte Arbeitslose aus Südeuropa anwerben möchte ... Migration ist hierzulande ein Thema, das auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert wird und das auch von Seiten der Wissenschaft unter die Lupe genommen wird. Mit der vorliegenden merz wollen auch wir uns wieder einmal in die Debatte einbringen. Ausgehend von der Tatsache, dass in vielen Ländern dieser Erde Menschen leben, die ihre Heimat verlassen haben, um an einem anderen Ort ein neues Leben zu beginnen – oder auch nur eine gewisse Zeit zu überbrücken, bis sie wieder zurückkehren können –, gehen die Autorinnen und Autoren der Frage nach, wie die Migrantinnen und Migranten die Medien dazu nutzen, einerseits Kontakte zu unterschiedlichen Gruppen zu knüpfen oder zu pflegen und andererseits an den Angeboten und Entwicklungen der Gesellschaft teilzuhaben, der sie sich jetzt – zeitweise oder auf Dauer – zuordnen und sich dadurch in dieser verorten. Den Auftakt machen Andreas Hepp, Cigdem Bozdag und Laura Sūna (Universität Bremen). Sie haben die kommunikative Vernetzung von Migrantinnen und Migranten marokkanischer, russischer und türkischer Herkunft untersucht und dabei festgestellt, dass die je individuelle Netzwerkarbeit auf unterschiedliche Migrationstypen zurückzuführen ist. Diese lassen sich als „herkunftsorientiert“, „ethnoorientiert“ und „weltorientiert“ bezeichnen. Auch die kommunikative Vernetzung der Untersuchungsgruppe kann als „Herkunftsvernetzung“ (zu diesem Netzwerk gehören in erster Linie Personen aus der Herkunftskultur), „bikulturelle Vernetzung“ (die Vernetzung zeichnet sich hauptsächlich durch Kontakte zu Personen aus der Herkunftskultur sowie zu Deutschen aus) und „transkulturelle Vernetzung“ (diese Netzwerke reichen über Länder- und Nationengrenzen hinweg) klassifiziert werden.

Es zeigte sich, dass „herkunftsorientierte“ Personen nicht notwendigerweise eine „Herkunftsvernetzung“ aufweisen, der „ethnoorientierte“ Typ sich nicht unbedingt „bikulturell“ vernetzt und die Vernetzung der „Weltorientierten“ nicht immer „transkulturell“ ist, allerdings ist dies verstärkt zu beobachten und unterstützt die jeweiligen Typen. Der Fokus des zweiten Artikels von Thanh Tam Nguyen richtet sich auf Musik. Nguyen, Absolventin an der Universität Leipzig und selber vietnamesischer Herkunft, erläutert die besondere Bedeutung vietnamesischer Musik für junge Migrantinnen und Migranten aus Vietnam. Vor allem in der ersten Zeit gibt ihnen die mitgebrachte Musik ein Gefühl von Zughörigkeit und Vertrautheit und hilft ihnen, sich ihrer Identität zu versichern. Darüber hinaus nutzen sie die Musik aber auch, um anderen ihr vietnamesisches Lebensgefühl und ein Stück ihrer Kultur zu vermitteln und so einen interkulturellen Dialog anzustoßen und sich in die Gesellschaft einzubringen. Wie Medien genutzt werden (müssen), um an gesellschaftlichen Angeboten und Vorgängen zu partizipieren, ist Gegenstand des dritten Schwerpunktbeitrags. Gesellschaftliche Partizipation wird auf drei Stufen beschrieben: erstens als interkultureller Austausch zwischen Gleichaltrigen. Diese „Partizipation im ‚Kleinen‘„ läuft besonders bei Heranwachsenden auch über – vor allem globalisierte – Medien(-angebote), die Gesprächsanlässe liefern und einen Austausch auf Augenhöhe ermöglichen. Als zweite Stufe, die erklommen werden muss, wird die „Organisation des privaten Alltags in der Gesellschaft“ beschrieben. Informationen über den örtlichen Nahverkehr, die Öffnungszeiten öffentlicher Einrichtungen, Veranstaltungshinweise et cetera lassen sich zwar auch auf anderen Wegen in Erfahrung bringen, weniger aufwändig ist es aber, dafür einen kurzen Blick ins Internet zu werfen. Um sich dort zurechtzufinden, ist es aber nötig – zumindest hierzulande – die Landessprache zu verstehen. Diese Hürde zu überwinden fällt vielen Menschen mit Migrationshintergrund schwer. Die dritte Stufe schließlich ist die „Partizipation an gesellschaftlichen Vorgängen“.

Hier spielen die digitalen Medien eine immer größere Rolle. Verschiedenen Untersuchungen lassen sich vorsichtige Hinweise darauf entnehmen, dass diese Entwicklung Menschen mit Migrationshintergrund neue Wege eröffnet. Partizipation mithilfe digitaler Medien ist auch das Thema des Artikels von Oliver Hinkelbein. Aus der Perspektive des „angewandten Ethnologen“, der das Projekt einerseits mitentwickelt hat, es andererseits auch durchführt, stellt er die Implementierung des Projektes Integration@Partizipation.NDS vor. Ziel dieses Projektes der Erwachsenenbildung ist es, Menschen mit Migrationshintergrund die notwendigen digitalen Kompetenzen zu vermitteln, die ihnen politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Partizipation ermöglichen. Den Abschluss des Schwerpunktthemas bildet ein Gespräch mit Tamer Ergün Yikici, Geschäftsführer des deutsch- und türkischsprachigen Radios Radyo Metropol FM. Vor zwölf Jahren hat er mit seinem Geschäftspartner das Radio für die deutschtürkische Community vor allem in Berlin gegründet, seither hat sich viel getan. Das Radio hat sich „mit der Zielgruppe entwickelt“. Das Ziel ist aber das Gleiche geblieben: Metropol FM will den Deutschtürken zeigen, dass sie hierher gehören und setzt dort an, wo diese Schwierigkeiten haben, sich mit der Gesellschaft zu identifizieren, lässt ihnen aber trotzdem ihre ‚emotionale Heimat‘. Unter dem Stichwort „Kultursensibilität“ macht er außerdem deutlich, wo die deutsche Gesellschaft im Hinblick auf ihre Migrantinnen und Migranten noch Nachholbedarf hat. Nun wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre, die ihnen hoffentlich Lust macht, sich auch weiterhin mit dem Thema zu beschäftigen.


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