Swenja Wütscher: nachgefragt Ida Pöttinger, Vorsitzende der GMK
30 Jahre GMK, 30 Jahre mit Medien, 30 Jahreüber Medien. Als bundesweiter Fachverband der Bildung, Kultur und Medien setzt sich die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) für die Förderung von Medienpädagogik und Medienkompetenz ein. Unter dem Motto „Kreativ und kritisch mit Medienleben – Medienkompetenz fördern“ bringt sie Interessierte aus Wissenschaft und Praxis zusammen, um für Information, Austausch und Transfer zu sorgen. Zum 30. Jahrestag ihres Bestehens hat Swenja Wütscher mit der Vorsitzenden, Dr. Ida Pöttinger, der Gesellschaft gesprochen.
merz: 30 Jahre gibt es ihn nun schon, den medienpädagogischen Dach- und Fachverband: die GMK, die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur – oder sollte ich besser sagen die Gesellschaft für Motoren und Kraftanlagen?
Pöttinger: Der Vergleich ist nicht so übel. Tatsächlich war es so, dass sich zunächst Leute aus der Wissenschaft, Forschung und Praxis zusammengetan haben, weil das Bedürfnis so groß war, sich selbst mit seinem Anliegen zu versichern. Die Gewissheit, dass Medienkompetenz ein wichtiger Bestandteil von Erziehung und Bildung ist und die Neugierde, wie andere Medienpädagogik umsetzen, machte die Vernetzung so wichtig. Der fachliche Austausch stand immer im Vordergrund. Mit Dieter Baacke, der unter anderem mit der Einführung des Begriffs Medienkompetenz dem Verein noch eine Richtung gab, entwickelte sich die GMK zu einem Motor für lebensweltorientierte Bildungs- und Erziehungsmodelle. Das jährliche mehrtägige Forum ist nach wie vor eine Kraftanlage, weil sich dort Praktiker und Studierende mit Menschen, die sie oft nur aus Büchern oder dem Internet kennen, austauschen, neue Ideen und gemeinsame Projekte entwickeln. Trotz der Diversität der Ansichten, ist die GMK aufgrund der regelmäßigen Teilnahme von Mitgliedern wie eine big family oder community. Das Vertrauen, dass im Prinzip alle an einem Strang ziehen, gibt Kraft.
merz: Mit der jährlichen Verleihung des Dieter Baacke Preises erinnert sich die GMK immer noch ihrer Wurzeln, ihres Gründungsvorsitzenden, des Urvaters der Medienkompetenz. Sind die Ziele von damals auch noch die Ziele von heute?
Pöttinger: Dieter Baacke unterteilte Medienkompetenz in vier Dimensionen: Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung. Untersucht man die Inhalte der Begriffe, so muss man feststellen, dass sie durchaus noch gelten. Aber man würde heute eher von einer Bewertungs- und Wissensdimension, Orientierungsfähigkeit und Handlungsdimension sprechen. Es geht bei der Herausbildungvon Medienkompetenz immer noch um Fähigkeiten und Fertigkeiten, die im Rahmen von handlungsorientierter Medienarbeit oder individualisierten Lernumgebungen erworben oder erweitert werden können. Es geht aber um mehr: Man muss die Mediatisierung aller Lebensbereiche begreifen. Im Übrigen: Definitionsstreitigkeiten spielen angesichts der notwendigen Vernetzung mit europäischen Partnern mittlerweile eine sekundäre Rolle.
merz: Die Gründung war im Orwellschen 1984, dessen Visionen heute aktueller zu sein scheinen als damals. Wo genau positioniert sich die GMK heute in dem Feld aus Kulturpessismus und -optimismus?
Pöttinger: Ein Überwachungsstaat oder ein Überwachungskonzern, wie bei Orwell beschrieben, stellt sich jetzt als Bedrohung der Freiheit dar. Zu Baackes Lebzeiten galt noch die Brecht’sche Forderung, dass der Empfänger zum Sender werden sollte, also vom Objekt zum selbstbestimmt handelnden Subjekt. Das hat sich augenscheinlich durch das Internet zum Positiven verändert. Ich sage augenscheinlich, denn es stellen sich neue Fragen: Wie schaffen es offene Gesellschaften, mithilfe des Netzes die Demokratie zu stärken? Werden die Menschen künftig vor allem getrieben von mächtigen Staaten und Konzernen, die das Netz dafür nutzen, Regeln zu brechen, Rechte zu beugen und so die Demokratie zu schwächen? Natürlich kann das Netz demokratische Beteiligung stärken, aber nur mit neuen Regeln und einer Ethik der Verantwortung. Genau mit diesen Themen muss sich die GMK beschäftigen im Großen (in der Politik) wie im Kleinen (in der Pädagogik). Deshalb geht es auf dem Forum 2015 um Kommunikationskulturen. Wären wir nicht Optimisten, müssten wir den Kampf für mehr Medienkompetenz aufgeben und eine Gegenbewegung starten. Richtig ist, dass die Medienpädagogik gerade aus der Individualisierungsecke wieder herauskommt und Themen wie Identitätsentwicklung in den Hintergrund treten zugunsten von Themen wie Manipulation durch Medien.
merz: Das Schlagwort Medienkompetenz taucht im aktuellen Koalitionsvertrag ganze 37 Mal auf. Welche Konsequenzen zieht die GMK daraus?
Pöttinger: Koalitionsvereinbarungen müssen sich in der Praxis bewähren und verlangen mitunter einen langen Atem. Auch verläuft die Entwicklung nicht immer gleichmäßig und kontinuierlich. Die Bestandsaufnahme, die wir 2013 für das BMFSFJ gemacht haben und die sich daraus ergebenden Forderungen, sehen eine Förderung von Medienbildung und Medienpädagogik entlang der gesamten Bildungskette vor. Sie sind aus unserer Sicht ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Darauf können wir mit unseren Partnern aus der Politik und aus anderen Institutionen aufbauen. In den einzelnen Bundesländern nehmen wir große Fortschritte wahr. Wichtig ist uns auch die enge Zusammenarbeit mit der Kampagne KBoM ( Keine Bildung ohne Medien), die sich eine Grundbildung Medien für alle pädagogischen Bereiche auf ihre Fahnen geschrieben hat.
merz: Im Alter von 30 Jahren endet heute oft erst die Phase der Pubertät. Damit hört der Spaß zwar nicht auf, aber es wird ernst. Was genau haben wir zu erwarten?
Pöttinger: Wenn pubertär ‚wild at heart‘ meint, dann kann es von uns aus nach 30 Jahren noch experimentell und offen weitergehen. Auch wenn zunehmend weitere Altersgruppen medienpädagogisch in den Blick kommen: Kinder, Jugendliche und Familien stehen im Zentrum unserer Arbeit. Diese Zielgruppen und neue Technologien fordern uns heraus und verlangen ständiges Umdenken und Prüfen, ob die Richtung noch stimmt. Wir wollen der Soundtrack sein und nicht nur die Begleitmusik.merz gratuliert der GMK ganz herzlich zum 30-jährigen Jubiläum, vielmehr aber noch der gesamten ‚big family‘, die diese Institution mit Leben befüllt.
Zurück