Tilmann P. Gangloff: Unheimliche Aufklärung im Internet
Früher war die Sache einfach: Pornofilme gab’s im Pornokino oder im Sexshop, und wer noch nicht 18 war, musste draußen bleiben. Wer heutzutage konsequent verhindern will, dass sich Minderjährige pornografische Filme ansehen, muss ihnen den Computer wegnehmen. Die Angaben schwanken zwar, aber mindestens sechzig Prozent der Jugendlichen ab 13 Jahren hat schon Erfahrung mit Internetpornografie gemacht. Jungs nutzen die einschlägigen Adressen deutlich häufiger als Mädchen, allerdings meistens im Kreis Gleichaltriger. Es wäre zwar übertrieben, von einer ‚Generation Porno‘ zu sprechen, weil laut einer Bravo-Studie nur acht Prozent der männlichen Heranwachsenden regelmäßig Pornos konsumieren; aber andererseits sind das eindeutig zu viele, um die Problematik zu bagatellisieren. Oftmals sind die Jugendlichen von purer Neugier getrieben, und sicherlich spielt auch die Hoffnung auf einen gewissen Lerneffekt eine Rolle. Nicht zu unterschätzen, sagen Sozialwissenschaftler, sei auch der Imageeffekt: Wer Pornos konsumiert, gilt als cool. Während Eltern ihren Kindern den Pornokonsum schon aus rein moralischen Gründen untersagen würden, warnen Psychologen vor möglicherweise weitreichenden Folgen. Je nach psychischem und sozialem Hintergrund der jungen Nutzerinnen und Nutzer könne „die mechanische, leistungsorientierte, herabwürdigende Sexualität in Pornos einen mehr oder weniger negativen Einfluss auf die Sexualentwicklung“ haben. Umso wichtiger ist es, mit Kindern und Jugendlichen über den Umgang mit Pornografie zu reden. Die Frage ist bloß, wie. In der Pädagogik trifft das Phänomen genau in eine Schnittstelle: Sexualpädagogen haben meist wenig Kenntnisse von Medienpädagogik; und umgekehrt.
Beiden kann jedoch geholfen werden: Im Rahmen der EUInitiative klicksafe hat das Landesmedienzentrum Baden-Württemberg in Kooperation mit pro familia Bayern den Baukasten Let’s talk about porno erarbeitet. Der Ansatz ist aufklärerisch, undogmatisch und wenig didaktisch; außerdem kommt das Material ohne moralische Vorbehalte aus. Die Texte lassen dennoch keinen Zweifel daran, dass man das Thema mit Jugendlichen behandeln muss: Damit das Weltbild, dass bei ihnen „hinsichtlich Sexualität und Geschlechterbeziehung entsteht, nicht von der Pornoindustrie geprägt wird.“ Das Arbeitsmaterial besteht aus vier Bausteinen. Pädagoginnen und Pädagogen müssen sich aber keineswegs mit Pornografie beschäftigen, um das Material zu nutzen; man kann ohne weiteres einzelne Projekte aus dem Zusammenhang herauslösen. In den Arbeitsaufgaben geht es zum Beispiel um die Sexualisierung von Sprache oder um Rollenklischees etwa in Rap-Songs. In anderen Projekten lernen gerade heranwachsende Mädchen, sich nicht allzu freizügig im Internet zu präsentieren oder sich gegen sexuelle ‚Anmache‘ im Internet zu wappnen. Bei jedem einzelnen Schritt wurde darauf geachtet, die Jugendlichen immer mit einzubeziehen, ohne dass sie intime Details preisgeben müssen.Nicht nur aus juristischen Gründen ist der Gegenstand des Baukastens pikant, schließlich sind pornografische Darbietungen nicht jugendfrei. Zwölfjährigen wiederum ist Sexualität tendenziell eher peinlich; konfrontiert werden sie trotzdem damit. Wie klug das Material konzipiert ist, zeigen schon allein die ausführlichen Vorbemerkungen, in denen den pädagogischen Fachkräften unter anderem geraten wird, sich mit Hilfe einer Selbsterkundung erst mal über die eigene Einstellung zum Thema klar zu werden. Ganz zu schweigen von der unvermeidbaren Recherche: Wer über Pornografie im Internet sprechen will, kommt nicht umhin, die entsprechenden Websites aufzusuchen. Außerdem gibt es ebenso plausible wie praktische Tipps für die Arbeit etwa im Unterricht.Mit den Arbeitsmaterialien Let’s talk about porno für Schule und Jugendarbeit können Pädagoginnen und Pädagogen das Thema Pornografie behandeln. Die 134 Seiten umfassende Broschüre kann unter www.klicksafe.de abgerufen werden. Für 3 € Schutzgebühr wird sie auch zugesandt. Das Material enthält vier Bausteine, jeweils mit mehreren Projekten. Dabei geht es etwa um Pubertät, Schönheitsideale, Castingshows, sexualisierte Kommunikation und konkret um Pornografie. Jedes Kapitel enthält nicht nur ausführliche Sachinformationen, sondern auch ergänzende Übersichten mit Lektüretipps und Internetadressen von Institutionen, die bei Bedarf weiterhelfen.
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