Ulrike Wager: Medienhandeln findet in kommerzialisierten Umgebungen statt
Die Kritik an privatwirtschaftlich organisierten Medien bildet seit jeher einen Hauptaspekt, wenn es darum geht, Bürger und Bürgerinnen zu einer Reflexion darüber anzuregen, wie sie mit Medien umgehen. Dementsprechend ist eine wesentliche Dimension in den handlungsorientierten Modellen der Medienkompetenzförderung die Forcierung der Fähigkeiten zur Medienkritik. Dieses Hinter-die-Kulissen-blicken umfasst unter anderem auch das Durchschauen kommerzieller Strukturen von Medien und ihren Anbietern. Nun sind Teilbereiche des Themas Kommerzialisierung der Medienwelt nicht neu, die wissenschaftliche und pädagogisch-praktische Auseinandersetzung mit Kindern und Werbung gehört zu den recht gut erforschten Gebieten in der Mediensozialisationsforschung. Andere Phänomene, wie zum Beispiel junge Erwachsene als Unternehmer, die mittels You-Tube Geld verdienen, sind hingegen relativ neu.
Die aktuelle Ausgabe von merz macht sich mit dem Schwerpunktthema Jugend – Medien – Kommerzialisierung auf die Suche nach Handlungsoptionen für die Medienpädagogik und wirft einen Blick auf aktuelle Herausforderungen. Das Handeln mit Medien war schon immer ein komplexer Prozess der Auseinandersetzung des Subjekts mit medialen Gegebenheiten. Aktuell ist es aber weit mehr die Auseinandersetzung des Subjekts in seiner lebensweltlichen Verankerung mit Medieninhalten und -geräten. Gerade mit der Etablierung mediatisierter Kommunikations- und Interaktionsstrukturen ist dieses Verhältnis von Subjekt und Medienwelt wesentlich komplexer geworden. Menschen eignen sich mediale Geräte und Strukturen an, um sich zu anderen in Beziehung zu setzen und sich selbst zu präsentieren. Sie nutzen dafür vor allem Soziale Netzwerkdienste oder Messenger auf mobilen wie stationären Endgeräten. Dabei sind auf Seiten der Medien neue Akteure auf den Plan getreten, deren Interessen auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sind: Besonders deutlich wird dies am Beispiel von Telekommunikationsunternehmen, die uns Telefonverträge und Geräte verkaufen, von Anbietern sozialer Netzwerkdienste, die uns Zugang zu unseren mediatisierten Beziehungsgefügen allerorts und zu jeder Zeit gewähren, oder auch von Spieleanbietern, die für uns umfassende Spielewelten arrangieren.
Gemeinsam ist all diesen Medienaktivitäten, die das Subjekt realisieren kann, dass sie sofort mit den sozialen Beziehungen der Handelnden verknüpft werden können: Sich selbst mit mehr oder weniger interessanten Inhalten zu präsentieren und sie mit anderen jederzeit und allerorts teilen zu können ist (zumindest für die Jüngeren) ein integrierter Bestandteil des Medienhandelns. In Bezug auf Prozesse der Kommerzialisierung des Mediensystems geht es also nicht mehr nur um das Anpreisen von Waren über spezifische Werbeformen in den Medien. Unser Medienhandeln findet insgesamt viel mehr als früher in kommerzialisierten Umgebungen statt und gerät gleichzeitig immer häufiger unter Beobachtung und wird von verschiedenen Akteuren, die wirtschaftliche und/oder politische Interessen verfolgen, ausgewertet. In den (Post-)Industriestaaten eint uns die Erkenntnis, dass wir die (medialen) Strukturen, in denen wir handeln, nicht mehr völlig durchblicken und sie sich zunehmend unserer Kontrolle entziehen. Erwachsene wie Heranwachsende stehen teilweise ohnmächtig vor diesem Problem, sie ignorieren es oder sie finden sich mit der Tatsache ab, gesellschaftliche wie mediale Verhältnisse so zu akzeptieren wie sie sind und gar nicht mehr zu hinterfragen. Für die Medienpädagogik bedeutet dies eine kontinuierliche Reflexion ihrer Ansätze und auch ihrer wissenschaftlichen Grundlagen. Das vorliegende merz-Heft will dazu einen Beitrag leisten. Verschiedene Teilbereiche von Kommerzialisierung werden im Themenschwerpunkt diskutiert:
Dimensionen von Kommerzialisierung und Ökonomisierung
Eine Systematisierung der Phänomene leistet Wolfgang Reißmann als Einführung in das Schwerpunktthema: Um den Themenkomplex der kritischen wissenschaftlichen Analyse zuzuführen schlägt er eine Dreiteilung des Komplexes vor:- die Perspektive auf die Subjekte als (potenzielle) Konsumentinnen und Konsumenten, denen über die Medien traditionell Waren angeboten werden und die sich dazu positionieren müssen- die Perspektive auf die Kommerzialisierung von mediatisierten Kommunikations- und Interaktionsformen und die dahinterliegenden Auswertungsstrategien verschiedener Akteurinnen und Akteure sowie- die Perspektive auf eine grundlegende Ökonomisierung der Handlungsformen von Menschen, die immer stärker an zweckrationalen und gewinnorientierten Zielen orientiert werden
Heranwachsen mit Werbung
Im nächsten Teil wird ein klassischer Bereich herausgegriffen, das Thema Kinder und Werbung im Fernsehen. Ein Teil der Mediensozialisationsforschung widmet sich schon seit langem diesem Themenfeld, woraus als eine Konsequenz Qualitätskriterien für ‚gute‘ Medieninhalte entwickelt wurden. Eines dieser Kriterien zielt darauf, Kindern werbefreie Räume zu bieten bzw. Werbung so zu gestalten, dass sie vom redaktionellen Programm einfach zu unterscheiden ist. Das heißt, die Beschäftigung mit guten, qualitätsvollen Medien für Kinder umfasst immer auch einen zumindest reflektierenden Blick auf Werbung in kinderrelevanten Medien. Michael Gurt, verantwortlicher Redakteur des FLIMMO, hat ein Gespräch mit Birgit Guth, Leiterin der Medienforschung bei SuperRTL, und Margrit Lenssen, stoffführende Redakteurin der Redaktion Löwenzahn des ZDF, geführt. Diskutiert wurden dabei aktuelle Herausforderungen für ein qualitätsvolles Kinderprogramm, die Einkauf- und Vermarktungsstrategien der Fernsehanbieter und Vermarktungsgesellschaften. Ein Schwerpunkt lag auch darauf, einen Blick auf die Phänomene der Medienkonvergenz und ihre Auswirkungen auf den Medienumgang der Kinder zu werfen: So wird die Online-Strategie bei der Entwicklung neuer Formate für die Zielgruppe Kinder immer von vorneherein mitgedacht. Schwierigkeiten sehen beide Gesprächspartnerinnen darin, mit den aktuellen Entwicklungen im Bereich mobiler Endgeräte Schritt zu halten.
Jugend als Unternehmen
Dass ein Bewusstsein über das ‚unternehmerische Selbst‘ auch bei jungen Erwachsenen inzwischen angekommen ist, zeigt sich im Phänomen ‚YouTube-Stars‘ und deren Geschäftsmodelle. Nicola Döring gibt einen Überblick über die Strukturen, in denen die zumeist jungen Erwachsenen semiprofessionell bis professionell agieren und sie erläutert die Geschäftsmodelle, die diesem Handeln zugrunde liegen. Gekennzeichnet ist dieses Handeln von zunehmender Professionalisierung und den Erwartungen daran, dass mit gut gemachten Kanälen auf Videoportalen Geld zu verdienen ist.
Online-Werbung und neue Geschäftsmodelle
Daran anschließend wird ein relativ neuer Bereich für die Zielgruppe Jugendliche und Kinder in den Blick genommen, und zwar die Erscheinungsformen von Online-Werbung und Geschäftsmodellen im Internet. Anne Schulze ist an einem Forschungsprojekt des Hans-Bredwow-Instituts beteiligt, das Online-Werbung aus der Perspektive von Kindern rekonstruiert. In einem Interview bietet sie einen Einblick in das Vorhaben. Sie sieht als eine der größten Herausforderung im Umgang mit Online-Werbung, dass Kinder grundsätzlich im Internet anders gefordert sind, Inhalte einzuschätzen und sich zu orientieren. Gerade in Bezug auf neue Werbeformen (z. B. personalisierte Werbung) stellen sich hier dann auch neue Anforderungen an die Ausbildung von Fähigkeiten zur Einschätzung dieser Formate. Für Jugendliche ist zu konstatieren, dass sie zwar über die Werbeformen Bescheid wissen, jedoch von den Geschäftsmodellen der Anbieter nur wenig Ahnung haben. Auffällig ist zudem, dass die Strukturen, in denen sich Jugendliche gerne und ausgiebig bewegen, als kommerzialisierte Handlungsstrukturen von ihnen wenig hinterfragt und zumeist hingenommen werden. Die JFF-Studie, die Niels Brüggen und Mareike Schemmerling vorstellen, zeigt, dass es über handlungsorientierte Methoden sehr wohl gelingen kann, bei den Jugendlichen ‚Aha-Effekte‘ zu erzeugen und sie zur Reflexion anzuregen. Sie sind dann als aussichtsreich einzuschätzen, wenn sie an den Handlungserfahrungen der Jugendlichen ansetzen, dieses Handeln und damit verbundene Auswertungsprozesse sichtbar machen und den Austausch unter Jugendlichen anregen. Über alle Beiträge hinweg wird deutlich, dass die Medienpädagogik in ihrer Weiterentwicklung gefordert ist.
Herkömmliche Konzepte und Modelle, die eine Reflexion über das Mediensystem anregen sollen, greifen mit Blick auf aktuelle Phänomene zumeist zu kurz. Umso größere Bedeutung erlangen Ansätze, die von Seiten der Wissenschaft kritische Herangehensweisen einfordern und die für die pädagogische Praxis die Weiterentwicklung und Erprobung von Methoden forcieren. Notwendig ist gleichzeitig eine Analyse der Strukturbedingungen für mediales Handeln.
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