2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen
thema
Hans-Dieter Kübler: Mediale Universalität
Ausgehend von Walter Benjamins „Flaneur“ als personalem Paradigma der modernen Epoche werden Medientheorien beleuchtet, die das Produkt oder dessen Rezeption zu alleinigen Bezugspunkten der Reflexion über die Medien machen.
(merz 2000-05, S. 279-289)
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor: Hans-Dieter Kübler
Beitrag als PDFEinzelansichtManfred Fassler: Erzählungen - rund um die Welt
Texte generieren sich nicht mehr durch den Markt des Bedeutungsvollen, sondern erreichen ihre Aufmerksamkeit im freien virtuellen Feld.
Die Vernachlässigung des Bildlichen wurde durch die Medienevolution beseitigt.
(merz 2000-05, S. 290-300)
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor: Manfred Fassler
Beitrag als PDFEinzelansichtIda Pöttinger: Wieviel Körper braucht der Mensch?
Entwicklung und Gebrauch unseres Körpers scheinen sich im Zeitalter von Internet und Cyberspace drastische verändert zu haben.
Ein Appell an die Medienpädagogik, Körperlichkeit und Sinnlichkeit verstärkt zu reflektieren.
(merz 2000-05, S. 301-305)
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor: Ida Pöttinger
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medienreport
Erwin Schaar: B-Science im B-Movie
Magisches KinoDie Existenz des Kinos ist untrennbar mit Effekten verbunden, die damit auch die Ingredienz der Lichtspiele sind: Verzauberung der Zusehenden durch die Vorgabe von Identifikationsmöglichkeiten oder durch die technischen Eigenarten des Mediums bei der Verwandlung der Wirklichkeit. Wie die Erzähler von Helden- und Schauermärchen mit pathetischer oder mit spannungsvoller Stimme agieren, haben die Bilderzähler vergleichbarer Stories ein ihrem Metier adäquates Timing und einen Blickwinkel zu finden, der Menschen schaudern macht oder in Gefühlen versinken lässt. Dass der Film körperlich Unwirkliches geschehen machen kann, hat mit Zauberei zu tun. So wie jeder weiß, dass die Tricks des Magiers erklärbar sind, weiss jeder, dass Filmtricks keine ungewöhnlichen Voraussetzungen haben. Aber das Ergebnis jeglicher Zauberei setzt phnatastiegeneigte Kräfte in uns frei, die nach der Unwahrscheinlichkeit der Tricks gieren, und sei es nur, dass man sich die Ausführung nicht erklären kann. Davon leben die Zauberer auf der Bühne und im Film.Brachten zu Anfangszeiten des Films die Gebrüder Lumière Bilder von fernen Ereignissen und nahen Begebenheiten in den dunklen Saal, meldete sich zugleich der Magier, das Genie Méliès mit seinen Trickfilmen, die unwahrscheinliche Verwandlungen in kurzer Zeit bewerkstelligten.
Nicht anders als ein Méliès arbeitet heute ein Paul Verhoeven, wenn er nach dem modernsten Stand der Dinge mit elektronischen Tricks zaubert und uns unsichtbare Lebewesen in ungewöhnlichen Situationen vorführt.Ein amerikanischer EuropäerBei der fast schon kindlichen Art, eine Filmgeschichte von den aus dem sichtbaren Bereich verschwundenen Lebewesen als eine Actionstory zu erzählen, die dann krud mit den Figuren verfährt, darf es nicht verwundern, wenn die sogenannte seriöse amerikanische Presse, die intellektuell europäischer urteilt als Europäer, dem geborenen Holländer Verhoeven die Aneignung der Stilmittel amerikanischer Volks(film)kultur verübelt und diesen Film verreißt. Während das Blatt des Showbiz, „Variety“, durchaus die Stärken dieses auch philosophisch deutbaren Spektakels zu erkennen fähig ist. Und, aufgepasst, auch die Filmfreaks des Locarneser Filmfestivals wussten dieses Jahr den Trivialfilmer Verhoeven für sein Gesamtwerk(!) mit dem Ehrenleoparden zu würdigen.
Eine seltsame Kluft zwischen den schlechten Kritiken, die diesem Meister des Actionsfilms, Thrillers, Sci-Fis, des erotischen Dramoletts ausgestellt werden und der Achtung, die diesem skandalös inszenierenden Altmeister von den Cinephilen entgegenschlägt. Wurde sein Film „Show-Girl“ doch 1996 in den USA gar als der schlechteste Film des Jahres ‘ausgezeichnet’, wobei natürlich die üblichen visuellen Abfallprodukte der Trash-Szene gar nicht bis zur Minus-Wertung gelangen.Existenz und VernichtungWenn den diversen Interviews mit Paul Verhoeven zu glauben ist, dann möchte er als eine Grundaussage in seinen Filmgeschichten vermitteln, dass Menschen an sich nicht gut sind, sondern erst die sozialen Kontakte sie unter Umständen dazu machen. Und dann ist da die Macht und deren Strukturen, denen er auf die Schliche kommen will. Es mögen solche Problemstellungen zwar eher philosophisch angegangen werden, andererseits sind sie die Bestandteile jeder großen und kleinen Dichtung, Vorlagen für jegliche Art von Show-Wertigkeit. Also kann es nur die Machart des Spektakels sein, die uns diese Basisprobleme jedes Menschseins anrührend/fesselnd und damit in ästhetisch anzuerkennender Weise vermittelt. Meist ist es eh nur der kurzzeitige Thrill der Geschichte, der uns gefangen hält, ohne Anspruch auf Läuterung natürlich, denn da würden wir in unserem Zeitalter der Bilderfluten ganz schön hin und her gerüttelt, wenn moralische Kräfte wirksam werden sollten.
Verhoevens Filmstory - die Grundlage liefert der Autor Andrew. W. Marlowe, der auch für „End of Days“ und „Air Force One“ verantwortlich zeichnete - ist spannend und daher hervorragend inszeniert und geschnitten, wobei Jost Vacano wie gewohnt ein glänzender Kameramann ist. Der Filmbeginn ist auch ein solcher, weil wir geschockt in die Geschichte hineingezogen werden und schon in den ersten Minuten das erleben, was die Story uns erzählen will: Die Geschichte von dem Unsichtbarmachen von Lebewesen. Hier im Wortsinn exekutiert an einer Ratte. Denn dem Futurology-Spezialisten Sebastian Caine, für Regierung und Militär forschend, ist es gelungen, ein Elexier zu entwickeln, das den Körper von Lebewesen unsichtbar macht, ihn aber greifbar im Raum lässt. Bisher im Extrem nur an so großen Tieren wie Gorillas erprobt, möchte Caine das Serum auch in einem Selbstversuch testen. Aber seine Rematerialisierung misslingt, muss auf halber Distanz abgebrochen und rückgängig gemacht werden und diese Unsichtbarkeit macht den frustrierten Wissenschaftler zu einem Einzelgänger und zunehmend asozialen Wesen, der/ das gegen Kollegen und Mitmenschen wütet und seine ehemalige Freundin und Kollegin Linda und deren jetzigen Partner Matthew schon wegen der von Linda nicht mehr erwiderten Liebe zu Gegnern erklärt. Dem können beide in einem quälend breit ausgespielten und wie in einem altmodischen B-Movie inszenierten Show-down entkommen.
Die hypertroph gewordene ‘Laborratte’ wird vernichtet.Körper und MoralDie Unwahrscheinlichkeit von Science Fiction-Geschichten und die uralte Reflexion über moralisches Verhalten und das emotionale Mitgehen des Zusehers - eine Konstellation, der Zukunft habhaft zu werden und uns der ewigen Polaritäten gut und Böse zu vergewissern: eine schöne Kinovorlage. Und die Unsichtbarkeit des Körpers ins Spiel zu bringen, da muss nicht erst an die Tarnkappe der deutschen und nordischen Sagenwelt erinnert werden, die den Träger unsichtbar macht und diesen Zustand für das Verschwinden der Mitmenschlichkeit mitschuldig erklärt. Der Körper wird zur sichtbaren Seele des Menschen und wir erfreuen uns, wenn die Körper regeneriert werden und können den Zusammenbruch des Experiments nur als Fiasko ausdenken. Schließlich ist ja auch Jesus körperlich in den Himmel aufgefahren und Maria folgte ihm leiblich nach.Genug der Spekulationen und Assoziationen, aber das sind die Momemente, die dem Film die erzählerische Kraft verleihen, neben den wirklich exorbitanten special effects, die uns den Aufbau des menschlichen und tierischen Körpers wie in einem belebten Medizinbuch nahebringen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den phänomenalen Erfolg der Ausstellung „Körperwelten“, in der die Plastinationen des Anatomen Gunther von Hagens in Kunsthallen (!) Deutschlands gezeigt wurden.
Wer es als naiv erachtet, Filme wie Verhoevens „Hollow Man“ zu goutieren, dem sei ein Interview mit dem amerikanischen Physiker Michio Kaku (Autor von „Hyperspace“ und „Zukunftsvisionen“) empfohlen, das DER SPIEGEL in seiner Nummer 35/2000 veröffentlichte: „Eine Welt wie im Disney-Film“. Kaku meinte unter vielem anderen: „Innerhalb der nächsten 100 Jahre werden wir jeden Teil unseres Körpers biologisch ersetzen können...ich glaube, die Biotechnologie wird es uns ermöglichen, das Altern zu besiegen“.Damit wir uns recht verstehen: „Hollow Man“ ist nicht Kunstkino, aber ein glänzend inszenierter, unterhaltsamer Film des trivialen Kinos.
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor: Erwin Schaar
Beitrag als PDFEinzelansichtTilmann P. Gangloff: Bei den Gesetzen blickt keiner mehr durch
Immer mehr InstitutionenIn den letzten zwei Jahrzehnten hat das Medienangebot sprunghaft zugenommen. Die Gesetzgebung hat Schritt gehalten. Kino, Fernsehen, Video, Internet: Für alle Bereiche wurde der Jugendschutz gesetzlich verankert. Allerdings wurden nicht etwa bereits bestehende Gesetze um Richtlinien für das jeweils neue Medium erweitert; es gab jedesmal ein neues Regelwerk sowie eine eigene Instanz der Selbst- oder Fremdkontrolle. Die laufende Entwicklung neuer Medien, kritisieren Jugendschützer, habe in den letzten 25 Jahren „zu einer verwirrenden Fülle an Medienkontrollinstitutionen“ geführt. Sie fordern daher einhellig eine „Kehrtwende“ bei der Medienkontrolle.Ein Reformpapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (BAJ), das eine Bündelung der Gesetze und Kontrolleinrichtungen vorsieht, stößt in der Branche weitgehend auf Zustimmung. Allerdings liegen zwischen Theorie und Praxis Welten: Eine konsequente Reform würde zwangsläufig dazu führen, dass einige der Institutionen Kompetenzen abgeben müssten; „und welche Behörde“, kommentiert ein Jugendschützer sarkastisch, „löst sich schon gern selber auf“.Hans-Dieter Drewitz formuliert es eleganter: „Man kann ein Hoheitsrecht nicht beliebig an Dritte abgeben“. Was der Referent in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei und Vorsitzender der Rundfunkreferenten damit meint: Die deutsche Medienwelt lässt sich nicht zentral beaufsichtigen, weil zum Beispiel Rundfunk Ländersache ist. Die naheliegendste Lösung - eine Medienanstalt, die für sämtliche Bereiche zuständig ist - lässt sich kaum ins Leben rufen, weil sich dezentrale Einrichtungen wie die Landesmedienanstalten mit allen Mitteln gegen eine Beschneidung ihrer Kompetenzen wehren werden. Trotzdem hält auch Drewitz die derzeitige Situation für einen „unbefriedigenden Anachronismus“.
Eine Bündelung bei den Gesetzen sei überfällig; „man muss nur sehen, das man sinnvoll und schlagkräftig bündelt“.Unklare ZuständigkeitenJoachim von Gottberg, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), hätte da einen Vorschlag: Den Obersten Landesjugendbehörden (OLJB), schon jetzt bei Kino- und Videofilmen die maßgebliche Instanz, soll die Aufgabe übertragen werden, die Einhaltung eines „Gesetzes zum Schutz der Jugend in den Medien“ zu überwachen. Darin sollten die Jugendschutzbestimmungen für alle Medien zusammengefasst und aufeinander abgestimmt werden. Die OLJB sollten zudem ermächtigt werden, „für ihre Prüfaufgaben Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle zu nutzen“. Würden diese den zulässigen Spielraum überschreiten, könnten die OLJB die Prüfergebnisse durch eigene ersetzen.Von Gottbergs Vorschlag hat einen Hintergedanken: Erst kürzlich ist die FSF mit dem öffentlichen Eingeständnis, in eine existenzielle Krise geraten zu sein, in die Offensive gegangen. Die FSF wurde 1993 gegründet, um Programmbeiträge von Privatsendern wie RTL, Pro Sieben oder Sat 1 vor der Ausstrahlung im Hinblick auf die Jugendschutzbestimmungen zu begutachten. Auch hier scheitert die Theorie an der Praxis. Von Gottberg: „Lehnt die FSF die Ausstrahlung eines Films ab, muss sich der Sender daran halten; trotz einer Freigabe können aber die Landesmedienanstalten den Film erneut prüfen und anders entscheiden. Bei dieser Doppelprüfung haben die Sender keine Planungssicherheit“. Nicht zuletzt deshalb haben die Sender der FSF in der Vergangenheit gerade TV-Movies nicht vorgelegt. Filme wie „Die heilige Hure“ (RTL) wurden dann nach der Ausstrahlung von den Landesmedienanstalten beanstandet. Auch diesen zweiten Schwachpunkt der FSF - es gibt keine direkte Vorlagepflicht - möchte von Gottberg beseitigt wissen; zur Zeit liegt es im Ermessen der Sender, was sie für jugendschutzrelevant halten.Umstrittene SelbstkontrolleDie Änderung des Rundfunkstaatsvertrages brachte eine weitere Schwächung der FSF mit sich: Die Freigabe indizierter Filme, vorher Aufgabe der FSF, obliegt nun den Jugendschutzbeauftragten der Landesmedienanstalten. Befürworter der FSF kritisieren diese Änderung, weil sie zwangsläufig zu einer Konkurrenzsituation zwischen FSF und Landesmedienanstalten geführt habe.
Ein Jugendmedienschützer: „Den Landesmedienanstalten bleibt gar keine andere Wahl; sie müssen vermitteln, sie seien die besseren Jugendschützer, und zu strengeren Ergebnissen kommen“.Wolf-Dieter Ring, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der Gemeinsamen Stelle Jugendschutz und Programm, verteidigt die Position der Landesmedienanstalten natürlich. Seine grundsätzliche Kritik an der FSF: „Selbstkontrolle stößt immer dann an ihre Grenzen, wenn die Interessen der Unternehmen, in diesem Fall also der Fernsehsender, in wesentlichen Punkten betroffen sind.“ In der Praxis habe die FSF gerade bei der Freigabe indizierter Filme sowie bei den TV-Movies „einige Defizite“. Ring geht zwar auch davon aus, dass „die Frage der Selbstkontrolle künftig eine große Rolle spielen“ werde; er hält es jedoch für eine „Illusion zu glauben, mit Selbstkontrolle könne man alles regeln“.Trotzdem plädiert Drewitz für ein „eigenverantwortliches Vorverfahren durch Selbstkontrolleinrichtungen plus Missbrauchskontrolle“. Um die Kompetenzfrage eindeutig zu regeln, denkt Joachim von Gottberg daher an gemeinsame Prüfungen von FSF und FSK. Die Freigabeverfahren und die Prüfkriterien beider Einrichtungen seien ohnehin aufeinander abgestimmt. Integriert werden solle außerdem die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS); sie ist die Instanz, die Filme, Tonträger, Computerspiele etcetera auf den Index setzt.Auch Folker Hönge, ständiger Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), hält „eine stärkere Zusammenfassung der Institutionen für den Jugendschutz für sinnvoll“.
Gerade im Zuge der Europäisierung des Medienmarktes sollten „Strukturen geschaffen werden, die dem zukünftigen europäischen Medienangebot gerecht werden“. Und dafür, glaubt von Gottberg, sei die Selbstkontrolle am besten geeignet. Sie könne viel mehr leisten, als ihr bislang zugebilligt worden sei, doch sie benötige einen vernünftigen gesetzlichen Rahmen; „ohne den ist sie tot, und das wäre für den Jugendschutz ein Desaster“.
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor: Tilmann P. Gangloff
Beitrag als PDFEinzelansichtTilmann P. Gangloff: Detaillierte Analyse belegt: „Big Brother“ war inszeniert
Trotz der für RTL 2 beachtlichen Einschaltquoten: Wer von Zlatko & Co. nicht gerade hingerissen war, empfand den täglichen Zusammenschnitt von „Big Brother“ als langweilig. Eine kleine Verschiebung der Perspektive allerdings genügte bereits, um auch werktags von „Big Brother“ fasziniert zu sein. Für die erste Staffel kommt das Buch „Im Auge der Kamera“ naturgemäß zu spät, doch anhand der zweiten, die am 16. September startete, kann man die Erkenntnisse überprüfen. Die Autoren ziehen zwar nicht in Zweifel, dass die Teilnehmer des Projekts spontan gehandelt haben, doch die detaillierte Analyse der Folgen belegt, wie sehr „Big Brother“-Produzent Endemol die Sendung inszeniert hat.
Die Passagen, in denen Lothar Mikos und seine Mitarbeiterinnen „Big Brother“ in seine syntaktischen Bestandteile zerlegen, sind die eindrucksvollsten des Buches.Zunächst aber ist wissenschaftliches Schwarzbrot angesagt: Bevor man als Leser die Erkenntnisse der Forschung mit den eigenen Beobachtungen vergleichen kann, wird das Fernsehformat begrifflich eingekreist. Immerhin ist die Beschreibung der „verhaltensorientierten Spielshow“ als Konglomerat verschiedener Fernsehformate (Soap, Talk, Turniershow) lehrreich und plausibel. Nützlich ist auch die Bestandsaufnahme des Einbruchs der Realität ins Fernsehen: weil sich spätestens seit den „Docu-Soaps“ immer mehr Unterhaltungsformate am Leben der Zuschauer orientieren. „Big Brother“ als Selbstdarstellung im Alltag ist für die Autoren daher „performatives Realitätsfernsehen“. Die Zunahme „intimer Formate“ - Talkshows, Gerichtsshows, Docu-Soaps - werten sie als Indiz für die Demokratisierung des Fernsehen.Entscheidend für die Empfehlung dieses Buches aber sind jene Passagen, die sich ausschließlich „Big Brother“ widmen.
Wegen seiner komplexen Regeln und der Inszenierungsstrategie, so die Autoren, bilde das Format keineswegs Alltag ab; es entspreche vielmehr einer „verdichteten, dramatisierten Form der Alltagserzählung“. Belegt wird dies mit der Analyse ganzer Sequenzen: Nicht nur das Leben im Container wurde mit Hilfe von Montage inszeniert, sondern auch die Personen. Sie wurden zu Figuren, etwa mit Hilfe von Weichzeichner oder durch die Beschränkung auf Großaufnahmen.Abgerundet werden die Erkenntnisse durch eine Analyse der Popularität von Teilnehmer Zlatko sowie eine Auswertung der Berichterstattung („Medienhystorie“). Kritisch sollte angemerkt werden, dass sich das Buch zu oft vom eigentlichen Betrachtungsgegenstand entfernt. Und die Qualität der Fotos ist schlicht indiskutabel.
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor: Tilmann P. Gangloff
Beitrag als PDFEinzelansichtFriederike Siller: Chicks at Speed: Mädchen im World Wide Web
Das World Wide Web bietet Jugendlichen ein vielseitiges und breitgefächertes Forum, dessen Informationsangebot jede andere Kommunikationsform an Reichhaltigkeit, Schnelligkeit und Reichweite übertrifft. Während Pädagogen über die Wertigkeit von Primär- und Sekundärerfahrungen, dem Lernen aus erster oder zweiter Hand streiten, setzen Kinder und Jugendliche unbekümmert auf den Computer als Werkzeug zur Konstruktion ihrer Lebenswelt. Die Mehrzahl aller Jugendlichen in den USA arbeiten am Personal Computer (61 %) und sehen Video- und Computerspiele als das begeisterungsfähigste Hobby an (60 %).1
Am Beispiel jugendlicher amerikanischer Mädchen sollen hier Strukturen der Internetnutzung durch Jugendliche transparent gemacht werden: Welchen Herausforderungen, Inanspruchnahmen und Entfremdungen begegnen die jungen weiblichen Nutzerinnen des Internet? Inwiefern nutzen sie es und inwiefern werden sie von ihm benutzt? Im Rahmen einer Mitarbeit beim Center for Media Education, Washington, DC, analysierte die Autorin das Onlineangebot für Mädchen in den USA. Die Ergebnisse dieser Studie können die pädagogische Diskussion um Schlüsselbegriffe wie Mediensozialisation und -kompetenz beleben. Da die Untersuchung in den USA durchgeführt wurde, werden nachfolgend ausschließlich englischsprachige Internetseiten herangezogen.
Geschlechtsspezifische Online-Sozialisation
Die Prägung eines Individuums hinsichtlich der gesellschaftlich vorgegebenen Geschlechterordnung sowie den Erwartungen an das, was gewöhnlich unter „weiblich“ und „männlich“ verstanden wird, hat im Rahmen der geschlechtsspezifischen Sozialisationsforschung ihren wissenschaftstheoretischen Standort. Die Geschlechter werden in der Regel als Kategorien vorgestellt, denen jedes Individuum nach seinem biologischen Geschlecht zugeordnet wird. Kindliche Identitätsfindung vollzieht sich jedoch nicht nur über die bloße Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, sondern entwickelt sich insbesondere durch die gesellschaftlichen Anforderungen an das jeweilige Geschlecht. Marita Kampshoff bezeichnet deshalb die Geschlechtszugehörigkeit als „eine der ersten identitätsstiftenden Kategorien“2, die grundlegend für die Entwicklung der Ich-Identität sind.Entgegen der überkommenen Auffassung, dass die Geschlechter in polaren Begriffen als anthropologische Konstante zu fassen seien, werden heute die Geschlechterverhältnisse zunehmend als Produkte sozialer Konstruktionsprozesse gedeutet, die in Symbolisierungen, Chiffren und Rollenzuweisungen abgesichert und reproduziert werden. Daraus ergibt sich, dass die Geschlechtsidentität keine starre, unverbindliche Vorgegebenheit sein kann, sondern in einem ständigen Wandel begriffen ist. „Das heißt, auf dem Wege der Wahl in der Darstellung geschlechtstypischer Verhaltensweisen vermittelt die Person aktiv gestaltend zwischen ihrer als gegeben empfundenen Geschlechtszugehörigkeit und den kulturellen Vorstellungen über das Wesen und die Eigenschaften der Geschlechter. So gesehen ist gelebte Geschlechtsidentität immer eine Komposition aus weiblichen und männlichen Anteilen, die nicht ein- für allemal festgeschrieben sind, sondern situationsspezifisch abgerufen werden können“.3
Mit der unreflektierten Reproduktion der Geschlechterverhältnisse in unserer Gesellschaft können sich insbesondere für Kinder und Jugendliche enorme Probleme ergeben: Viele Rollenerwartungen werden lediglich aufgrund ihres zugrundeliegenden biologischen Geschlechtes an sie herangetragen, und können alternative Verhaltensoptionen für diese erschweren. Diese Anforderungen zu durchbrechen erfordert viel Kraft und ein großes Durchsetzungsvermögen. Daher müssen sich insbesondere Pädagogen die Frage stellen, wie es gelingen kann, dieser unreflektierten Reproduktion der Geschlechterverhältnisse entgegenzuwirken. Einige sozialkonstruktivistische Theorieansätze in der Geschlechterforschung versuchen den Weg der Dekonstruktion der geschlechtlichen Verhältnisse, oder mit Marianne Horstkemper zu sprechen, der „Ent-Dramatisierung der Geschlechterdifferenz“: Die Konstruktionsmechanismen geschlechtsspezifischer Identität sollen aufgedeckt, in ihren Strukturen in Frage gestellt, unterhöhlt und unterlaufen werden.In Bezug auf die Neuen Medien gilt das Motto: Alles ist möglich und kann online neu erfunden werden. In dem Medium Internet vereinen sich sämtliche Kennzeichen postmoderner Kultur: Digitale Medien lassen die hergebrachten Regeln und Normen hinter sich. Die Menge, Unregulierbarkeit, Übertragungsgeschwindigkeit, Reichweite und Struktur ihrer Informationen übersteigt alles Dagewesene. Alle 24 Sekunden geht eine neue Webseite online. Im Jahre 2002 werden 16,6 Millionen amerikanischer Jugendlicher (13-17 Jahre) online sein, doppelt so viele wie im Jahre 1998.4
Neben all diesen Fakten wurden bislang die kommunikativen und sozialen Verhaltensprozesse, die neben wirtschaftlichen Neustrukturierungen ebenfalls großen Veränderungen unterliegen, weitgehend außer acht gelassen. Daher ist es spannend, das Internet unter sozialkonstruktivistischen Fragestellungen zu betrachten. Als das WWW in den frühen 90er Jahren zunehmend in das Blickfeld des öffentlichen Interesses rückte, waren von der Frauenforschung viele Hoffnungen an das neuen Medium geknüpft worden. Virtuelle Kommunikation mit anderen ist (derzeit noch) limitiert durch die geschriebene Sprache. Sie erlaubt einen kommunikativen Austausch bei gleichzeitiger Distanz. Nicht nur, dass auf die face-to-face-Kommunikation verzichtet würde, die andere Person ist vielmehr gerade durch ihre geschlechtsspezifische Anonymität interessant. Der Benutzer „inszeniert“ sich als sein Wunsch-Ich, sein Ekel-Ich, und verbirgt dabei seine Geschlechtszugehörigkeit. Damit entsteht eine „ent-sexualisierte“ Zone, die das Durchbrechen von Rollenkonstrukten leichter macht und sie flexibler gestalten lässt. Parallel dazu (und mit Sicherheit eng geknüpft an die Entwicklung des Internet) entstand im Rahmen verschiedener jugendkultureller Trends eine „Modeform der Androgynität“, die offline durch Musiker wie Marilyn Manson, das verstärkte Tragen von Röcken bei Jungen oder durch Unisex-Produkte wie der Duft „CK One“ Calvin Klein ausgedrückt wurde.Mädchen nutzen das Internet Im Sommer 1999 wurde von Nickelodeon/Yankelovich Youth Monitor berichtet, dass Jugendliche in den USA etwa eine Stunde pro Tag im Internet verbringen. Mit zunehmender Zahl an Internetzugängen wird in naher Zukunft die Dauer einer solchen Nutzung steigen. Nach Angaben des britischen Marktforschers Fletcher liegt derzeit der Anteil von Mädchen bis 18 Jahren bei jugendlichen Internetnutzern in Großbrtitannien bei 61%.5 Entgegen pessimistischer Prognosen, dass Mädchen und Frauen Leidtragende der technischen Innovationen seien, hat sich der weibliche Teil der Bevölkerung an dieser Entwicklung beteiligt und gestaltet sie aktiv mit.Nun sind solche Studien mit Vorsicht zu genießen. Der größte Teil der entsprechenden Forschung stammt aus Marktforschungsinstituten, deren Ergebnisse nur bedingt für wissenschaftliche Analysen heran zu ziehen sind. Doch stellte auch Media Mark Research, ein unabhängiges Forschungsinstitut, im März 1999 eine verstärkte Nutzung weiblicher Internetbenutzer fest. Demzufolge gibt es in den USA 48 % männliche und 52 % weibliche Internetsurfer. Der weltweite Frauenanteil fällt dagegen etwas schwächer aus, er liegt bei 48 % gegenüber 52 % bei Männern. Im Vergleich zu einer früheren Studie von Media Mark Research vom Jahre 1996 hat sich der Frauenanteil innerhalb von drei Jahren deutlich vergrößert. Waren es damals weltweit 58 % männliche und nur 42 % weibliche Nutzer, so im Jahr 1997 55 % männliche und 45 % weibliche, 1998 52 % männliche und 48 % weibliche. Der Frauenanteil stieg also stetig an und hat mittlerweile in Teilen der westlichen Welt den Männeranteil knapp überschritten.Wie nutzen Mädchen das Internet? Bezüglich der geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich der Nutzung des Internets kann aus der Sicht von Jugendlichen bisher kaum eine Aussage gemacht werden. Es liegt jedoch eine Umfrage von Teenage Research Unlimited vor, die auf populären Seiten für Jugendliche mit der Frage durchgeführt wurde: What makes a Web Site Fun? Folgende nach Geschlechtszugehörigkeit aufgeschlüsselten Antworten wurden gegeben: männlich weiblich Hoher Newswert der Seite 45% 44%Regelmäßige Aktualisierungen 42% 41%Leichte Navigation 35% 34%Chat/Email 27% 41%Musiclips 28% 37%Schnelles Herunterladenvon Dateien 34% 29%Gute Grafik 35% 26%Gute Links 28% 23%Videoclips 26% 25%Spiele 29% 22%Auffallend ist der große Unterschied im Chat/Email-Verhalten der Jugendlichen. Fletcher unterstützt diese Zahlen zu großen Teilen, und gibt an, dass insbesondere die interaktiven Kommunikationsmöglichkeiten des Mediums ansprechend auf Mädchen wirke. Er stellt zwar keine Unterschiede in der Mailnutzung zwischen Jungen und Mädchen fest, dafür bestärkt er, dass Mädchen häufiger chatten würden. Einer Umfrage von CNN zufolge seien gleichzeitig Mädchen gefährdeter als Jungen, durch interaktive Elemente sexistischen Äußerungen zu begegnen. So stellt CNN fest: „72 % der Mädchen und 57 % der Jungen berichten, dass sie im Netz Menschen begegnet sind, von denen sie annehmen, dass sie nur vorgeben, jemand zu sein, der sie in Wahrheit gar nicht sind. 66 % der Mädchen und 54 % der Jungen erzählen, dass sie online mit Menschen in Kontakt gekommen sind, die obszöne Dinge zu ihnen gesagt haben. 58 % der Mädchen und 39 % der Jungen sagen aus, dass sie online nach persönlichen Informationen wie Telefonnummer und Adresse gefragt wurden“.6Angebote für Mädchen im Internet Das Angebot an Internetseiten für Mädchen ist vielfältig, einfallsreich, kreativ und beeindruckend. Nun lassen sich die gängigen Methoden der Textanalyse wie sie in den Literatur- und Sprachwissenschaften verwendet werden, nicht analog auf das Internet übertragen. Es gibt keine wissenschaftlich gültigen Kriterien, mit Hilfe derer das Ineinander von Text, Bild- und Audioelementen analysiert werden könnte. Die Vielzahl und Vielfalt der Seiten verlangt dennoch eine Kategorisierung. Die hier vorgenommene Einteilung folgt den Webseitenherstellern selbst. So wird unterschieden zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Absichten der Webseiten. Zusätzlich aufgenommen werden Suchmaschinen, da sie für Jugendliche Wegweiser und Orientierung durch den „Internetdschungel“ sind und nach wie vor zum Auffinden von Internetseiten vorrangig benutzt werden.Kommerzielle Seiten. Nahezu jedes Produkt und jede Firma hat ihre eigene Webseite, die sie für Werbezwecke nutzt. Marktforscher geben viel Geld aus, um Internetvorlieben Jugendlicher herauszufinden. Und so sind es insbesondere die kommerziellen Seiten, die am meisten Spaß machen: Spiele, interaktive Elemente, tägliche Updates der Seite mit neuesten Informationen sind auf kommerziellen Seiten am häufigsten zu finden. Die meisten informieren nicht über die Produkte, sondern veranstalten „Lifestyle-Werbung“: Lebensgefühle werden mit Hobbys verbunden und Produkte wie zufällig einbezogen. Eine saubere Trennlinie zwischen Spaß und Werbung kann nicht gezogen werden, und die Intransparenz der Seiten ist beabsichtigt.7 Im Hinblick auf die Konstruktion der Geschlechtsspezifik sollen zwei Aspekte angesprochen werden: die Speicherung von persönlichen Informationen und die damit verbundene Diskussion um Online Privacy sowie die Reproduktion von weiblichen Stereotypen im Internet.Online Privacy. Isabel Walcott ist derzeitige Präsidentin von SmartGirl Internette Inc., einer Online-Firma, die sich ausschließlich auf die Generierung von Daten weiblicher Jugendlicher spezialisiert hat. Die Seite www.smartgirl.com richtet sich in Design und Sprache an weibliche Jugendliche, und bietet ihnen an, Mitglied der „Community“ zu werden, indem sie ein Produkt ihrer Wahl bewerten und einen kurzen Artikel darüber schreiben. Diese Antworten werden an dritte Firmen weiterverkauft und zu Marketingzwecken verwendet. Walcott definiert den weiblichen Charakter folgendermaßen: „They’re romantic, idealistic and extremely naive. They think the boy who says he loves them will marry them“.8 Ein großes Problem liegt darin, dass viele Marktforscher genau hier ihre Chance sehen, an weibliche Jugendliche heranzukommen. „They are so willing to talk to you. They’re flattered and they believe you’ll do something with what they tell you“.9 Die Differenz zwischen männlicher und weiblicher Zielgruppe ist auf kommerziellen Internetseiten offensichtlich. Kaum eine Webseite adressiert ausschließlich Jungen. Selbst Produktseiten wie Sega (www.sega.com) und Nintendo (www.nintendo.com), deren Produkte hauptsächlich von Jungen gekauft werden, vermeiden eine einseitige Sprache, die sich an männliche User wendet. Konträr dazu gestaltet sich die Adressierung bei Mädchen. Es gibt eine Vielzahl von Seiten, die sich direkt und ausschließlich an Mädchen richten. „Girl community“, „Girl power“, „Girl Zone“ sind Begriffe, mit denen junge weibliche Internetbenutzer angeregt werden sollen, sich an einer Online-Gemeinschaft zu beteiligen, deren Begründung lediglich in der Tatsache liegt, dass sie weiblich sind. Für kommerzielle Zwecke wird damit geworben, online neue Kontakte und Freundschaften zu finden. Indem kommerzielle Webseitenhersteller interaktive und kommunikative Elemente in ihre Seiten einbauen, sollen sich weibliche Jugendliche auf der Seite wohl fühlen und das kommerzielle Umfeld nicht bemerken. Transparenz wird auf den Seiten bewusst vermieden. „Diese Seiten sehen aus und fühlen sich an wie Online-Freizeitparks für Jugendliche. Dahinter stecken allerdings virtuelle ‘Informations-Supermärkte’ für Werbefachleute“.10Konsumgewohnheiten können durch die one-to-one Kommunikation zwischen Werber und Beworbenem direkt und ohne Umwege an die Marktforscher weitergegeben werden. Und indem das Umfeld per Internet so gestaltet werden kann, dass Mädchen oft nicht offengelegt wird, mit wem sie es zu tun haben, sondern sich auf einer erlebnisorientierten, interaktiven Oberfläche wiederfinden, sind viele bereit, Informationen über sich herauszugeben, die sie niemals in einer anderen Umgebung von sich geben würden. „Im Cyberspace ist jeder derselbe. Wenn man jemandem nicht in die Augen schauen muss, kannst du ihn alles fragen. Und sie werden dir genau das erzählen, was du hören willst“.11 Das Internet bietet so das ideale Forum für Marketingleute, durch geschickte Umfragen Informationen von Mädchen zu bekommen. „Viele wollen in die Psyche der Mädchen eindringen, die neben ihren eigenen Einkäufen auch noch ihre Peers beeinflussen, die jedes Jahr 100 Milliarden Dollar ausgeben“.12 So hat nahezu jede kommerzielle Seite für Mädchen Umfragen, z.B. über Shoppinggewohnheiten, Interessen und Produktevaluationen in interaktive, spaßorientierte Seitenelemente eingegliedert. So sagt Katharina Kopp, vom Center for Media Education, Washington, DC: „Jugendliche wissen nicht genau, wie diese Seiten arbeiten. Sie sind unreifer und anfälliger als Erwachsene. Insbesonders gilt dies für pre-teen Mädchen, mit deren Unsicherheiten auf diesen Seiten oft gespielt wird“.13Die Fülle der Artikel auf entsprechenden Seiten (z.B. Smartgirl) und die vollen Discussion Boards lassen darauf schließen (mehr auch nicht), dass viele Mädchen diese Form der Informationsabgabe gerne nutzen. So berichtet ein 15-jähriges Mädchen aus New York: „Was ist so schlimm daran in einer Umfrage rumzuklicken und ein paar Fragen zu beantworten? Wenn jemand meine Meinung hören will, teile ich sie ihm mit. Online-Umfragen zu beantworten gibt mir ein Gefühl dafür, wer ich bin. Ich lerne über Dinge, die für mich wichtig sein könnten“.14 Stereotype im Internet. Viele kommerzielle Seiten reproduzieren Stereotype, die sich bereits in der Offline-Lebenswelt finden. Produkte wie Barbie, deren Überlebensstrategie in der Hochhaltung weiblicher Stereotype liegt, übertragen ihre Marketingstrategien analog auf das Internet. Dies ist nicht weiter verwunderlich, und doch geht die Reproduktion von Stereotypen noch darüber hinaus: „Die meisten Frauenseiten im Internet gehen davon aus, dass wir nur unsere Horoskope, Rezepte, Abnehmtipps bekommen wollen, und natürlich darüber, wie wir einen Freund abbekommen“.15 Ein Beispiel hierfür ist die Webseite A Girl’s World (www.agirlsworld.com).
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor: Friederike Siller
Beitrag als PDFEinzelansichtErwin Schaar: Bilder für Kinder?
Der amerikanische Fotograf Edward Steichen hat 1930 sein Buch „The First Picture Book. Everyday Things for Babies“ veröfffentlicht, das die Gegenstände einer Kleinkinderumwelt statuarisch ins Bild setzte, den Kindern anhand der Fotografien einen dingfixierten Zugang zur Welt schaffen/erleichtern sollte. Viele Bilderbücher für das Kleinkindalter ‘funktionieren’ so, wenn sie auf einer Seite einen Gegenstand abbilden, auf den sich Kinder fixieren sollten, auch um darüber zu sprechen, um zur Schilderung dieser reduzierten Umwelt animiert zu werden. Weil man glaubte/glaubt, dass Kinder die/ihre Welt in Ausschnitten besser begreifen lernen, oder weil man fixiert auf eine reine Kinderseele einen reinen Gegenstand als adäquat ansah. Steichens pädagogisches Verlangen mag damit auch seine Bewandnis gehabt haben.
Als das Buch 1991 vom Scalo Verlag in Zürich nachgedruckt wurde, konnte damit sowieso nur historisches Fotografierinteresse geweckt werden.Der deutsche Fotograf Reinhard Matz hat sich nun eine ‘Übersetzung’ von Steichens Fotoblick in die Jetztzeit vorgenommen, ohne allerdings für die abgebildeten historischen Spielzeuge und Gegenstände die neuartigen einzutauschen, weil sich mit den Dingen auch die Welten, die durch die Gegenstände widergespiegelt werden, verändert haben. Also hat Matz versucht, die strengen Bildwelten von Steichen, die in ihrer Kargheit an die Ästhetik des Bauhauses erinnern, gegen Analoges zu tauschen, das strenge Schwarzweiß der kargen Kunstfotos aus den 30ern mit einem bunten Bildkaleidoskop zu konterkarieren. Die Plastikwelten, die Spielzeugmassenware, die neuen Technologien, sie sollen den Kindern ihre jetzige Umwelt erkenntlich machen. Aber waren zu Steichens Zeit die Bilder noch rar, war das abstrakte strakte Abbild vielleicht gar nicht so abstrakt wie es heute wirkt, so treffen die Bilder von Matz auf eine Welt, die sich vor den Bildern kaum mehr retten kann.
So dürften die farbigen Widergaben unserer Konsumwelt für Kinder nur zusätzliche Bilder bedeuten, ohne dass ihnen die Ästhetik dieses Bilderbuchs widersprechen oder gar etwas bedeuten könnte. Und zweitens ist dieser pädagogische Anspruch Steichens gar nicht mehr vorhanden, weil die Bilder von Matz uns (Erwachsene) wie kulturkritische Bildmetonyme entgegenspringen und Eltern schon gar nicht dazu motivieren können, mit ihren kleinen Kindern vorurteilslos über das Gezeigte zu sprechen. Den Farbfotos ist meist schon die pädagogische Kritik heutiger Lebensumwelt impliziert und den erwachsenen Menschen möchte ich sehen, der mit Kindern der ersten Lebensjahre über diese aufgeladenen Abbilder ein im guten Sinn naives Reden beginnen möchte. Das McDonalds-Mahl z.B. ist unberührt in strenger Ordnung fotografiert, um auf der Rückseite abgegessen und hingeworfen wie auf den Straßen der Umgebung eines solchen Lokals abgelichet zu werden.
Es mag zudem meine Aversion gegen kindliche Weltverbesserer sein, die diesem kritischen Konzept von Matz nichts abgewinnen kann. Auch die Bilder Steichens waren nicht heil, nur hat er halt, ohne jetzt Einwände zurückzunehmen, die Dingwelt des Kindes nicht als Wegwerfware abgebildet. Und diesem Ex-und-hopp-Standard sollten wir auch heute so wenig Spielraum wie möglich einräumen.
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor: Erwin Schaar
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kolumne
Hans-Dieter Kübler: Medienbildung: Erlösung vom Erziehungsauftrag?
Im Deutschen sind sie zwei nicht ganz gleiche Komponenten eines Prozesses, nämlich der kognitiven, emotionalen, sozialen und psychischen Entwicklung des Menschen unter Beteiligung von Subjekten, anderer wie des eigenen: Erziehung und Bildung. In Sprachen, die auf das lateinische „educare“ rekurrieren, gibt es nur einen Terminus dafür, wodurch sich viele diffizile wie subtile Unterscheidungen erübrigen. Zahlreiche akribische Definitionen und Abgrenzungen sind hingegen im Deutschen ersonnen und verordnet worden. Immer waren und sind mit ihnen grundsätzliche, mitunter auch aporetische Sichtweisen auf das Individuum, seine (eschatologische) Bestimmung und seine Rolle in der Gesellschaft wie auf die Wirklichkeit als ganze verbunden. Am einprägsamsten ist vielleicht die pragmatische Unterscheidung, dass man erzogen wird, aber sich selbst bildet, obwohl auch diese in diversen theoretischen Modellen in Frage gestellt und konterkariert wird. Im Terminus der Sozialisation ist eher die gesellschaftsbezogene Perspektive angesprochen, im neuerdings favorisierten Konzept der Selbstsozialisation überwiegen hingegen wieder Autonomie und Eigensinn des Subjekts. Deren Erstarken wird überraschenderweise auch dem Wirken der Medien zugeschrieben, obwohl diese ja gesellschaftliche Institutionen sind und als mächtig steuernde, wenn nicht manipulierende Agenturen beargwöhnt werden. Dennoch sollen gerade die sich ständig weiter ausdifferenzierenden Netze Chancen für Individualisierung und selbständige Gestaltung persönlicher Lebensstile bergen.Medien sind von der theoretischen wie praktischen Pädagogik seit jeher kritisch beäugt worden, als Konkurrenten wie als Störenfriede des Erziehungsprozesse (nur wenige haben zumindest die guten oder pädagogisch wertvollen Medien in didaktische Bemühungen einbezogen seit J. A. Comenius selig).
Daher bot sich Medienerziehung als passender Begriff an, zumal sie sich zunächst eher als Erziehung gegen die Medien, mindestens als eine - meist normativ ausgerichtete - Erziehung verstand, die gegen die Reize und Verlockungen der Medien standfest machte. Als „heimliche Erzieher“ wurden die Medien aber lange Zeit immer verdächtigt.Mit der realistischen Wendung der Pädagogik zur (empirischen) Erziehungswissenschaft verlangte es auch der Medienerziehung als sich mittlerweile etablierende Teildisziplin nach einem neutralen Terminus, womit zugleich der Anschluss an die sozialwissenschaftlichen Denkweisen der Kommunikations- und Publizistikwissenschaft geschafft werden sollte: Funktionalismus, Systemtheorie, symbolischer Interaktionismus, Habermas´ Universalpragmatik wurden nun bemüht. Dieter Baackes Habilschrift von 1973 gibt davon illustres Zeugnis: Medienpädagogik wurde kreiert (wiewohl eigentlich im unbemerkten terminologischen Gegensatz zum erziehungswissenschaftlichen Mainstream). Mit ihr wurde auch der theoretische Grundstein für die dann vielbemühte Medienkompetenz gelegt, die seither als Allerweltsformel dient. Die Verfechter einer normativen Medienerziehung blieben gegen diese Versozialwissenschaftlichung skeptisch; sie erkannten sie - nicht zu unrecht - als normative Neutralisierung, ja als unentschlossene bis schicke Beliebigkeit des damals en vogue werdenden „anything goes“. Als wohl letzter stritt dagegen noch 1992 der katholische Pädagoge Rainald Merkert, der in der Medienpädagogik Baackescher Prägung den essentiellen Bezug zum menschlichen Humanum, eine anthropologische Grundbesinnung, vermisste.Aber im Umgangssprachlichen haben sich solche Trennschärfen nicht durchgesetzt. Noch im Februar diesen Jahres wurde beispielweise in Bremen ein aufwendiger Modellversuch zur „Medienerziehung in der gymnasialen Oberstufe“ samt hochmögender wissenschaftlicher Begleitung abgeschlossen.
Die Frage, ob dieser Terminus mit (normativer) Absicht gewählt worden sei, wie er sich vertrage für (fast) erwachsene Menschen von 16 bis 19 Jahren und angesichts der im Laufe der dreijährigen Projektphase immer stärkeren Ausrichtung auf Computer und Onlinekommunikation, blieb unbeantwortet; sie war offenbar nicht hinreichend bedacht worden.In den Diskursen der 80er Jahre blieben Medienpädagogik und pädagogischer Umgang mit dem Computer weitgehend getrennt, wie sich nicht zuletzt an den beiden Rahmenkonzepten der Bund-Länder-Kommission zur „informationstechnischen Bildung“ (1987) und, erst acht Jahre später, zur „Medienerziehung“ (1995), übrigens ohne Bezug auf ersteres, manifestiert. Allein in Nordrhein-Westfalen konnte 1985 auf den ständig argumentativen Druck von Bernd Schorb und mir erreicht werden, dass die informationstechnische Bildung zur „informations- und kommunikationstechnologische Bildung“ erweitert wurde, unter Einbeziehung medienpädagogischer Ziele. Doch auch diese Integration blieb auf dem Papier.Anders lässt sich wohl kaum erklären, dass mit der inzwischen zwischen heftig forcierten Ausstattung der Schulen mit Online-Computern, mit den Anforderungen von Wirtschaft und Bildungspolitik, eine breite, aber ebenso diffuse Medienkompetenz in der Schule zu vermitteln und das Internet gewissermaßen zum Allroundmedium des Unterrichts zu machen, sich erneut eine terminologische Wende bemerkbar macht: Medienbildung heißt nun das Motto für die anbrechende Ära des vernetzten und digitalen Lernens. Wer immer es inauguriert hat - Stefan Aufenanger beansprucht für sich eine gewisse Urheberschaft -, hinreichend ausgelotet und expliziert, gerade auch mit Blick auf die skizzierte historische Hypothek, ist seine Semantik nicht.Bildung firmiert offiziell immer noch als eine der drei publizistischen Grundaufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Besonders in der Nachkriegszeit zum Aufholen der kulturellen und als politische Bildung, aber bis in die 60er Jahre hinein, etwa bei der Gründung der Dritten Fernsehprogramme und dem Ausbau der Tele- und Funkkollegs, wurde dieser Programmauftrag ambitioniert wahrgenommen. Heute erinnert sich infolge des Kahlschlags der Bildungsprogramme kaum mehr jemand daran, und den Rundfunk für Bildung in Anspruch nehmen, tun nur noch wenige, höchstens die notorischen Hörer der Dritten Programme etwa oder die Zuschauer von arte und 3sat. Medienbildung, so lassen die wenigen Ausführungen bislang erkennen, umfasst zumindest programmatisch alle Lernprozesse, die mit und für Medien, zumal die digitalen und vernetzten, stattfinden, oder - noch pauschaler - sie steht für Kommunizieren, Lernen, Arbeiten und jedwedes symbolische Handeln in der sogenannten Informations- und/oder Wissensgesellschaft. Offenbar wollen ihre Anwälte sie an die Stelle der inzwischen verbraucht erscheinenden Medienkompetenz rücken, ohne sich darum kümmern zu müssen oder zu wollen, warum die eine (Leer)Formel nun durch eine andere ersetzt werden soll.Denn so imposant und visionär die Entwürfe daherkommen, hinreichend deutlich und präzise ist es nicht, was mit Medienbildung gemeint sein soll. Nicht einmal die Kausalitäten und Zusammenhänge sind geklärt: Bilden Medien per se (wie noch im Rundfunkkonzept angenommen)? Bildet man sich mit den Medien (wie in allen didaktischen Konzepten mit Medien angestrebt wird)? Bildet man sich für die Medien, also qualifiziert man sich für den Umgang mit ihnen (wie es Konzepte des Computerführerscheins, heute des „Internet-Führerscheins“, vorsehen)? Oder bildet man sich gar gegen die Medien (wie es früher Ideologiekritik und Gegenaufklärung propagierten)? Die Apologeten werden großzügig alles (und noch etliches mehr) vereinnahmen, Hauptsache: man nutzt Rechner und Netze. Doch ganz und stiekum lässt sich die pädagogische Tradition nicht beiseite fegen - zumal es in Nordrhein-Westfalen (womöglich auch anderswo) bereits wieder ein Rahmenkonzept „Medienbildung“ gibt. Aber seine Ziele und methodischen Verfahren unterscheiden sich kaum von den vielfach vorgebrachten Dimensionen der Medienkompetenz und ebenso wenig von denen der informations- und kommunikationstechnologischen Bildung - nur die (medien)technischen Optionen verändern sich. Also: nur ein neues Label auf bewährte Ziele, die freilich bis heute materiell und personell uneingelöst blieben?
Der Bildung eignen fraglos positive semantische Konnotationen, soviel traditionelle Wertschätzung inhäriert ihr noch immer; in jedem Fall rekurriert sie auf Kognition (Erkenntnis) und sachliche Logik. Erziehung rekurriert hingegen eher auf Normen und Werte; sie ist sozialen Beziehungen wie Hierarchien unterworfen und nicht selten subjektiver Willkür ausgesetzt. Vermutlich ist dieser semantische Bonus anvisiert, wenn nun der „Medienbildung“ der Vorrang gegeben wird. Aber wenn Namen nicht nur (strategischer und öffentlichkeitswirksamer) Schall und Rauch sind, was wissenschaftliche Seriosität noch immer unterstellen muss, dann impliziert „Medienbildung“ eben auch mindestens dreierlei (heimliche) Intentionen:p Wenn Medien bilden bzw. wenn man sich mit Medien bildet, dann braucht man sie selbst, ihre Strukturen und ihre gesellschaftlichen Funktionen wie ihre unzähligen Inhalte und Programme nicht mehr unbedingt einer kritischen Überprüfung und Kontrolle, was früher auch Ideologiekritik hieß, zu unterziehen. Vielmehr haben sie a priori einen (positiv besetzten) Bildungswert und pädagogischen Bonus. Das vermeintlich für alle gleichberechtigte und zugängliche Internet wird quasi zum Mythos der vorgeblich generellen Medienfreiheit und -pluralität hochgejubelt, in dem sich alle weltanschaulichen und individuellen Inhalte optimal wiederfinden, sich quasi verobjektivieren und damit nur noch nach persönlichen Vorlieben und Interessen ausgewählt werden.p Eine wertorientierte und kritische Erziehung hinsichtlich der und auch gegen die Medien braucht unter den Vorzeichen der Bildung nicht mehr stattzufinden. Pädagogik erlöst sich gewissermaßen selbst vom ebenso prekären wie mühsamen Erziehungsauftrag (den sie gegen die mächtigen Medien nicht mehr gewinnen kann); sie kann sich daher nur noch den unverfänglichen, neutralen, sachbezogenen und kognitiven Bildungs- und Lernprozessen mittels Medien widmen.p
Allein verantwortlich für seinen Medienumgang und für die Inhalte, denen es sich aussetzt, für seine „Medienbildung“ ist letztlich das (sich durch Medien selbstsozialisierenden) Individuum, der selbst kompetent gewordene User. Ihm allein bzw. der ihm irgendwie vermittelten Medienkompetenz obliegt die Verantwortung für den persönlichen Medienkonsum, aber am Ende auch - in der Kollektivität - für die kommunikative Verfassung einer Gesellschaft, getreu der Marktlogik von Nachfrage und Angebot. So wird das Individuum zum Subjekt des Medienmarktes stilisiert, obwohl der sich ständig neu strukturiert und weiter oligopolisiert, ohne Einfluss der Rezipienten. Dennoch wird ihre Spezies zum auch sonst gehätschelten Phantom des autonomen homo oeconomicus und communicator mystifiziert.Wenn diese Tendenzen nur annähernd zutreffen, dann passen sie zweifelsohne in den Mainstream von Deregulierung und Globalisierung, von Flexibilität und Eigenverantwortung, wie die Modewörter derzeit lauten. Ob dies die Verfechter der „Medienbildung“ gemeint haben?
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor: Hans-Dieter Kübler
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