2001/02: Medien über Medien
thema
Daniela Pickl: Von der Kunstkritik zum Medienjournalismus
Mit den Veränderungen der Medienlandschaft, das heißt mit der Einführung des privaten-kommerziellen Rundfunks in Deutschland hat sich auch die Medienkritik zumindest in der Presse fest etabliert.
(merz 2001-02, S. 75-78)
Susanne Vollberg: Der schwierige Umgang mit der Selbstreflexion
Für das in den 70-er Jahren eingeführte Genre der medienkritischen Magazine im Fernsehen scheint heute kein Interesse mehr zu bestehen.
Die Kritik am eigenen Medium findet weder bei den Machern noch beim Publikum Beifall.
(merz 2001-02, S. 81-83)
Jörg Petersen: „Microsklaven“
Douglas Coupland („Generation X“) hat mit „Microsklaven“* ein Buch geschrieben, das zwar in der Gegenwart spielt, aber mit der Vorwegnahme gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen den Charakter einer Science Fiction-Erzählung hat.
(merz 2001-02, S. 84-85)
Annette Ernst und Leif Pullich: Fernstudium Medien (FESTUM)
Die Erfolgsmeldungen über die Ausstattung der Schulen mit neuen Medien täuschen über die Mängel im Unterricht hinweg.
Stärker als bisher müssen medienpädagogische Inhalte in die Lehrerausbildung integriert werden.
(merz 2001-02, S. 95-100)
Beitrag aus Heft »2001/02: Medien über Medien«
Autor: Annette Ernst, Leif Pullich
Beitrag als PDFEinzelansichtGünther Anfang: CD-ROM Der Teddy und die Tiere
Als interaktives Lese- und Spielabenteuer ist der „Teddy“ nach den Bilderbuch von Michael Ende sicher eine gelungene CD-ROM für die allerjüngsten Computerkids. „Washable“ heißt der kleine Bär, der sich in dieser wunderbar illustrierten Geschichte auf den Weg macht, die Welt zu erkunden. Die Tiere, die er unterwegs trifft, haben alle eine Aufgabe im Leben, nur Washable weiß nicht, warum er eigentlich auf der Welt ist.
Nach und nach findet er es aber heraus und muss nicht mehr traurig sein. Eingebettet in diese von Rufus Beck erzählte Geschichte sind verschiedene Spiele, bei denen den Kindern kleine Aufgaben gestellt werden. So müssen zum Beispiel auf einer Eierrollbahn Kuckuckseier daran gehindert werden, in die Nester zu rollen oder die Puzzleteile einer Bienenwabe sollen wieder zusammengesetzt werden. Spaß machen dürfte den Kindern auch das Spiel, einen Bären anzuziehen oder einem Vogel beim Duschen die richtige Wassertemperatur einzustellen.
Alle Spiele sind bewusst einfach gehalten und sollen die Kleinen animieren, mit der Maus richtig umzugehen. Ob das jedoch bereits mit drei Jahren sein muss, wie es die Spielempfehlung vorsieht, sei dahingestellt.
Michael Bloech: Im Dschungel des Netzes
Websites zu medienpädagogischen Projekten oder interessanten Internetangeboten für Kinder und Jugendliche zu finden ist zum einen mittels üblicher Suchmaschinen relativ einfach und zum anderen aber auch leider unendlich schwierig. Zum Beispiel finden sich bei der Metasuchmaschine www.google.de über 4000 Einträge zu dem Thema Medienpädagogik.
Die Vielfalt erschlägt einen dann förmlich, oder man stößt immer wieder auf dieselben Adressen. Auch ist es leicht möglich, dass wichtige Adresse übersehen werden. Deshalb bleiben die folgenden Webadressen selber letztlich zufällig und sollen eher als erste Anknüpfungsversuche für weitere eigene medienpädagogische Exkursionen durch das Netz gelten. (merz 2001-02, S. 104-106)
medienreport
Margret Köhler: Filme im Wettbewerb
Der goldene BärMit einer Überraschung ging die 51. Berlinale zu Ende: Nicht der Favorit, Steven Soderberghs „Traffic“ erhielt den Goldenen Bären, sondern Patrice Chéreau für sein umstrittenes, verstörendes Drama „Intimacy“. Und seine Schauspielerin Kerry Fox kassierte den Silbernen Bären als Beste Hauptdarstellerin. Buhrufe bei der Pressekonferenz ließen die Ambivalenz spüren, mit der diese wagemutige, doch vertretbare Jury-Entscheidung aufgenommen wurde. Nach Cathérine Breillats „Romance“ und Virginie Wagons „Le Secret“ geht Chéreau aus männlicher Perspektive die Traurigkeit der Triebe an. Basierend auf Hanif Kureishis gleichnamigem Roman und dessen Short Story „Nightlight“ lässt Chéreau zwei Menschen und zwei Welten aufeinanderprallen: Jeden Mittwochnachmittag besucht Claire (Fox) den Barkeeper Jay in seiner heruntergekommenen Wohnung. Leidenschaftlicher Sex auf schmutzigem Teppichboden, mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Beide genießen die Situation, so wie sie ist. Doch dann kommt Neugier ins Spiel, der Mann folgt der Geliebten und findet heraus, dass sie in einem kleinen Vorstadttheater auf der Bühne steht. Er befreundet sich mit dem Ehemann, um sie besser kennenzulernen, mimt den coolen Typ. Er will plötzlich mehr, bricht die unausgesprochene Vereinbarung und stellt damit das fragile Verhältnis infrage. Was als folgenloses Vergnügen geplant war, endet in einer schmerzhaften Zerreißprobe.
Chéreau philosophiert über die Unfähigkeit der Liebe, das Absterben der Seele, die kleinen Tode, die das Überleben garantieren. Und darüber, wie aus dem anfänglichen Geben ein Voneinander-Fordern wird.Gewalt und Drogen„Traffic“ nur mit dem Darstellerpreis für Benicio Del Toro abzuspeisen, zeugt nicht von großer Souveränität der Jury. Aber da man im vergangenen Jahr „Magnolia“ auszeichnete, wollte man wohl Hollywood gegenüber trotzig Eigenständigkeit beweisen. Soderbergh, der erste Regisseur, der in einem Jahr zwei Oscar-Nominierungen für die beste Regie und den besten Film erhielt („Traffic“ und „Erin Brockovich“), wird es mit Fassung tragen. Das Gerücht ging um, Jury-Präsident Bill Mechanic, der der Twentieth Century Fox bis im vergangenen Jahr vorstand und das Soderbergh-Projekt ablehnte, habe ein Veto eingelegt.Soderbergh verdichtet verschiedene Erzählstränge. Es geht um den erbarmungslosen Drogenkrieg vor Amerikas Haustür. Ein eigentlich schon verlorener Krieg. Denn die Drogenkartelle ziehen die Fäden und da fallen kleine Siege von zwei mexikanischen Drogen-Cops (Benicio del Toro, Jacob Vargas), deren Chef der Korruption nicht abgeneigt ist, kaum ins Gewicht. Und dann sind da noch die schwangere Ehefrau (Catherine Zeta-Jones) eines Drogenbarons in San Diego, die mit allen Mitteln für die Freilassung ihres inhaftierten Gatten kämpft und ein amerikanischer Bundesrichter (Michael Douglas), der zum obersten Drogenjäger nach Washington beordert wird und durch Zufall mit der Kokain- und Designerdrogen-Abhängigkeit der eigenen Tochter konfrontiert wird. Der schockierende Blick in diese Welt kommt nicht als Lehrstück daher, sondern bietet als spannendes Drama beste Unterhaltung.Koreanische WirklichkeitVerwunderlich, wenn auch diplomatisch korrekt, die Ehrung der nicht gerade außergewöhnlichen asiatischen Beiträge: Der Große Preis der Jury für „Beijing Bicycle“ von Wang Xiaoshuai aus China, der Silberne Bär für die Beste Regie für „Betelnut Beauty“ des aus Taiwan stammenden Lin Cheng-sheng - ausgewogener geht es nicht. Beide Filme sind die ersten aus Peggy Chiaos Projekt „Tales of Three Cities“, ein sechs Spielfilme umfassendes Paket von Regisseuren aus Peking, Taipei und Hongkong. Einen Preis hätte man auch dem Koreaner Park Chan-Wook gegönnt für „J.S.A.“ (Joint Security Area) über den militärischen Wahnsinn an der Demarkations-Linie zwischen Nord- und Südkorea. Nichts symbolisiert die Teilung Koreas so sehr wie die „Brücke ohne Wiederkehr“ in der demilitarisierten Zone, der Joint Security Area, Schauplatz des von Publikum und Presse gefeierten Dramas über Feinde, die für kurze Zeit Freunde werden: Als am 38. Breitengrad zwei nordkoreanische Grenzsoldaten erschossen werden, löst der Vorfall eine militärische Kettenreaktion aus. Die Südkoreaner behaupten, einer ihrer Soldaten sei entführt worden und habe sich nur durch die Tötung zweier gegnerischer Soldaten befreien können, die Nordkoreaner dagegen sprechen von einer bewussten Grenzüberschreitung und Exekutierung. Für Aufklärung soll ein weiblicher Leutnant, eine neutrale Schweizerin koreanischer Abstammung sorgen. Der ersten Frau, die seit 1953 dieses Gebiet betritt, schlägt Misstrauen entgegen, die wenigen Aussagen der Beteiligten widersprechen sich. In einer langen Rückblende entwickelt der Film, was wirklich passiert ist, protokolliert die Absurdität militärischer Aktionen und das Leid des in der Tötungsmaschinerie gefangenen Individuums. In Südkorea wurde „J.S.A.“ zum Kassenknüller und Armeeveteranen verwüsteten aus Zorn das Büro der Produktionsfirma.
Erwähnenswertes
Der Silberne Bär für die beste Darstellerin wäre bei Emma Thompson gut aufgehoben gewesen. Sie spielt in Mike Nichols’ bewegendem Kammerspiel „Wit“ eine Krebskranke, die angesichts des nahen Todes um ihre Würde kämpft. Erst begegnet sie der Krankheit gefasst, amüsiert sich über die Weißkittel-Rituale, hofft auf Überleben. Nach acht quälenden Monaten wirkt sie bald nur noch wie ein Schatten ihrer selbst, ein geschundenes Bündel Mensch - am Tropf hängend und mit kahlem Schädel. Nichols inszenierte „Wit“ nach Margaret Edsons mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Theaterstück als schonungslose Entlarvung einer Krankenhausmaschinerie, in der Menschen zur Sache degradiert werden.Als Bären-Kandidat galt auch Geoffrey Rush, der in John Boormans bitterböser und gleichzeitig amüsanter Farce „Der Schneider von Panama“ die titelgebende Figur spielte, die mit ihren Lügen in die große Politik eingreift. Und Pierce Brosnan räumt als strafversetzter Agent mit dem properen 007-Image auf. Ganz nebenbei erfährt man einiges über das Land an der Grenze zwischen Nord- und Südamerika. In diesem Agententhriller, zu dem John le Carré die Vorlage schrieb, haben am Ende alle Dreck am Stecken - nicht nur das erpressbare Schneiderlein, das sich notgedrungen ständig neue Stories von einer Befreiungsbewegung und möglichen Putsch-Versuchen ausdenkt, sondern auch Geheimdienste, Diplomaten und Militärs.Während Spike Lees „Bamboozled“, eine sich hinziehende Satire über rassistische Stereotypen im Showgeschäft, Lasse Hallströms „Chocolat“ oder Giuseppe Tornatores „Malèna“ wenig positive Resonanz bekamen, begeisterte Lone Scherfigs „Italienisch für Anfänger“ (Silberner Bär und Preis der Jury). Die Dänin zaubert mit Stilmitteln à la DOGMA eine menschelnde Tragikomödie, deren Protagonisten auf der Suche nach einem Stückchen Glück einem schnell ans Herz wachsen.In 30 Kinos lief das Gesamt-Programm ab, der Potsdamer Platz - im vergangenen Jahr noch skeptisch beäugt - hat sich als Berlinale-Standort bewährt, die Organisation klappte, als hätte es nie einen anderen Ort gegeben. Gespannt darf man darauf sein, wie die künftigen Chefs Dieter Kosslick (Wettbewerb) und Christoph Terhechte (Forum) das Profil der Berlinale schärfen und neue Binnenstrukturen entwickeln werden. Im Gegensatz zu de Hadeln und Ulrich Gregor stimmt bei den beiden die Chemie, was dem Festival sicherlich nützen wird.
Andreas Kirchhoff: „Loop“ – Musik- und Geräuschcollagen am PC
„Musik wird oft nicht schön gefunden, weil stets sie mit Geräusch verbunden“ – diese Verszeilen von Wilhelm Busch haben sich heute in ihr Gegenteil verkehrt. Musik bildet für Jugendliche oft den Orientierungspunkt ihres Lebensstils. Doch die MTV/VIVA-betriebene Pop-Kultur räumt den Jugendlichen lediglich eine Konsumentenrolle ein. Dabei war es nie zuvor so einfach, eigene musikalische Ideen in die Tat umzusetzen. Dank leistungsfähiger und kostengünstiger Soft- und Hardware kann heute jeder seine eigene Musik produzieren. Nicht mehr die virtuose Beherrschung eines Instrumentes ist die Eintrittskarte in die Welt der Klänge, das Vorhandensein musikalischer Ideen, gepaart mit etwas Grundlagenwissen und Experimentierfreude sind die Voraussetzung, um hörenswerte Eigenproduktionen zu erstellen.Hier setzt „Loop“ anIn Anlehnung an „Viewing Literacy“ ist bei Jugendlichen allein durch den massiven Konsum von Musik ein reicher Fundus an „Listening Literacy“ vorhanden. In Verbindung mit den nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der computergestützten Klangbearbeitung eröffnet sich ein Weg zur Aktivierung dieser kreativ-produktiven Potenziale.
Geräusche und musikalische Versatzstücke können aufgenommen oder von verschiedensten Tonträgern gesampelt und anschließend nachbearbeitet und zu einer neuen Komposition arrangiert werden. Wer seinen Lieblingssong dekonstruiert und zu einem eigenen Stück verarbeitet hat, dem entzaubert sich der Blick auf die Pop-Welt. Durch die Verarbeitung von Geräuschen, die im eigenen Lebensumfeld aufgenommen und anschliessend verfremdet werden, entstehen neue Perpektiven auf die direkte Umwelt. Der persönliche Lebensraum wird in seiner akustischen Dimension erfahrbar gemacht. Und fast nebenbei erhalten die Akteure einen spielerischen, inhaltlich motivierten Zugang zu grundlegenden Bedienkonzepten des Computers.„Loop“ ist als modulares System angelegt, d.h. es setzt sich aus kleinen, in sich geschlossenen Einheiten zusammen, an deren Ende jeweils ein fertiges Medienprodukt steht. Die folgende Einheit baut dann auf den zuvor erstellten Produkten auf. Ideal wären kontinuierlich über ein Vierteljahr stattfindende, zweitägige Workshop-Wochenenden, die sukzessive durch offene Treffs ergänzt werden können, bei denen Jugendliche an ihren Produktionen eigenständig weiterarbeiten können. Dieser Rhythmus ist jedoch keine zwingende Vorgabe, sondern kann flexibel an die Interessen der Jugendlichen und die Gegebenheiten der Einrichtung angepasst werden. Im einfachsten Fall kann „Loop“ aus einer einzelnen, dreitägigen Wochenend-Einheit bestehen.Technik und BetreuungHardwareJe nach Art der Einheit können bis zu zehn Jugendliche mit drei bis fünf handelsüblichen PCs arbeiten. Darüber hinaus werden drei bis fünf Aufnahmegeräte für die Geräuschaufnahme vor Ort benötigt. Es kommen neben Kassettenrekordern auch Diktiergeräte, portable Mini-Disc-Player o.ä. in Frage. Ein Internet-Zugang ist nicht zwingend erforderlich, wenn vorhanden aber von Vorteil. Ebenso ist es bei einzelnen Einheiten hilfreich, wenn die Rechner miteinander vernetzt sind. SoftwareMusiksoftware ist mittlerweile in schier unüberschaubarer Fülle erhältlich, vom simplen Sample-Baukasten bis zur hochkomplexen, virtuellen Studioumgebung. Grundsätzlich sind für „Loop“ zwei Gruppen von Audio-Software relevant:
1. Audioeditoren – sie dienen der Bearbeitung einzelner Sounddateien. Diese können im Editor geschnitten, mit Effekten versehen, in Tempo, Tonhöhe oder Frequenzgang verändert werden.
Der Editor „Cool Edit“ ist als Shareware mit eingeschränktem Funktionsumfang im Internet herunterzuladen (siehe Internetadressen). Wer etwas Geld investieren kann, sollte sich Steinbergs „WaveLab“ oder Sonic Foundrys „Sound Forge“ ansehen. Alle drei Programme bieten umfassende Bearbeitungsmöglichkeiten bei relativ schnell zu erlernender Bedienbarkeit.
2. Sequenzer-Programme – mit Hilfe des Sequenzers lassen sich die verschiedenen Sounddateien zu einem fertigen Titel arrangieren. Auf mehreren Spuren können die einzelnen Sound-Bausteine in einen zeitlichen und dramaturgischen Ablauf gebracht werden. Ein interessantes Sequenzener-Programm bietet die Firma Sonic Foundry mit „Acid Music/Acid Pro“ an. Die Software konzentriert sich aufs Wesentliche und ist sehr leicht beherrschbar. Gute, nicht allzu teure Sequenzer sind außerdem: Steinbergs „Cubasis VST“, Emagics „MicroLogic AV“ oder Cakewalks „HomeStudio“. Für den Einstieg eignet sich besonders „eJay Studio“, das mit einer Reihe von Beispielsamples und –songs aufwarten kann. So kommen gerade auch Anfänger zu schnellen Ergebnissen und werden mit der Materie vertraut.
3. Kleine Tools, wie z.B. Drumeditoren oder Effekt-Plugins sind hilfreich, aber nicht zwingend erforderlich. Ein sehr einfach zu bedienender und zudem kostenloser Drumeditor ist die Software „Hammerhead“. Solche Tools findet man in den einschlägigen Download-Verzeichnissen (siehe Internetadressen). Ausprobieren kann hier nicht schaden, denn es gibt eine Menge oft kurioser Schätze zu entdecken.TeamMindestens eine pädagogische Fachkraft, besser zwei Fachkräfte sollten sich in die Materie einarbeiten, um die Workshops planen und leiten zu können. Die Beherrschung der verwendeten Soft- und Hardware sowie das Vorhandensein musikalischen und tontechnischen Grundwissens, insbesondere im Bereich elektronischer Musik, sollte vorausgesetzt werden. Bei längerfristig angelegten Reihen bietet sich zudem im Sinne des Peer-to-Peer-Teachings die Einbindung von Jugendlichen an, die ihr in vorangegangenen Einheiten erworbenes Wissen an andere Jugendliche weitergeben.
Projektbeschreibung„Loop“ will Jugendliche durch die Vermittlung von Grundkonzepten PC-gestützter Musikbearbeitung dazu animieren, die technischen Möglichkeiten zur selbstständigen Realisierung eigener Ideen zu nutzen. Ausgangspunkt ist dabei ein weit gefasster Musikbegriff, was sich auch an der Entwicklung elektronischer Musikgenres ablesen läßt, die alle möglichen Geräusche – vom Scratch bis zur abfahrenden U-Bahn – in ihre Kompositionen einbinden. So geht es auch bei „Loop“ weniger um die Erstellung „klassischer“ Musiktitel, sondern vielmehr um die Entwicklung von Audiominiaturen, die jedoch, ebenso wie herkömmliche Musiktitel, mit Wiederholung und Rhythmisierung arbeiten und eher kurze, in sich geschlossene Werke darstellen.
Erste Einheit: Sie gibt den Jugendlichen Gelegenheit, sich zwanglos-experimentierend mit den Möglichkeiten vertraut zu machen. Ein Programm mit vorgefertigten Bausteinen, wie z.B. der „eJay“ gibt einen ersten Einblick in den Aufbau eines Songs. Durch die Variation einzelner Bausteine erhält man schnell eine neue „Version“. Im nächsten Schritt können die Jugendlichen einen eigenen Loop erstellen und in den Song einbinden. Hierzu sollten sie eine CD mitbringen. Nun wird ein Stück aus einem Song ausgewählt und eindigitalisiert, also in den Computer aufgenommen. In einem Audio-Editor wird ein Pattern isoliert. Ein Pattern in einem Stück im 4/4-Takt umfasst genau die Dauer von vier Zählzeiten. Das Tempo muss nun noch an den Zielsong angepasst werden. Dann kann der frisch erstellte Loop in den Song eingebaut werden.
Zweite Einheit: Der nächste Schritt besteht darin, eigenes Material zu sammeln und in die richtige Form zu bringen. Jede Geräuschquelle ist gefragt, die Sammlung sollte sich auf keinen Fall auf das Absampeln von CDs beschränken. Die Jugendlichen sollten in zwei- bis dreiköpfigen Teams mit Aufnahmegeräten losziehen und interessante Geräusche aufnehmen. Anschließend werden die Geräusche digitalisiert und zunächst in die Kategorien „Flächensounds“ und „rhythmische Sounds“ verteilt. Jugendliche, die nicht unterwegs sind, können derweil mit einer Software wie „Hammerhead“ einfache Drumloops erstellen. Nun können die Soundfiles in Audioeditoren nachbearbeitet werden. Das Experimentieren mit Effekten und Equilizern fasziniert, da sich die Ursprungsgeräusche oder Stimmen bis zur Unkenntlichkeit verfremden lassen. Die so entstehenden Soundfiles sollten in einer gemeinsamen „Sound-Datenbank“ organisiert werden.
Dritte Einheit: Aus der Sound-Datenbank können sich alle Teams ihre Loops auswählen, die sie zur Erstellung einer eigenen Collage benutzen möchten. Ein Loop gibt den Grundrhythmus und damit das Tempo des Stücks vor. Dies wird in Beats per Minute gemessen. Alle anderen Bausteine, insbesondere alle rhythmusbetonten, müssen nun diesem Tempo angepasst werden. Die vorbereiteten Loops werden nun in das Sequenzerprogramm importiert und auf verschiedene Spuren verteilt. Durch Wiederholung und Variation einzelner Patterns, durch passagenweises Hinzufügen und Weglassen einzelner Elemente erhält das Arrangement eine Spannungskurve. Schließlich lässt sich aus Sprachfetzen eine Art Rap-Gesang kreieren und über die Musik legen. Das Arrangement muss nun noch abgemischt werden und kann als fertiger Song ausgespielt und z.B. auf CD gebrannt oder ins Internet gestellt werden.
Beitrag aus Heft »2001/02: Medien über Medien«
Autor: Andreas Kirchhoff
Beitrag als PDFEinzelansichtMarkus Achatz: „Life is a Miracle“
Das Motto des diesjährigen Kinderfilmfests lautete „Life is a Miracle“ - und in einem Großteil der 14 Spielfilme und 12 Kurzfilme fanden sich auch Momente, in denen die Protagonisten mit Wundern, Magie und Zauberei in Berührung kamen. Im weiteren Sinne sollte es, wie Renate Zylla, die Leiterin des Kinderfilmfests, betonte, auch darum gehen, welche Wunder kindlicher Glaube bewirke – bis hin zur Erkenntnis, dass die jungen Filmfiguren letztlich am weitesten kommen, wenn sie das Vertrauen in ihre eigene Kraft entdecken. Vielleicht trifft das auch ein klein wenig auf die elf Berliner Jungen und Mädchen zu, die sich dem gesamten Kinderfilmfest-Programm stellen mussten, um ganz auf das eigene Urteil bauend den Gläsernen Bären an den besten Film zu vergeben.
Diese Kinderjury wählte „There’s only one Jimmy Grimble“ von John Hay und begründete dies so: „Die Geschichte erzählt von einem Jungen, der lernt, an sich selbst zu glauben. Die überzeugende Darstellerleistung, die klasse Kameraführung und die guten Spezialeffekte haben uns sehr beeindruckt. Die geniale Mischung von Humor, Sensibilität und Spannung hat uns sehr gut gefallen.“Es gibt nur einen Jimmy GrimbleJimmy Grimble (Lewis McKenzie) ist 15 und träumt davon, sein eigenes Leben zu leben. Er wünscht sich mehr Respekt von seinen Klassenkameraden und er liebt Fußball über alles. Aber immer wenn er vor anderen Leuten spielen muss, versagt sein eigentlich grosses Spieltalent. Zu seiner allein erziehenden Mutter Donna (Gina McKee) hat er ein gutes Verhältnis, jedoch macht sich Jimmy Sorgen um sie, weil ihr neuer Freund – ein selbstverliebter Harley-Davidson-Fahrer – auch noch bei ihnen einzieht. Mit Donnas vorherigem Partner Harry (Ray Winstone) hat sich Jimmy weitaus besser verstanden.
Tragischerweise stellte sich eines Tages heraus, dass Harry bereits verheiratet ist.Dann ist da noch Sara (Samia Ghadie), eine neue Mitschülerin, die ähnlich wie Jimmy in der Schule eine Außenseiterrolle spielt. Die beiden mögen sich sehr, aber Jimmy ist in ihrer Anwesenheit zu aufgeregt, um seine Gefühle zeigen zu können. In einer Schule voller „Manchester United“-Anhänger hat es ein „City“-Fan nicht gerade leicht. Jimmy wird zu einem beliebten Angriffs-Ziel. Eines Tages hetzen Gorgeous Gordon und seine Gang Jimmy durch ein Abrissviertel, wo eine sonderbare alte Frau ihm zu Hilfe kommt. Sie versteckt Jimmy in ihrer Abbruchwohnung und schenkt dem Jungen ein paar alte Fußballschuhe, die einem angeblich legendären Spieler namens Robby Brewer gehört haben sollen. Den alten Kicker-Latschen misst Jimmy zunächst keine weitere Bedeutung zu, bis er, der Reservespieler der Schulmannschaft, eines Tages von Trainer Eric Wirral (Robert Carlyle) eingewechselt wird. Er trägt die alten Schuhe und zu aller – vor allem seiner eigenen – Verwunderung schießt er bei der ersten Ballberührung ein grandioses Tor. Ab diesem Zeitpunkt kann Jimmy auch in der Mannschaft und vor Publikum seine spielerischen Fähigkeiten voll entfalten.Auf der Suche nach dem rätselhaften Vorbesitzer seiner Schuhe erfährt Jimmy immer mehr über Trainer Wirral. Der scheint kein großes Interesse an seiner Schulmannschaft zu haben, aber er hat bereits früh an Jimmy geglaubt.
Die Mannschaft schafft es bis ins große Finale der Schulmeisterschaft. Alle kommen zum großen Spiel ins Stadion von Manchester City an der Maine Road. Jimmys Mutter, Sara und auch Harry. Gorgeous sieht in Jimmy seinen großen Rivalen im Team und lässt die magischen Schuhe verschwinden. Das Endspiel wird zur Tortur.Mit Hilfe von Harry und Eric aber wird sich Jimmy darüber klar, dass es im Leben wie auf dem Fußballfeld darauf ankommt, sich auf sich selbst und seine eigenen Gefühle zu verlassen. Er ist nämlich derjenige, der den Ball führt und was mindestens genauso wichtig ist – er ist sich jetzt ganz sicher, dass er Sara küssen möchte. Die Hauptfigur in John Hays Spielfilm ist wirklich einzigartig. John Hay hat für die Hauptrolle des 15-Jährigen insgesamt 3000 Jungen gecastet und in Lewis seine Idealbesetzung gefunden. Vor allem Lewis’ Lächeln und seine Ohren hätten es ihm gleich angetan, sagt der Regisseur. Angesichts der weiteren Besetzung wird die darstellerische Präsenz des Jungen noch beachtlicher. Mit Robert Carlyle, Gina McKee und Ray Winstone spielen gleich drei der aktuellen Top-Actors des britischen Films in Hauptrollen.„There’s only one Jimmy Grimble“ ist ein bisschen wie ein Märchen, wartet aber dennoch mit sehr authentischen realen Figuren auf. Es ist ein Film, der sich über den Fußball hinaus den Themen heutigen Heranwachsens nähert. Es geht um Außenseitertum und Bullying in der Schule, um Ein-Eltern-Familien und um die Suche nach Liebe und einen Platz im Leben. So bezeichnet John Hay seinen Film als eine moderne, urbane Fabel, die davon handelt, wie ein Junge all die Eigenartigkeiten in seinem Leben zu meistern sucht und lernt, an sich selbst zu glauben. „Jimmy Grimble“ ist auch Familienkino: eine Geschichte, die Raum für Humor und Emotionen lässt. Umso mehr erfreulicher, dass dieser Film vom kindlichen und jugendlichen Publikum verstanden und angenommen wurde.Die Auswahl der Musik macht den Film zudem zu einer Ode an England, zu einer Reminiszenz an Manchester und seine Popmusik, die Anfang der 90er als „Manchester Rave“ die Charts eroberte. Der geneigte Pophörer freut sich an Klassikern von Bands wie Charlatans, Inspiral Carpets oder Stone Roses, aber auch neuere Songs aus Manchester von Underworld und Badly Drawn Boy sind im Film zu hören.Nagisa Weibliche Hauptcharaktere hielten sich mit männlichen als zentrale Figuren in etwa die Waage. Ganz besonders in Erinnerung bleibt jedoch Nagisa aus dem gleichnamigen Film von Masaru Konuma.
Der japanische Spielfilm ist eine Adaption eines Comics von Musakami Motoka. Allerdings hat die Inszenierung des 63-jährigen Regisseurs keineswegs die kurzatmige, oberflächliche Ästhetik eines Cartoon-Heftes. Masaru Konuma hat seit seinem Debüt 1972 rund 50 Filme gedreht. Er lässt der Geschichte und damit dem Mädchen Nagisa viel Zeit, sich weiterzuentwickeln. Nagisa (Madoka Matsuda) ist zwölf Jahre alt und lebt zusammen mit ihrer Mutter (Yuko Katagiri) in Enoshima, einem Badeort in der Nähe von Tokio. Es ist ein Sommer in den 60-er Jahren und Nagisa verbringt die meiste Zeit an einem von Touristen unentdeckten Strand. Die Kinderfreundschaft zu ihrer gleichaltrigen Nachbarin Noriko langweilt sie und Nagisa beginnt sich für andere Dinge zu interessieren. Um sich ihren größten Wunsch, ein eigener Schallplattenspieler, erfüllen zu können, jobbt sie im Strandrestaurant ihrer Tante. In jeder freien Minute findet man sie aber in ihrer kleinen Bucht am Meer. Eines Tages trifft sie dort auf Hiroshi, einen gleichaltrigen Jungen aus Tokio, der seine Ferien damit verbringt, Angeschwemmtes zu sammeln. Jeden Tag behält er ein Fundstück, das ihm wichtig erscheint. Nagisa trifft sich nun regelmäßig mit Hiroshi und bringt ihm das Schwimmen bei. Der Junge stoppt mit seiner Uhr die Schwimmrunden von Nagisa und hat sich dafür einen Kuss verdient. Im Restaurant ihrer Tante taucht gelegentlich Nagisas etwas ältere Cousine Reiko auf. Sie hat schon einen richtigen Freund, der sie in einem extravaganten Cabrio abholt. Nagisa darf aber auch bei Ausflügen mitfahren und erlebt dabei eine ausgelassene Strandparty. Ihr Drang nach Abenteuern steigt und das Mädchen saugt förmlich die Erlebnisse in sich auf. Voller Neugier lässt sie sich auf Anraten von Reiko eine Dauerwelle legen.
Aber Hiroshi möchte sie damit doch nicht begegnen und sie verschiebt ihr nächstes Strandrendezvous mit ihm auf den nächsten Tag. Nochmals beim Friseur, möchte sie die Haare kurz haben, so wie es ihr selbst gefällt. Das Mädchen wagt einen weiteren Schritt hin zum Abschied von der Kindheit. Als Nagisa zum Strand eilt, um Hiroshi zu treffen, muss sie erfahren, dass er ertrunken ist.Masaru Konuma erzählt eine Geschichte, die sich trotz denkwürdiger und trauriger Momente außerordentlich elegant, auch humorig und freudig gibt. Konuma wird nie sentimental, sondern vermittelt eher ein melancholisches Gefühl. Die Geschichte wird dabei konsequent aus der Sicht des Mädchens erzählt und spiegelt dessen Gedanken und Empfindungen. Madoka Matsuda spielt entspannt und unaufdringlich und gewährleistet dadurch die besondere Atmosphäre des gesamten Films. Die Sonne glitzert im Wasser und der Sand im seichten Gewässer – wo Nagisa so gerne sitzt – wirkt warm und weich. Sogar die Gerichte im Strandlokal, die das Mädchen oder die Tante servieren, dampfen und duften förmlich von der Leinwand. Verstärkt wird diese Wirkung durch eine subtile und intensive Schnitt-Rhythmik. Diese wechselt die Tempi und Einstellungslängen auf sehr organische Weise.An das Bunte und Punktuelle der Comic-Vorlage erinnert in unterhaltsamen Momenten die quirlige Tante, wenn sie theatralisch und in höchstem Tempo ihre Gäste im Lokal bedient, die farbig-schrille Cousine Reiko in ihrer lauten und aufdringlichen Art sowie ihr cooler Verehrer mit Haartolle, riesiger Sonnenbrille und pastellfarbenem Cabrio. Diese Sequenzen fügen sich dennoch sehr kunstfertig in die sehnsuchtsvolle Gefühlswelt Nagisas ein. Mehr als verdient hat die Internationale Jury des Kinderfilmfests – bestehend aus fünf Filmfachleuten – den Preis des Deutschen Kinderhilfswerkes 2001 an „Nagisa“ verliehen.
Erwin Schaar: Im Reich der Schatten
Der Kenner der Filmgeschichte wird sich vor allem an Lotte Reinigers „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ (1923) erinnern, wenn er nach einem Silhouettenfilm gefragt wird. Die Schattenfiguren mussten dabei die Handlung im Profil vorstellen, daher konnte sich das Geschehen nicht mit psychologischer Feinheit entwickeln, sondern die Umrisslinien der Figuren bestimmten den Lauf der Ereignisse.Nur ein scheinbarer Widerspruch dazu ist die Physiognomielehre Caspar Lavaters (1741 - 1801), der in seinen Gesichtssilhouetten das wahrhaftigste Abbild des Menschen, also geradezu die offen gelegte Psyche sah; er stilisierte den Schattenriss zum „Gotteswort“! Aber Lavaters Gesichter bewegten sich nicht und so konnte er in deren Begrenzungslinien das seiner Ansicht nach Objektive des Geistes und des Charakters zum Ausdruck bringen.
Der große Spötter Lichtenberg hat als Herausforderung an Lavater einen „Beytrag zu den Physiognomischen Fragmenten“, sein „Fragment von Schwänzen“ dagegengesetzt!Mit solchen Wahrnehmungsfragen kann man sich im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses auseinandersetzen, in dem noch bis Anfang Mai eine (er)kenntnisreiche Ausstellung zu durchwandern ist, der diese Aufforderung zum Nachdenken über unser visuelles Kommunikationsvermögen beim Lesen des Ausstellungstitels gar nicht zugetraut wird. Ist doch die Herstellung von Schattenbildern oder Scherenschnitten eher mit dem kindlichen Spiel gedanklich verbunden. Was aber wiederum kein Widerspruch zu sein braucht, weil doch Kinder die Wahrnehmung Erprobende und Lernende sind.Die vorzüglich präsentierte Ausstellung in dem mächtigen Raum des Kunstbaus - das ist Museumsdidaktik ohne dass sie als solche dem Betrachter bewusst wird - geleitet uns von Lavaters Fragmenten über Goethes lebensgroße Schattenrisse hin zu den aktuellen künstlerischen Umsetzungen des Verfahrens bei Felix Droese oder Mario Merz, zum Beispiel. Fotogramme von Floris Neusüss zeigen fotografische Verfahren, die auch Picasso angewandt hat (auch in der Ausstellung), Cutouts von den dem Ornamentalen ergebenen Künstlern und - sehr überzeugend als Wahrnehmungsexperiment - die großflächigen Figuren-Schnitte einer Kara Walker, die wegen ihrer charakteristischen Silhouettenhaftigkeit auf den ersten Blick wie Kinderbuchillustrationen wirken, bis man die knallharten Inhalte der schwarzen Gestalten erkennt.
Die Darstellungen in der Schwebe, zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, werden durch ihre „schwarze, undifferenzierte Binnenform zur Projektionsfläche für den Betrachter, während ihre äußere Grenzlinie alleiniger Informationsträger bleibt“ meint das Presseblatt zur Ausstellung, deren genau zu betrachtende Vielfalt auch eine Herausforderung an das Zeitbudget des Betrachters stellt. Ein schöner und erklärungstüchtiger Katalog bringt Abbildungen vieler Exponate und gibt über die historische Entwicklung und die Wirkung Aufklärung.Marion Ackermann: SchattenRisse. Silhouetten und Cutouts. Hatje-Cantz Verlag, Ostfildern 2001, 323 S., DM 68,- an der Museumskasse, sonst DM 98,-Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, Luisenstr. 33, 80333 München; Tel. 089/ 233320,
Erwin Schaar: Das kurze 20. Jahrhundert in Afrika
Seit der Nigerianer Okwui Enwezor zum Direktor der 11., der kommenden documenta bestellt wurde, scheint auch die moderne Kunst Schwarzafrikas in den Intellektuellenzirkeln mehr wahrgenommen, bzw. ernster genommen zu werden als all die Jahre zuvor. Die Liebhaber, Sammler und Kenner der sogenannten Stammeskunst, der primitiven Kunst, die selbst schon ein ritualisiertes Verhältnis zu diesen Masken, Figuren, Fetischen, Gebrauchsgegenständen entwickelt hatten, brachten das Verständnis für Afrika damit keinen Deut weiter, weil sie diese von ihnen verehrten Artefakte einem eurozentrischen Auswahlverfahren unterwarfen, was noch dazu in feinsinniges Spezialistentum abtriftete und eine Entwicklung nicht zuließ, bzw. nicht zur Kenntnis nahm. Sie wollten Anhänger des Exotismus bleiben.Nun kommt ein Kurator aus dem immer noch unbekannten Erdteil des Weges, der seine Ausbildung zwar in Amerika absolviert hat, für den trotzdem vorrangigen Stellenwert hat, was Afrikaner der verschiedensten Staaten, nicht unabhängig von der weißen Welt, aber in Reflexion mit deren Einflüssen, als ihren Ausdruck reklamieren und deklamieren.
Die Ausstellung und das dickleibige englischsprachige Katalogbuch müssen in gegenseitiger Ergänzung gesehen werden. Enwezor hat dazu in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (28.2.01) gesagt: „So wie die Ausstellung die Unabhängigkeitsbewegung in Afrika seit 1945 in einer visuellen Sprache vermittelt, präsentiert das Buch eine präzise Grundlage der gegenwärtigen afrikanischen Ästhetik in den einzelnen Ländern...Ausstellung und Buch sollen den Bildern, die der Kolonialismus hinterlassen hat, eine neue Sicht entgegensetzen auf das, was afrikanische Identität sein könnte oder sein wird.“ Und das ist vielleicht der wichtige Ansatz Enwezors, der der einstigen Ideologie der Négritude (Aimé Césaire, Léopold Sédar Senghor) eine politisch und wirtschaftlich zukunftsweisende Überzeugung entgegensetzt, oder besser, diese Ideologie öffnet: „Es geht nicht um die Geschichte der Schwarzen Afrikas, sondern um die komplexen Beziehungen der Volksgruppen untereinander, seien es Araber, Inder, Schwarze oder Weiße, die alle Afrika ausmachen.“Enwezor hat an dieser Ausstellung noch vor seine Berufung zum Ausrichter der documenta zu arbeiten begonnen. In drei Jahren Arbeit hat er eine Dokumentation von Malerei, Grafik, Textilien, Fotos, Videos, Skulpturen, Architekturmodellen, Literatur zusammengestellt, die in einer solchen Dichte und Mischung präsentiert wird, dass oft ein Exponat das andere auditiv oder visuell übertönt. Also nicht die Bewunderung des Einzelnen steht bei Enwezor im Vordergurnd, sondern die Betrachtung einer kulturellen Bewegung, deren Dinge ineinander greifen, wo das ästhetische Objekt nicht von der politischen Bewegung zu trennen ist. Enwezor wird, nach dem Augenschein dieser Präsentation, wahrscheinlich für die nächste documenta ein noch radikaleres Konzept entwickeln als Catherine David für die 10te.
Gar mancher Besucher dürfte dort wohl nach der Galeriekunst vergeblich suchen. Und vorbereitet wird dieses Konzept auf dezentralen Diskussionskongressen, sogenannten Plattformen in vielen Städten der ganzen Welt, in Wien, Berlin, Neu Dehli, Dakar, Kinshasa oder Johannesburg, wo überall die „Story of my Experiment with Truth“ geschrieben wird, wie das Katalogbuch in Kassel heißen wird, und welcher Titel einem Buch Gandhis entlehnt ist.Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, 81675 München, Tel. 089/ 4555510.Die Ausstellung wird nach München in Berlin gezeigt und dann nach Chicago (Museum of Contemporary Art) und New York (Museum of Modern Art) weiterwandern.Das Katalogbuch „The Short Century“ ist im Prestel Verlag, München erschienen, 484 S. mit ca. 450 Abb., DM 128,-, als Katalog in der Ausstellung DM 68,-)
Erwin Schaar: Kurt Schwitters. Aller Anfang ist MERZ - Von Kurt Schwitters bis heute
Manche nennen es „Karriere“, manche weniger wertbesetzt „Lebenslauf“, diese Collage von Einflüssen, Ereignissen, Glück und Unglück, Schicksal, Förderung und Missachtung. Der Wegbereiter der Collage in der modernen Kunst, Kurt Schwitters, mag Leben als das Zusammengeschnittene, Geklebte, Zusammengeklaubte als Voraussetzung für ein Ausdrucksverlangen angesehen haben, das es dann in Formen zu bringen gilt, die einen gewissen ästhetischen Anspruch erfüllen. Und sein Schaffensmotto „merzen“ entnahm er dem zufällig gefundenen Kürzel MERZ, als er die Autoaufschrift „COMMERZ“ in einer Lücke entdeckte. Eine kleine Anekdote, auch dem Zufall des Lebens entnommen.
München als letzte Ausstellungsort nach Düsseldorf und Hannover dieser in der Form konzipierten Ausstellung um den Mitbegründer des Dadaismus zeigt neben den gegenständlichen Bildern von Schwitters’ Anfängen, die durchaus passable wenn auch keine eigenständige Malerei sind, die Werke seiner MERZ-Phase, also die Collagen, gemischt mit den Bildern, Objekten, Installationen und Videos weiterer 37 Künstler, die in seiner Nachfolge ‘eingeordnet’ werden können. Dazu steht buchstäblich im Mittelpunkt der Präsentation die Rekonstruktion von Schwitters’ Merzbau, einem Ambiente, das sich einst in seiner Wohnung in Hannover über mehrere Stockwerke erstreckte und das Ausdruck seiner Collage-Phantasien in einer räumlichen Gestaltung war.
Die Bomben des 2. Weltkriegs zerstörten das Original.Schwitters wollte das Leben „entformeln und vermerzen“. Vielleicht könnte man ihn, auf den sich so viele Stilarten der modernen Kunst beziehen - Abstrakter Expressionismus, Pop Art, Neo-Dada, Nouveau Réalisme, Fluxus -, auch einen Dekonstruktivisten nennen, der mit seinem Prinzip auch Architekturstile und womöglich die Filmkunst beeinflusste. Ganz zu schweigen von seinen literarischen Experimenten und Toncollagen, von deren Anregungen heute noch mehr oder weniger experimentelle Hörstücke leben.Schwitters (1887 - 1948) floh als ‘entarteter’ Künstler 1937 aus Deutschland und kehrte auch nie mehr zurück. Er erlebte seine Wiederentdeckung und die ersten Versuche derer, die von seinem Stil beeinflusst wurden, nicht mehr. Und von diesen Nachfolgern, denen nichts Epigonales eigen ist, kann man in dieser Ausstellung eine Menge zu sehen bekommen.
Fast gilt es sie in der Zusammenschau mit Schwitters’ Werken neu zu entdecken, mit Lust und Spaß zu betrachten: ob es sich nun um die Schichtungen von Gläsern von Tony Cragg, die Objektkästen von Beuys, die fulminante Ansammlung von Kitschobjekten durch die Kanadierin Laura Kikauka oder das sich wie durch enge Räume windende Videobild des Deutschen Gregor Schneider handelt, der sein Haus immer mehr verschachtelt und zum Irrgarten werden lässt, den er mit der Kamera wie einen unbekannten Höhlengang durchmisst.Man möchte eigentlich nur wünschen, dass die Ausstellung mehr von dem alltäglichen Leben hereingeholt hätte, um Schwitters’ Aussage zu verwirklichen: „Merz ist Konsequenz. Merz bedeutet Beziehungen schaffen, am liebsten zwischen allen Dingen der Welt“.
Und wenn der Pressetext vom Künstler und Antikünstler, Revolutionär und Traditionalisten, Bürgerschreck und Kleinbürger spricht, hoffte man, dass dieser kreative Spötter und künstlerische Phantast auch in seiner sozialen Dimension gesehen und den nur Kunstsinnigen und Ästheten entrissen würde. Denn Kunst ist Leben und Leben muss auch - zumindest ein wenig - Kunst sein.Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, 80538 München, Tel. 089/ 21127123. Der Katalog, herausgegeben von Susanne Meyer-Büser und Karin Orchard (347 S. mit vielen Abb.) ist im Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2000 erschienen und kostet in der Ausstellung DM 68,-, im Buchhandel DM 98,-.
Trygve Panhoff: Wissen um Medien und emotionales Lernen
Massenmedien vermitteln uns Informationen auf mehreren Ebenen. Statt jedoch das emotionale Potential zumal der Musik- und Bildmedien zu nutzen und weiterzuentwickeln, betrachtet die Institution Schule sie oft als Gefahr, vor der man Schüler schützen muss. Nach wie vor gilt das intellektuelle Niveau in den schulischen Lehrplänen als vorrangig gegenüber der somit stark vernachlässigten emotionalen Ebene. Zwar lässt allmählich ein besseres, offeneres Medienverständnis der jüngeren Generation auf eine Einstellungsänderung hoffen, doch ist dies ein zeitraubender und keineswegs einfacher Prozess.
(merz 2001-02, s. 122-125)
kolumne
Jürgen Hüther: Ein vergessenes Schulhaus in Tiefensee
Adolf-Reichwein-Straße 13, ein unauffällig farbloses Haus, grauer Rauputz, stellenweise ausgebessert, rückwärtig einige Spielgeräte, Bäume, Sträucher, ein kleiner Garten. Das Gebäude fügt sich nahtlos ein in die Reihe seiner ebenso bescheidenen Nachbarn. Die Vorstellung fällt schwer, dass an diesem Platz in den 30er Jahren lebhafter Schulbetrieb herrschte und mit Adolf Reichwein ein Lehrer tätig war, der hier zu Zeiten finsterer Diktatur und ideologischer Unterdrückung seine Schüler zu mündigen Selbstdenkern erzog. Auf den Spuren dieses couragierten Pädagogen bin ich in Tiefensee, einem Straßendorf zwischen Berlin und Bad Freienwalde an der B 158, die im Ort seinen Namen trägt. Sechs Jahre unterrichtete Adolf Reichwein hier. Nach eigenem Bekunden lebte er gern, wenn auch beengt, im Tiefenseer Schulhaus, gleichzeitig seine Wohn- und Arbeitsstätte. „Tiefensee liegt 36 km von Berlin, hat 270 Einwohner und 30 Schulkinder. Landschaftlich sehr schön...an der Strausberger Seenkette, umgeben von großen Wäldern, in einer leicht beschwingten Hügellandschaft. Wir genießen die Stille“ (aus Reichwein-Briefen 1933).
Hier hat Reichwein sein reformpädagogisches Schulmodell entworfen und praktiziert, und hier hat er vor 65 Jahren an einer bemerkenswert modernen Filmdidaktik und an einer Schulung zum kritischen Sehen gearbeitet, die über die Stufen des betrachtenden Erfassens und der analysierenden Reflexion zu medienbezogenem und medieneinbeziehendem Handeln führen soll. Vom Schauen zum Gestalten, der Untertitel seiner 1938 erschienenen Veröffentlichung „Film in der Landschule“, bündelt gleichsam formelartig Reichweins medienpädagogisches Programm und darüber hinaus sicher auch seine grundlegende Zielsetzung, den Menschen vom kritischen Betrachten der Dinge zu deren Verstehen und aktiver Mitgestaltung zu führen. Das ehemalige Schulhaus, vor dem ich stehe, beherbergt heute eine Kindertagesstätte der Gemeinde Werneuchen, der Tiefensee verwaltungsmäßig angegliedert ist. Die Gedenktafel an der Vorderseite des Gebäudes teilt mit: Adolf Reichwein 1898 – 1944Hochschullehrer in Halle an der Saale1933 seines Amtes enthobenAngehöriger des Kreisauer Kreisesim Widerstand gegen den Nationalsozialismusam 20.10.1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet,als Lehrer an diesem Ort 1933 – 1939 schuf er eine humane, lebendige Schule.
Ein Straßenname und eine Wandinschrift, ist das alles, was an den großen Pädagogen erinnert? Die Standesbeamtin von Werneuchen, selbst aus Tiefensee stammend, bejaht dies mit Bedauern. Die Stadt hat gegenwartsbezogene Sorgen, da zählt Vergangenheit nicht, erst recht nicht die einer wirtschaftlich schwachen Exklave, an der der Aufbau-Ost bisher vorbei ging. Blühende Landschaften nur während des ländlichen Sommers.Margot Hönsch wohnt direkt neben dem Schulhaus, sie war vor mehr als sechs Jahrzehnten Schülerin bei Reichwein: „Seit der Wende hat sich Tiefensee zum Nachteil verändert. Wir hatten früher mehrere Gaststätten, Schuster, Bäcker, Gärtner. Jetzt haben wir nichts. Die Geschäfte machen alle zu. Hier am See hat sich aus Westdeutschland einer alles gekauft und sich breit gemacht. Für uns ist das nicht mehr unser See. Wie schön Tiefensee früher war, ist fast schon vergessen. Auch Adolf Reichwein.“Vergessen jedenfalls von den regierenden Sozialdemokraten in Potsdam und Berlin, deren Friedrich-Ebert-Stiftung Adolf Reichwein in einer Festschrift als einen ihrer ganz Großen feiert: „Gerade in seinen letzten Lebensmonaten (vor der Hinrichtung durch die Nationalsozialisten, Anm. des Verf.) wurde deutlich, mit welcher Konsequenz sich das Leben dieses sozialdemokratischen Pädagogen und Regimegegners vollendete...Wegen seiner geistigen Offenheit und seines politischen Selbstbewusstseins wurde Reichwein nicht immer angemessen gewürdigt.“1 Hier vor Reichweins Wirkungsstätte wird klar, wie unverändert dies auch heute gilt. Gibt es in Brandenburgs Kultusetat keine Mittel für eine adäquate Gedenkstätte, für die Einrichtung einer schul- und medienpädagogischen Dokumentations- und Forschungsstelle etwa? Oder fehlt das Interesse, fehlt das Gespür für die Leistung, die Reichwein hier in Tiefensee vollbrachte? Reichweins ehemals lebendige Schule, Wirkungsraum seines schaffenden Schulvolks, zeigt sich gegenwärtig, trotz Kinderhort, als ein sträflich vernachlässigtes Gebäude, als deprimierend lebloser Ort. Die Vergesslichkeit heutiger Politik gegenüber einem der wenigen politisch und ethisch konsequent handelnden Pädagogen im Dritten Reich schmerzt.
1 Peter Steinbach: Für die Selbsterneuerung der Menschheit. Zum einhundertsten Geburtstag des sozialdemokratischen Widerstandkämpfers Adolf Reichwein. Bonn 1998, S. 42f.
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