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Antje Müller: Gender und Gaming

    Zur Person

    Hahn, Sabine (2017). Gender und Gaming. Frauen im Fokus der Games-Industrie. Bielefeld: transcript. 226 S., 34,99 €.

    Spielen ist ein zentraler Bestandteil verschiedenster Kulturen. Es ist nicht nur unterhaltend oder dient eskapistischen Motiven, vielmehr transportiert es eine Fülle an kulturtypischen Besonderheiten, Normen und Werten. Ganz allgemein genießt Spielen aber auch gesellschaftsübergreifendes Ansehen, das mit seinem interaktionistischen Charakter mit Leichtigkeit soziale Gruppen zusammenführt, Fremdheit in Freundschaft verwandelt und sich dabei einem zur Sprache alternativen Kommunikationsmedium bedient. Diese positive Zuschreibung, oft verbunden mit einer freudigen, kindlichen Erinnerung, stand lange Zeit in Kontrast zum Ruf digitaler Spiele. Verpönt als ‚Killerspiele‘, die nicht zuletzt durch vermehrte Amokläufe skandalisiert wurden, galten sie allein durch ihre Neuartigkeit in der Medienlandschaft als verhaltenspsychologisch riskant.

    Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts konnten sie einen kulturellen wie auch wirtschaftlichen Aufstieg verzeichnen. Als fester Bestandteil des Medienalltags breiter Bevölkerungsschichten erreichen digitale Spiele inzwischen jeden zweiten Deutschen und gelten seit 2008 ganz offiziell als Medium mit Kulturgutcharakter. Entwicklungen wie diese fördern digitale Spiele in ihrer Zugänglichkeit für Randgruppen. Führende Personen des öffentlichen Lebens und der Politik zeigen eine höhere Aufgeschlossenheit, aber vor allem auch weibliche Spielerinnen interessieren sich zunehmend für die immer vielfältiger werdenden Spieledesigns und -content. Unlängst stellen Gamerinnen mit einem Anteil von rund 50 Prozent eine wirtschaftlich hoch relevante Zielgruppe dar, die nicht zuletzt die Kaufentscheidungen männlicher Familienangehöriger treffen.

    Die ehemalige Games-Entwicklerin, Sabine Hahn, unternimmt aus diesem Grund mit ihrem Werk Gender und Gaming den notwendigen Schritt, digitale Spiele von ihrem überholten ‚Boys Toys‘-Image zu lösen und verdeutlicht, dass Konsuminteressen weiblicher Gamerinnen und die erhöhte Offenheit gegenüber Games-Entwicklerinnen eine stärkere Berücksichtigung finden sollten. Ausgehend vom theoretischen Ansatz des Virtuous Cycle untersucht sie das ‚Henne-Ei-Problem‘, dass der Annahme unterliegt, dass der wachsende Anteil der von weiblichen Spielerinnen bevorzugt gespielten Games zusammen mit einer erhöhten Unterstützung der im Arbeitsumfeld integrierten weiblichen Werte sowie Arbeitsstile dazu führt, dass sich mehr Mädchen und Frauen für Games interessieren. Der Virtous Cycle bewirkt dementsprechend die Herstellung solcher digitaler Spiele, die sich insbesondere an Frauen und Mädchen wenden, weil mehr Entwicklerinnen an Games arbeiten und dieser Umstand wiederum dazu führt, dass mehr Spiele entstehen, die Frauen und Mädchen anziehen. Als Kulturwissenschaftlerin, Soziologin und Journalistin untersucht Hahn, die selbst zehn Jahre in der englischen, koreanischen und amerikanischen Spieleindustrie beschäftigt war, konsequenterweise die weiblichen (Konsum-)Interessen und Bedingungen zur Schaffung attraktiver Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Frauen und Mädchen.

    Sie widmet sich in der Publikation der Wirksamkeit des sozio-kulturellen Geschlechts und dessen Rolle in der Gamer-Industrie und -Kultur. Der Grundannahme folgend, dass alle Ebenen in einem positiven Zusammenhang des Virtuous Cycle stehen, konzentriert sie sich darüber hinaus auf die Situation der Frauen innerhalb der Unternehmen der Spieleindustrie und erörtert unterschiedliche Fragestellungen im Hinblick auf Frauen und digitale Spiele. Der Band beschäftigt sich ausführlich mit der Begriffsbestimmung und Einordnung digitaler Spiele. Es werden nicht nur Definitionen aus unterschiedlichen kommunikations- und kulturwissenschaftlichen Perspektiven herausgearbeitet, sondern parallel auch die Relevanz und das Erkenntnisinteresse digitaler Spiele als Kulturgut, als Medium und als Wirtschaftsfaktor transparent gemacht. Innerhalb der theoretischen Perspektiven bedient sich Hahn grundlegenden Erkenntnissen der Games Studies, arbeitet Genderaspekte in Games und Gaming heraus und erläutert die Wirkweise des Virtuous Cycle.

    Dieser eröffnet eine spannende neue Sicht auf das Forschungsfeld der Computerspiele und unterstreicht die Forderung nach Diversity, welche sich implizit an die marktentscheidenden, an der Formung und Internalisierung von stereotypen Werten und Einstellungen beteiligten Urheberinnen und Urheber richtet. Das Wirkkonzept sowie die Tragweite des Virtuous Cycle verdeutlicht Hahn unter anderem durch Exkurse zu Die Sims, das erstmals einen meßbaren, wirtschaftlichen Erfolg bei Gamerinnen erzielte. Weitere Ausführungen, wie zur #GamerGate- Debatte oder zum Girl Game Movement, vermitteln darüber hinaus wichtiges Insiderwissen und eine kritische Auseinandersetzung mit bisher eher unterbeleuchteten Entwicklungen in der Computerspielbranche. Im zweiten Teil des Bandes setzt sich Hahn intensiv mit dem Forschungsstand zu Frauen und digitalen Spielen auseinander, wobei es ihr gelingt, sowohl die wichtigsten Vertreterinnen und Vertreter aus dem Fachbereich Gender und Games mit deren aktuellsten Forschungsergebnisse zu bündeln als auch eine hochgradige Internationalität abzubilden.

    Einen stärkeren synoptischen und wissenschaftlich-analytischen Blick kann und will dieser Band zwar nicht leisten, dafür unterstützen die gesammelten Ergebnisse jeden wissenschaftlich Interessierten und Arbeitenden bei der Gewinnung eines Überblicks über das noch junge Forschungsfeld. Abgesehen von einer mitunter auftretenden inhaltlichen Überschneidung wird mit einer einfachen und verständlichen Sprache und mithilfe zahlreicher Studien- und Hintergrundinformationen die wissenschaftliche und wirtschaftliche Relevanz des Themas nachvollziehbar gemacht. Auch wenn der Einsatz einer gendersensiblen Sprache den Eindruck des Bandes nicht gemindert hätte, wurden wichtige neue Aspekte wie die Bedeutsamkeit von Games als Werte- und Rollenmodell- Lieferant oder die Relevanz von Narration in Games sowie die sozialen und ökonomischen Auswirkungen des Geschlechts bei der Produktentwicklung zu Tage gefördert.

    Der Fokus im Gender- und Gaming- Diskurs auf den Virtuous Cycle als Kernursache für die Abwesenheit von Interessentinnen und Konsumentinnen hätte mit einer Ausweitung des Blicks auf andere relevante Ursachen, die beispielsweise der strukturellen Gewalt inhärent sind, noch abgerundet werden können. Insgesamt liefert Gender und Gaming eine empfehlenswerte Überblicksarbeit mit einem ersten Zugang auf die Expertenperspektive der Produzenten zu einem kulturell bedeutsamen Forschungsgebiet. Im Wirkkreis der Computerspiele werden Frauen als relevante Zielgruppe betrachtet, die nicht nur als Konsumenten Schnittpunkte liefern, sondern zugleich auch in der Spielindustrie sowie als Spielfiguren Einfluss auf die Entwicklung stereotyper Wertvorstellungen nehmen. Die Publikation präsentiert sich mit eine gelungenen Verzahnung unterschiedlichster Forschungsperspektiven und lädt mit einem zu Recht erhaltenen Platz im Forschungsbereich der Gender und Games Studies zur näheren Überprüfung des Virtuous Cycle ein.

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