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Astrid Dinter: Spieleentwicklung und Religion

    Zur Person

    Piasecki, Stefan (2016). Erlösung durch Vernichtung?! Religion und Weltanschauung im Videospiel. Eine explorative Studie zu religiösen und weltanschaulichen Ansichten junger Spieleentwickler. Kassel: kassel university press. 1.033 S., 69 €.

    Videospiele stellen ein globales Kulturphänomen dar, „welches den Alltag in vielfältiger Form immer weiter durchdringt“ (S. 13) – so Piasecki. Seine explorative Studie „will zu Kommunikation zwischen unterschiedlichen und bislang getrennt voneinander agierenden Disziplinen beitragen, indem sie nach Religion und Weltanschauung in Videospielen fragt und […] mit Spieleentwicklern ins Gespräch kommt“ (S. 16). Dieser Fokus auf die Spieleentwicklerinnen und -entwickler hin ist im Forschungsdiskurs selten zu finden. Dabei sind es die Entwickelnden und Spieledesignerinnen und -designer, „die letztlich darüber entscheiden, Inhalte religiöser (oder politischer, kultureller usw.) Art in einem Spiel zu vermitteln oder nicht“ (S. 18). Medienwirkung braucht für Piasecki immer das Zusammenspiel von Sender und Empfänger.Piasecki untersucht in Erlösung durch Vernichtung?! zunächst, was Video- bzw. Computerspiele genau sind, wobei er deren historische Genese in den Blick nimmt.

    Dabei berücksichtigt er Erkenntnisse der Wirkungsforschung bzw. zentrale Erkenntnisse der Game Studies. Er fragt nach der Beziehung von Religion zu Videospielen und nimmt eine dezidiert religionspädagogische Einordnung vor. Die Religionspädagogik dient dabei als „Verbundwissenschaft, die die Schnittstellen zwischen Medienwissenschaften, Sozialforschung und der Theologie“ (S. 70) markiert.An die ausführliche medienpädagogische und religionspädagogische Analyse schließt Piasecki seine empirische Studie: Er orientiert sich methodisch an der hypothesengeleiteten, onlinegestützten quantitativen Befragung, lässt aber individuelle Kommentare zu, die dem quantitativen Setting eine qualitative Erweiterung verleihen. Piasecki wählt ein quantitatives Setting, um die Daten so besser bearbeiten zu können und die Anonymität der Befragten in der engen Spieleentwickler-Community zu wahren. Er befragt die Teilnehmenden der Games Academy Berlin, „einer Bildungseinrichtung mit dezidiert überregionalen Einzugsgebiet“ (S. 590), die die Wiederholbarkeit der Studie garantiert sowie einen Vergleich mit anderen Jugendstudien zulässt, da es sich bei den Untersuchten um noch in der Ausbildung befindliche Spieleentwickelnde handelte. Der Frageboden selbst enthält mediensoziologische, rezeptionspsychologische, individuell medienhistorische und weltanschauliche Themenstellungen.

    So soll ein Einblick in das Denken von Spieleentwicklerinnen und -entwicklern gewonnen werden. Von den 59 Befragten gaben sich 36 Personen als männlich zu erkennen, elf Personen waren weiblich, zwölf Personen machten keine Angaben zu ihrem Geschlecht. Piasecki kommt zu dem Ergebnis, dass Spieleentwicklerinnen und -entwickler nicht uninteressiert sind an gesellschaftlichen und politischen Themen. Dabei besteht eine grundsätzlich vorhandene Bereitschaft, die selbst vertretenen Meinungen und Überzeugungen in Spiele zu transferieren. Spieleentwickelnde halten es für möglich, „dass gesellschaftliche Diskurse durch Videospiele inspiriert, initiiert und begleitet werden können“ (S. 708). Allerdings widersprechen „die allmeisten der Befragten angehenden Spieleentwickler den gängigen Auffassungen gelebter Religion deutlich“ (S. 704). Auch werden traditionelle Kirchen und Religionsgemeinschaften stark abgelehnt.Zusammenfassend stellt Piasecki fest, dass Spiele wie auch Medien allgemein Selbstsozialisierungsprozesse begleiten und dabei religiöse Dimensionen und Aspekte umfassen. Die Spieleentwicklerinnen und -entwickler bedienen sich natürlich aus dem religiösen und mythischen Fundus ihrer Herstellungskultur, ebenso wie Autorinnen und Autoren oder bildende Künstlerinnen und Künstler. Videospiele werfen, ebenso wie der Film, ethische und moralische Fragen auf und ermöglichen so einem Publikum, das sonst nicht erreichbar wäre, Zugang zu derartigen Fragestellungen.

    Die Studie zeichnet sich dadurch aus, dass sie einen für die religionspädagogische Diskussion neuen Fokus wählt, nämlich den auf Spieleentwickelnde. Dieser Ansatz wurde bisher im Diskussionsfeld ‚Religion und Computer‘ noch nicht berücksichtigt. Piasecki hat dabei konsequent die Sender- und Empfängerperspektive im Blick. Seine religionspädagogischen und medienpädagogischen Ausführungen sind durchweg fundiert. Der Aufbau der Studie ist stringent. Methodisch ist zu fragen, ob das Forschungsinstrumentarium nicht doch noch um einen qualitativen Zugang erweitert werden sollte. Piaseckis Augenmerk auf die Wahrung der Anonymität wäre dabei jedoch Rechnung zu tragen. Ein qualitativer Zugang – über die Einzelkommentare hinaus – würde die Ergebnisse noch verdichten und die unterschiedlichen Dimensionen religiöser Themen noch deutlicher aufzeigen. Angezeigt ist ein weitergehender Umlauf der quantitativen Studie, die die Anzahl der untersuchten Spieleentwicklerinnen und -entwickler steigern würde. Dies ist in jedem Fall sinnvoll, da eine Untersuchung mit 59 Probanden noch im explorativem Charakter verbleibt. Die Publikation Erlösung durch Vernichtung?! richtet sich wegen der fundierten medienpädagogischen Ausrichtung nicht nur an Religionspädagoginnen und -pädagogen, sondern auch an Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Interessierte aus dem Bereich der Medienpädagogik.

    Dr. Astrid Dinter ist Honorarprofessorin an der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Ihre Schwerpunkte sind Empirische Religionsforschung sowie Adoleszenz und Computer.

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