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Dana Neuleitner: Chika, die Hündin im Ghetto

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Zur Person

Batsheva Dagan (2018). Chika, die Hündin im Ghetto. Hörbuch, gelesen von Barbara Nüsse. 1 CD, etwa 30 Minuten. Hamburg: Oetinger Media GmbH. 13,00 €.

Vor über 80 Jahren begann in Deutschland eine Zeit des Schreckens: der offiziell größte Völkermord in der Geschichte Europas. Wer nicht in das System passte, wurde etwa weggesperrt oder ermordet. Darunter auch Kinder. Wie sah das Leben eines fünfjährigen Juden während des Dritten Reichs aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Filmhörspiel Chika, die Hündin im Ghetto. Die Geschichte, die basierend auf den Erinnerungen von Batsheva Dagan verfasst wurde, spielt im Sommer 1944 und beruht auf wahren Begebenheiten. Eingeleitet wird die Erzählung von einer kurzen, kindgerechten Erklärung zu den Anfängen und Verhältnissen im Zweiten Weltkrieg.

Der fünfjährige Mikasch lebt zusammen mit seinen Eltern in einem polnischen Ghetto. Dort muss er sich an genaue Regeln halten, denn die Nazis „taten Menschen, die anders waren als sie selbst oder anders dachten, schlimme Dinge an“. Beim Spielen auf der Straße gerät der Junge mit einem Soldaten aneinander. Dieser beschuldigt ihn, einen Apfel stehlen zu wollen. Die Hündin Chika beschützt Mikasch jedoch, indem sie den Soldaten ins Hosenbein beißt, wodurch der Junge davonlaufen kann. Während sich die Hörerin oder der Hörer zunächst noch über diese Tat freuen mag, erahnt man im weiteren Verlauf bald, dass Konsequenzen für die beiden drohen könnten. Und tatsächlich: Kurz darauf wird verkündet, dass Hunde von nun an im Ghetto verboten seien. Um die liebste Spielgefährtin des Sohnes zu retten, will Mikaschs Vater Chika in einer Nacht- und -Nebel-Aktion aus dem Viertel hinausbringen, denn durch die Hündin gelang es Mikasch, selbst unter den widrigsten Umständen im Ghetto unbeschwerte Momente zu genießen und beispielsweise das Pfeifen zu lernen. Der Gedanke daran, dass Chika zurückkommt, wenn der Krieg zu Ende ist, macht Mikasch das Leben im Ghetto erträglicher. Neben Chika hat der Fünfjährige auch noch die etwa gleichaltrige Johanna zum Spielen. Ihr erklärt er, dass „Krieg“ mit den Soldaten zu tun hat und auch damit, dass die Juden keine Hunde haben und keine Äpfel essen dürfen. Die neugierige Johanna fragt daraufhin nach, ob der Krieg auch damit zu tun habe, dass sie möglicherweise „totgeschossen werden“.

Kinder fassen unter den Begriff „Krieg“ oftmals etwas ganz anderes als andere Altersgenossen oder gar Erwachsene und können oftmals dessen weitreichende Bedeutung nicht gänzlich verstehen. Auch Mikasch, der diese schwere Zeit sogar selbst erlebt hat, hat das alles noch nicht ganz verstanden. Hierdurch bietet sich die Möglichkeit, mit den Heranwachsenden über ihr Wissen und ihre Gedanken zu Kriegen zu sprechen und ihnen den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen näher zu bringen. In einer kindgerechten Weise könnten ebenso Impulse gesetzt werden, um auch auf andere Konflikte auf der Welt einzugehen und Kindern so zu verdeutlichen, was womöglich Gleichaltrige anderer Herkunft erleben bzw. erlebt haben. Ebenso werden Kindern durch die Erzählung Chika, die Hündin im Ghetto Informationen geboten, die ihnen womöglich auch im massenmedialen Alltag und im Umgang mit Kriegsberichterstattungen weiterhelfen können. Das Hörbuch ist in der Lage dieses schwierige Thema fassbar zu machen, ohne die jungen Hörenden zu verängstigen. Für Lehrkräfte würde es sich darüber hinaus anbieten, die heute geltenden Menschenrechte und die von der UN-Kinderrechtskonvention festgeschriebenen Kinderrechte anzusprechen, wonach beispielsweise festgestellt werden könnte, dass Kinder grundsätzlich sehr wohl Äpfel essen oder einen Hund haben dürfen und nicht „totgeschossen“ werden dürfen.

Das im Oktober 2018 bei Oetinger Media GmbH erschienene Hörspiel Chika, die Hündin im Ghetto basiert auf dem gleichnamigen Kurzfilm, der unter anderem auf dem Kurzfilmfestival ArtCity als Bester Animationsfilm ausgezeichnet worden ist. Der Film erhielt außerdem das Prädikat ‚besonders wervoll‘. Das Hörspiel wird für Grundschüler ab einem Alter von sechs Jahren empfohlen. Die gleichnamige Geschichte veröffentlichte die Autorin bereits 2008.

An das Hörspiel, welches unter der Regie von Sandra Schießl entstanden ist, schließt sich ein etwa zwölfminütiges Interview mit der Autorin an, das weitere Aspekte ihres eigenen Lebens im Ghetto aufzeigt. Die inzwischen 93-jährige Batsheva Dagan wurde Psychologin, Erzieherin und Dozentin in der Lehrerausbildung und widmete sich dem Kampf gegen das Vergessen. Im Interview erzählt sie, wie es ihr gelang, trotz des Lernverbots im Ghetto Französisch zu lernen und auch, wie den Kindern mit Hilfe von Sockenpuppen erklärt wurde, wie sie sich bei Christen verstecken können. Außerdem erfahren die Hörerinnen und Hörer, wie es mit Mikasch nach Ende der Geschichte weiterging und wo Chika versteckt wurde. Dagan erläutert außerdem die Bedeutung des Grußes „Shalom“, der Farbe Gelb und dass ihre Bücher immer ein Happy End haben, „denn [sie] will den Kindern die Hoffnung nicht rauben“. Die CD bietet außerdem noch Dagans Gedichte „Vom Abschneiden der Haare“ und „Dort träume ich“, die sich ebenfalls mit ihren Erfahrungen zur Thematik des Holocaust auseinandersetzen.

Durch die Hörspiellänge von etwa 30 Minuten kann Chika, die Hündin im Ghetto gut in Unterrichtsstunden eingebaut werden. Das etwa 15 Minuten umfassende Zusatzmaterial kann entweder gemeinsam mit den Kindern rezipiert werden oder der Lehrkraft dienen, sich auf mögliche Fragen der Kinder zum Thema (Welt-)Krieg vorzubereiten. Das liebevolle Hörspiel nähert sich auf leicht verständliche Weise einem ernsten und emotionalen Thema, das nach einer zusätzlichen Einordung durch einen Erwachsenen oder eine Lehrkraft verlangt. Eltern, die sich die Geschichte gemeinsam mit ihrem Nachwuchs anhören, sollten sich der Thematik aus der Perspektive des Kindes nähern und gegebenenfalls zusätzliche Informationen zur Vermittlung an Kinder heranziehen.

„Ihr habt immer eine Wahl zwischen Gut und Böse. Jede Stunde und überall. Es hängt von euch ab, wie ihr entscheidet“, lautete der Rat der Autorin an Grundschülerinnen und -schüler. Chika, die Hündin im Ghetto kann somit einer jungen und auch kriegsunvorbelasteten Generation dabei helfen, historische Fehler nicht zu vergessen und auch ihre eigenen Entscheidungen stets zu überdenken.  

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