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Christa Gebel: Sind die Altersstufen noch zu retten?

    Zur Person

    Im Herbst 2013 steht ein neuerlicher Versuch zur Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags an. merz möchte Sie erstens über aktuelle Entwicklungen und Diskussionen, die im Vorfeld öffentlich gemacht werden, auf dem Laufenden halten, und zweitens dazu anregen, über Positionen, Wünsche und Forderungen, die die Medienpädagogik an einen zeitgemäßen Jugendmedienschutz hat, zu diskutieren und Ihre Meinung einzubringen. Dazu wird es ab sofort in jeder Ausgabe und im Netz unter www.merzzeitschrift.de Diskussionsanregungen und für Sie als Leserinnen und Leser die Möglichkeit geben, aktuelle Fragen und Themen einzugeben sowie gegebenenfalls eigene Beiträge zu liefern. Wenn Sie davon Gebrauch machen möchten, nehmen Sie mit uns Kontakt auf unter merz@jff.de. Der aktuelle Input fokussiert vor allem auf den Vorstoß, im JMStV die Altersstufen zu reduzieren.Das Vorhaben, den Jugendmedienschutzstaatsvertrag zu novellieren, geht dieses Jahr in eine neue Runde. Die Anforderungen an dieses Werk sind in Zeiten der Medienkonvergenz hoch: Es regelt den Bereich der Telemedien (Internet, Teletext) und des Rundfunks (öffentlich-rechtliche wie kommerzielle Anbieter) und soll dabei den jeweiligen technischen und rechtlichen Besonderheiten Rechnung tragen sowie anschlussfähig an das Jugendschutzgesetz (JuSchG) sein, das den Bereich der Trägermedien regelt. Letzteres ist angesichts der Rundfunk- und Onlinepräsenz von Werken, die auch auf Trägermedien verbreitet werden, absolut notwendig.

    Ein strittiger Punkt des Novellierungsversuchs von 2010 war die Präzisierung der Möglichkeiten für Online-Anbieter entwicklungsbeeinträchtigender Inhalte, dafür Sorge zu tragen, dass Kinder und Jugendliche diese üblicherweise nicht wahrnehmen. Eine angestrebte Lösung war, die Angebote mit einer Alterskennzeichnung zu versehen, die von Jugendschutzprogrammen gelesen bzw. entsprechend gefiltert werden können. Die Alterskennzeichnungen sollten den Altersstufen folgen, die das Jugendmedienschutzgesetz für Trägermedien zugrunde legt (frei ab 0, 6, 12, 16, 18). Dieses Vorhaben ist nach wie vor heiß diskutiert. Während die einen eine Altersklassifizierung als unzumutbare Hürde für Anbieter betrachten, sehen andere den Vorteil für Anbieter und Eltern darin, dass gleiche Angebote on- wie offline nach gleichen Prinzipien behandelt werden. Auch wenn der aktuelle Staatsvertragsentwurf noch nicht öffentlich zugänglich ist, zeichnet sich in Diskussionen ab, dass offenbar die Stufen der Alterskennzeichnung zur Disposition gestellt werden. Die Altersstufen einer Revision zu unterziehen stand schon häufig zur Diskussion und eine entsprechende Forderung hat unter mehrerlei Aspekten ihre Berechtigung. So haben sowohl Eltern als auch Fachleute schon immer Zweifel an dieser Stufung gehegt, die den großen kognitiven und emotionalen Veränderungen innerhalb der beiden unteren Altersspannen wenig Rechnung trägt, während im obersten Bereich sehr stark differenziert wird. Prinzipiell ist aus medienpädagogischer Sicht einzuwenden: Werden die Stufen sehr weit gefasst, werden älteren Kindern (z. B. Zehn- und Elfjährigen) Inhalte vorenthalten, an denen sie ihr Welt- und Selbstverständnis weiterentwickeln können, nur weil diese Inhalte jüngere Kinder (z. B. Siebenjährige) emotional überfordern.

    Werden die Stufen sehr eng gefasst, kleben sie an einer Durchschnittsnorm, die nur von wenigen Kindern wirklich repräsentiert wird, weil sich Kinder durch unterschiedliche Förderbedingungen und Veranlagungen nicht uniform entwickeln, so dass manche gerade Zehnjährige von Inhalten überfordert sind, gegen die manche Achteinhalbjährige bereits gewappnet sind. Die Klassifizierung eines konkreten Medieninhalts wird durch sehr enge Stufen wesentlich diffiziler, wenn nicht gar fragwürdig. Aus fachlicher Perspektive wäre zu prüfen, ob die in den 1950er Jahren entwickelten Stufen (vgl. Nikles 2002, 120 f.) nach heutigen Maßstäben sinnvolle Entwicklungsabschnitte repräsentieren. Hierbei sind insbesondere die Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen im Umgang mit digitalen Medien zu berücksichtigen. Dies erfordert einen enormen empirischen Aufwand und neue Normen nachhaltig zu gestalten ist angesichts der teils rasanten technischen Entwicklung erst recht kein leichtes Unterfangen. Ein anderer Diskussionspunkt ist die Vereinheitlichung mit Altersgrenzen anderer europäischer Länder, was den Blick darauf lenkt, dass auch kulturelle Normen eine Rolle spielen. Und kulturelle Differenzen sind nicht unbedingt an Ländergrenzen gebunden, sodass ein Aushandlungsprozess notwendig ist, der nicht allein auf entwicklungspsychologischen und medienpädagogischen Erkenntnissen gründen kann, diese aber unbedingt berücksichtigen muss. Alle diese Schwierigkeiten will man nun offenbar dadurch ignorieren, dass es im Internet nur noch drei Stufen geben soll, nämlich 0, 14 und 18 Jahre, wie im Februar auf einer kjm-Veranstaltung (1) in die Diskussion eingebracht wurde.

    Dass man Eltern dadurch noch mehr verwirren würde,dass im Internet andere Altersgrenzen gelten als für Trägermedien, scheint die Verfechter dieser Stoßrichtung wenig zu beeindrucken. Vielmehr wurde sogar – und dies bezeugt nun wirklich eine extreme Ferne vom Erziehungsalltag – der Vorschlag ins Spiel gebracht, das Jugendmedienschutzgesetz möge sich dann doch an die neuen Altersgrenzen des Staatsvertrags anpassen. Eine Umsetzung der Vorschläge hätte zur Konsequenz, dass Angebote mit heutiger Freigabe ab sechs Jahren künftig als „freigegeben ab 14 Jahren“ zu labeln wären; denn sie ohne Alterseinschränkung freizugeben, gäbe den Schutzauftrag gegenüber jüngeren Kindern preis. Sicher ist die bisherige Praxis der Alterskennzeichnung auf Basis des JuSchG nicht ideal. So hat sich gezeigt, dass Eltern durchaus Probleme haben, die Einstufung konkreter Medienangebote nachzuvollziehen, weil diese für sie wenig transparent ist (z. B. wenn ein Filmtitel im Kino anders freigegeben ist als seine Schnittversion bei der DVD-Vermarktung oder weil ‚historische‘ Einstufungen heutigen Moralvorstellungen nicht mehr entsprechen). Auf der anderen Seite sind die Alterskennzeichen für viele Eltern einziger Orientierungspunkt und manchmal auch der letzte Anker bei Argumentationsnöten gegenüber den Kindern. (vgl. Theunert/Gebel 2007, Gebel/Lauber 2008) Was wie ein mutiger Befreiungsschlag daherkommt, muss also als schlichte Kapitulation vor den fachlichen und praktischen Herausforderungen gewertet werden.

    Dem Dilemma, eine angemessene Stufung zu finden, wird man also nie ganz entrinnen, aber eine differenziertere Lösung als der aktuelle Vorschlag ist durchaus denkbar und sinnvoll. Mit einem Verzicht auf eine differenzierte Einstufung im Altersbereich unterhalb von 14 Jahren wälzt man die Probleme auf die Eltern ab und verlangt von ihnen, sich ohne fachliche Unterstützung ein Urteil zu bilden. Dies passt nahtlos in den Trend, die Verantwortung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten allein den Eltern aufzubürden (Oelkers/Lange 2012) und wird verstärkt dazu führen, dass sich diejenigen Eltern noch weniger kümmern, die sich ohnehin überfordert fühlen und daher Ansprüche an ihre Erziehungsleistung abwehren, während andere, stark normorientierte Eltern ihren Kindern noch mehr verbieten als bisher und sie damit an einer produktiven Auseinandersetzung mit Medien hindern (Wagner et al. 2013). Auch der in die Diskussion eingebrachte Kompromissvorschlag, die bisherigen Altersstufen beizubehalten, falsche Klassifizierung im unteren Bereich jedoch nicht zu sanktionieren, dürfte der Transparenz nicht förderlich sein: Wo keine Konsequenzen drohen, wird häufig nicht sachgerecht gehandelt werden und die Einstufung der Inhalte wird weder altersangemessen noch nachvollziehbar stattfinden. Eltern werden sich fragen, warum dieses gefiltert wird, jenes dagegen nicht, was die Akzeptanz der Jugendschutzprogramme gefährdet.

    Ebenso wenig taugt aus Elternperspektive der gleichfalls eingebrachte Vorschlag, nichtkommerzielle Anbieter von einer Klassifizierungspflicht zu entbinden: Warum sollte ein entwicklungsbeeinträchtigender Inhalt eines nichtkommerziellen Anbieters weniger schädlich sein? Auch hier ist eine Lösung zu suchen, die für nichtkommerzielle Anbieter, insbesondere solche, die Kinder erreichen möchten, zumutbar ist. Ansonsten ist den Forderungen nach Transparenz und Konsistenz des Jugendmedienschutzes für Eltern und Erziehende mit solchen Vorstößen nicht gedient. Eine Arbeitsgruppe der Rundfunkreferenten der Länder bereitet unter Leitung des Landes Sachsen den neuen Vertragsentwurf vor, der derzeit noch nicht vom Licht der Öffentlichkeit gestreift ist. Er soll den Ministerpräsidenten im Herbst vorgelegt werden. Wie Frau Ribbe, zuständige Referentin der sächsischen Staatskanzlei, auf der kjm-Veranstaltung im Februar 2013 ankündigte, sind im Vorfeld „Betroffenenanhörungen“ geplant. Wer hier als betroffen gesehen wird, ist abzuwarten – dringend zu hoffen ist, dass insbesondere die Perspektive von Eltern gehört wird.

    Anmerkung:

    (1) Zurück in die Zukunft: Wie geht‘s weiter im Jugendmedienschutz? Veranstaltung im Rahmen der Reihe kjm transparent – Fragen am Freitag am 22.02.2013 in München

    Literatur:

    Gebel, Christa/Lauber, Achim (2008). Altersfreigaben aus der Sicht von Eltern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften. In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis, Jg. 53, H. 2, S. 37-41.

    Nikles, Bruno W. (2002). Immer komplexer: Die Entwicklung der rechtlichen Regelungen zum Jugendschutz. In: Kind Jugend Gesellschaft, Heft 4/2002, S. 119-125.

    Oelkers, Nina/Lange, Andreas (2012). Eltern in der Verantwortungsfalle. Ein Problemaufriss. In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis, Jg. 57, H. 3, S. 71-75.

    Theunert, Helga/Gebel, Christa (2007). Untersuchung der Akzeptanz des Jugendmedienschutzes aus der Perspektive von Eltern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften. Eigenständige Teilstudie des JFF zur Analyse des Jugendmedienschutzsystems. Endbericht. München. www.jff.de/dateien/JFF_JMS_LANG.pdf [Zugriff: 04.01.2012].

    Wagner, Ulrike/Gebel, Christa/Lampert, Claudia (2013)(Hrsg.). Zwischen Anspruch und Alltagsbewältigung: Medienerziehung in der Familie. Unter Mitarbeit von Christiane Schwinge, Achim Lauber, Susanne Eggert. Berlin: Vistas (Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen, 72).

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