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Dagmar Hoffmann: Was nützt der Tweet nur in Gedanken – Microblogging en passant

    Zur Person

    Berufsbedingt sitze ich viel vor dem Rechner. Wenn ich dabei meinen Gedanken nachgehen darf und nicht nur Mails zu beantworten habe (was leider inzwischen zum Kerngeschäft von Hochschullehrerinnen und -lehrern geworden ist), dann tue ich das sehr gerne und mit großer Ausdauer. Als ich vor vier Jahren im Nachgang zum Medienpädagogischen Kongress in Berlin (#kbom) einen Twitter-Account anlegte, war meine Familie empört. Das müsse ja wohl bitte nicht auch noch sein. Ich hinge eh schon genug vor dem Bildschirm und nun würde beim gemeinsamen Fernsehen auch noch die Timeline durchgescrollt werden, auf der sich (mehrheitlich) mir unbekannte Personen unter anderem über die Bahn beschweren, die Dramaturgie beim Tatort kritisieren, sich auch über Netzpolitik austauschen oder manchmal zu gerne selbst promoten. Ich versuchte, die Kritikerinnen und Kritiker in meinem Umfeld mitzunehmen, ihnen zu zeigen, was für mich wichtige Infos und Kontakte sind, und was manchmal eher Amüsement ist, das in meinem Alltagsgeschäft leider viel zu kurz kommt. Man – vor allem mein Sohn, damals 15 Jahre alt – versuchte, mit mir Regeln zu vereinbaren: Wenn Fußball oder Tatort geguckt wird, ist ein zweiter Bildschirm tabu. Lediglich bei der sonntäglichen Talkshow Günther Jauch dürfe ich mal einen Blick in die Tweets zum Hashtag wagen.

    Die eigens berufliche Intension war nicht vergessen, wenngleich sich nach kurzer Zeit herausstellte, dass Microblogging für mich mehr als die Teilhabe am bildungspolitischen Diskurs und mehr als temporäres Networking sowie Kollaboration bedeuteten. Neben dem Mehrwert im beruflichen Kontext fand ich zudem die privaten Facetten mancher – nicht aller – Akteurinnen und Akteure interessant, denen ich folg(t)e. Junge Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen, die ihren Alltag mit kleinen Kindern zu managen haben, Frauen, die sich gegen Sexismus und Stigmatisierung auflehnen, Nachwuchsakademikerinnen und -akademiker, die an ihrer Karriere basteln müssen und dabei manchmal scheitern, Kolleginnen und Kollegen mit Leidenschaften für Fußball, Wein, Italien, Karikaturen sowie zuweilen dubiosen TV-Präferenzen. Studierenden folge ich #ausgründen nur selten, obgleich ich über ihre Tweets viel über Formen und Ursachen der Prokrastination lerne, aber auch erfahre, was sie neben ihrem Studium alles leisten (können), was sie darüber hinaus interessiert, bewegt und bedrückt. Manche Dinge, wie ihr Liebeskummer oder ihre Selbstzweifel, sind aber doch recht intim. Manchen Menschen ist vermutlich nicht immer bewusst, wer ihnen folgt und zuhört. Doch wem ist das schon klar – etwa im Bus? Ohne Zweifel ist die Zuwendung zu solchen Diensten zeitintensiv. Ich aber mag die bunte Mischung aus Sinnigem und Vordergründigem, aus belanglosen Inhalten und tiefen Wahrheiten. Dabei kommt mir die Frage von Frank Schirrmacher in den Sinn: Wollen wir denn, dass unser ganzes Leben Effizienzkriterien unterworfen wird? Ich will das nicht. Im Übrigen wird twittern in unserem Haushalt längst akzeptiert und begrüßt – nicht nur bei Wahlen, Talkshows und beim Tatort.

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