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Elisabeth Jäcklein-Kreis: Das Leben, die Welt, die Zukunft …

    Zur Person

    Mädchensachen. Nicht nur für Mädchen (2009). MedienKompetenz Forum Südwest. DVD kostenfrei, 1 € Rückporto.

    „Gut siehst du aus“ sagt Chris. Elo grinst schief, zupft sich am Rock, zuckt die Schulter: „Mädchensachen halt.“ Normalerweise trägt Elo solche Sachen nicht; solche Mädchensachen. Sie trägt Jeans und Jogginghosen, kaut mit offenem Mund Kaugummi und gibt sich gerne laut und forsch, wenn sie mit ihrer Clique durch die Straßen zieht. Da fliegen Papierkügelchen und Beleidigungen durch die Luft, da wird getanzt und gerempelt und in der kleinen Tankstelle des Ortes stapeln die Mädchen Gummibärchen und Zigaretten, Schokoriegel, Zeitschriften und Schnaps auf die Theke, bis sie kaum darüber sehen können und drücken die Daumen, dass sie keinen Ausweis vorzeigen müssen. Die Schule finden sie öde, gerade gut genug für den täglichen Klatsch und Tratsch, das wahre Leben findet abends auf den Partys statt und später werden sie ‚hartzen‘: „Nichts tun und Geld kriegen“. Ist doch klar. Oder? Nachmittags sitzt Nissa dann doch nervös beim Vorstellungsgespräch, knetet sich die Finger und wünscht sich, sie hätte bessere Noten vorzuweisen. Zwei Straßen weiter knallt Blue ihrer Mutter die Türe vor der Nase zu, weil diese wieder einmal in eine neue Stadt umziehen will und Blue keine Chance hat, irgendwo anzukommen. Und Elo? Die pfeffert den Rock in die Ecke, steigt wieder in die gewohnte Jogginghose und vergießt bittere Tränen über Chris im Speziellen und die (Männer-)Welt im Allgemeinen. Erwachsen werden, einen Platz im Leben finden, Freundschaft und Liebe, Schule und Beruf, Heimat, Sprache, Familie und Identität, Konsum und Medien – das sind die Themen, die in Mädchensachen aufgegriffen werden; an einem ganz normalen Tag werden Elo, Nissa und Co. mit all diesen Themen konfrontiert – mehr oder weniger explizit, mehr oder weniger angenehm – und müssen ihren Weg finden, Entscheidungen treffen und mit den Konsequenzen leben.

    Sieben Mädchen zeigt der etwa 21 Minuten lange Film Mädchensachen, der Hauptfilm der gleichnamigen ‚Lehr-/Lern-DVD‘, die alle die gleiche Klasse besuchen, einen gemeinsamen Tag verbringen und einer Clique angehören und die doch alle ganz alleine, jede auf ihre eigene Art, ihren Weg finden müssen. Das Besondere: Der Film entstand in einem Projekt mit einer achten Hauptschulklasse in Offenbach, in dem Schülerinnen und Schüler genau die Themen aufgearbeitet haben, die sie tatsächlich bewegen. Elo und Nissa heißen zwar in Wirklichkeit anders, die Fragen, die sie sich im Film und tatsächlich stellen, die Probleme an die sie stoßen, ihre Ziele und Hoffnungen aber sind dieselben. Und das macht den kurzen Film sehr dicht und sehr authentisch, weil die sieben Laiendarstellerinnen nicht nur ihre Rollen, sondern eben auch sich selbst spielen. Und weil so wertvolle Filme wie dieser nicht in den Schubladen der Projektbüros herumliegen und verstauben dürfen, nahm sich die Stiftung MedienKompetenz Forum Südwest (MKFS) das kleine Werk vor, bastelte ein didaktisches Paket außen herum und brannte alles zusammen auf ein paar DVDs, die jetzt darauf harren, in Schulen, Jugendzentren oder anderen Projekten angeschaut und diskutiert zu werden. Die DVD hat dabei tatsächlich mehr zu bieten, als ihr eher bescheidenes Äußeres vermuten lässt: Zusätzlich zum ohnehin guten Hauptfilm knüpft sich das ‚Unterrichtsmedium‘ insgesamt sechzehn verschiedene Themen vor, die im Film angeschnitten werden: Individuum, Ausbildung, Schule, Geschlecht, Engagement, Sinn des Lebens, Erwachsen werden, Medien, Konsum, Film, Heimat, Sprache, Familie, Peergroup, Jugendschutz, Mobbing im Unterricht.

    Zu jedem dieser Themen gibt es kurze Infoblöcke, genannt „Erläuterungsbeitrag“ also Audiobeiträge, die den Begriff einordnen und definieren, Gedankenanstöße oder Hintergrundinformationen liefern, Perspektiven auf das Thema offerieren oder Fakten dazu vorstellen. In einer „Referenz zum Film“ wird jeweils die Szene herausgegriffen, die sich mehr oder weniger explizit auf das Thema bezieht und kurz erläutert, im Kontext einsortiert und zur Diskussion gestellt. Zusätzlich bietet die DVD „Filmbeiträge“, „Interviewbeiträge“ und „Audiobeiträge“ an, die verschiedene Zugänge und Perspektiven anbieten, Gedankenanstöße und Fragen aufwerfen, um sich mit einem Thema zu beschäftigen. Da gibt es Interviews mit Jugendlichen und Erwachsenen, Filmbeiträge die das Thema aus einer anderen Sichtweise oder auf ganz andere Art, etwa als Musikclip, Sketch, Stoptrickfilm oder Mini-Drama darstellen oder einfach Sinnieren über das Leben und die Welt. Während der Hauptfilm eine reine Projekt- und Laien-Produktion ist, vermischen sich hier Schüler-, Studenten und Profibeiträge. So entsteht ein Kaleidoskop an Denkanstößen zu den verschiedenen Fragestellungen, die trotz oder gerade wegen ihrer scheinbaren ‚Unperfektheit‘ eine entlarvende Nähe zum Leben haben und einen ehrlichen, klaren Ton anschlagen. Die Beiträge stehen dabei mehr oder weniger unverbunden nebeneinander, werden als Gedanken, Meinungen, Ideen stehen gelassen und bieten ihrem Publikum so die Chance, aufzuhorchen, einzusteigen und mit- und weiterzudenken. An keiner Stelle bricht ein gigantischer, pädagogischer Zeigefinger durch die Kulisse, um mit Drohgebärde die Denk-Richtung zu weisen. Stattdessen bekommt jeder Beitrag seinen Platz, steht unkommentiert, weder kritisiert noch als absolute Wahrheit deklariert für sich und lässt viel Raum für eigenes Nachhorchen und Los-Denken.

    Um diese authentische und ungekünstelte Herangehensweise zu komplettieren, schlagen die Herausgeber der DVD auch in ihren didaktischen Vorschlägen eine eher minimalistische Richtung ein: Statt ausführlicher Anleitungen, Arbeitsblätter und Stundenvorschläge packen sie in die DVD-Hülle nur ein zwölfseitiges Heftchen, das ein paar Worte zur Entstehung des Filmes, ein Impressum und ein ausführliches Inhaltsverzeichnis der DVD enthält. Außerdem: Zehn Zeilen zur „Aufgabe des Lehrers im Lehr-Lern-Prozess“, in denen sinngemäß steht: „DVD anmachen (kann auch durch Schüler erfolgen), Diskussion zulassen“. Gewiss erfordert das ein gerüttelt‘ Maß an Souveränität in den Klassenzimmern und ein pädagogisches Selbstbild als Begleiter und Coach statt als Chef und Bestimmer – wer sich das aber traut, dem sei prophezeit, dass hitzige Diskussionen, revolutionäre Gedanken, erhellende Erkenntnisse und ganz neue Perspektiven in die Klassenräume Einzug halten könnten. Und das nicht nur für Mädchen.

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